Dirk-Oliver Heckmann: Eigentlich hatten die Umfragen vorausgesagt, es wird ein knappes Rennen bei den Unterhauswahlen in Großbritannien. Doch das Ergebnis war eine faustdicke Überraschung. Die Konservativen von Premierminister David Cameron wurden nicht nur stärkste Kraft im Parlament, sie können sogar, so wie es aussieht, wieder allein regieren. Das heißt aber auch, in nicht allzu ferner Zukunft werden die Briten über den Verbleib in der Europäischen Union abstimmen. Als Konzession an die zahlreichen EU-Gegner hatte Cameron das Referendum zugesagt.
Am Telefon begrüße ich Peter Bild. Er ist langjähriger Deutschland-Korrespondent von "Times", "Guardian" und "Independent" gewesen, außerdem Politik-Korrespondent der Deutschen Welle. Schönen guten Tag, Herr Bild, und schönen Gruß nach London.
Am Telefon begrüße ich Peter Bild. Er ist langjähriger Deutschland-Korrespondent von "Times", "Guardian" und "Independent" gewesen, außerdem Politik-Korrespondent der Deutschen Welle. Schönen guten Tag, Herr Bild, und schönen Gruß nach London.
Peter Bild: Schönen guten Tag!
Heckmann: Herr Bild, die Umfragen hatten eigentlich ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt. Wir haben es schon mehrfach gehört. Jetzt dieser deutliche Sieg von Cameron. Wie ist sein Triumph zu erklären?
Bild: Nur ganz, ganz schwer. Ich hatte ursprünglich erwartet, dass die Konservativen weiter regieren würden. Nach den Umfragen hatte man natürlich Zweifel daran. Was eigentlich geschehen ist, kann ich, glaube ich, nur durch Angst erklären. Die Konservativen haben sehr effektiv Angst geschürt, dass zum Beispiel die Schotten praktisch die Labour-Partei als Geisel nehmen würden. Wenn Labour jetzt nur in Koalition mit den schottischen Nationalisten regieren würde, dann wäre Alex Hammond, der wahrscheinliche Führer der Schotten im Parlament, mehr oder weniger der Premierminister. Auch wenn das immer wieder Ed Miliband geleugnet hat, es war immer wieder eine Angst und ich glaube auch einfach die Angst, dass diese anscheinende kleine wirtschaftliche Verbesserung, die man eventuell hier in London sieht, dass die auch zunichte gehen würde, wenn jetzt nicht weiter mit den Konservativen regiert werden würde. Das, glaube ich, ist auch ein Faktor.
Und wenn ich das noch hinzufügen darf, es gibt noch immer diesen Faktor der sich schämenden Konservativen bei Umfragen, die Leute, die es nicht zugeben wollen, dass sie vielleicht zu egoistisch und konservativ wählen werden, die das einfach nicht zugeben.
Und wenn ich das noch hinzufügen darf, es gibt noch immer diesen Faktor der sich schämenden Konservativen bei Umfragen, die Leute, die es nicht zugeben wollen, dass sie vielleicht zu egoistisch und konservativ wählen werden, die das einfach nicht zugeben.
"Europagegner werden vielleicht sehr mächtig sein"
Heckmann: Auch die Europagegner in Großbritannien haben Angst vor einem zu mächtigen Europa. Welche Rolle spielt die Tatsache, dass Cameron den EU-Gegnern und Kritikern entgegengekommen ist mit dem Versprechen eines Referendums? War das ein kluger Schachzug?
Bild: Es war sicherlich ein Schachzug, der ihm auch zum Sieg verholfen hat. Aber wie gut das jetzt hier gehen wird, ist wirklich eine Frage, denn man muss natürlich daran zweifeln, was für Konzessionen er wirklich von der Eurozone und von den anderen europäischen Ländern abgewinnen kann. Und er hat es ja davon abhängig gemacht, ob er dann für einen Austritt plädieren würde bei einem Referendum, das bis zum Ende des Jahres 2017 stattfinden soll, und jetzt ist er natürlich auch ein bisschen, da er keine Koalitionspartner hat, eine Geisel von den radikalen Europagegnern in seiner eigenen Partei und die werden vielleicht sehr mächtig sein. Denn seine Mehrheit wird, obwohl sie absolut ist und er keinen Koalitionspartner braucht, die Mehrheit, die er hat, wird sehr, sehr dünn sein.
Heckmann: Labour-Chef Ed Miliband ist abgestürzt, Sie haben es gerade gehört: 90 Sitze weniger als die Konservativen. Ist das die Quittung für seine europafreundliche Haltung gewesen?
Bild: Nein. Ich glaube, das hat wenig mit Europa zu tun, hat sehr viel mit der Presse zu tun, die ihn wirklich verleumdet haben. Er ist irgendwie kein natürlicher Politiker. Er ist der Sohn eines Intellektuellen, eines marxistischen Intellektuellen und wirkt auch sehr intellektuell und irgendwie ein bisschen fremd. Es ist schwierig, ihn praktisch als normalen Mensch zu sehen, und das hat, glaube ich, auch gegen ihn gewirkt.
Heckmann: Herr Bild, bei der Europawahl, da war die UKIP, die Independence Party, noch der Überraschungssieger. Jetzt spielt diese europafeindliche Partei kaum eine Rolle bei dem Wahlausgang. Nigel Farage hat es nicht mal geschafft, ins Unterhaus zu kommen. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Briten nicht so europafeindlich sind wie gedacht, oder ist das einfach nur Resultat des Mehrheitswahlrechts?
Bild: Ich würde sagen, das ist ein Resultat unseres verrückten Wahlsystems. Ich bin zwar überhaupt kein Befürworter von UKIP, aber die haben schon was. Mit 13 Prozent der Stimmen, eigentlich die drittgrößte Partei, rein proportional, haben die aber nur einen Wahlkreis gewonnen von 650. Das ist jetzt so unfair. Auch wenn in einem Referendum vor zwei, drei Jahren gewählt wurde, das System, das wir jetzt haben, zu behalten, kann ich mir wirklich vorstellen, dass der Druck, unser Wahlsystem ein bisschen fairer zu machen, dass dieser Druck wirklich wächst.
"Glaube nicht, dass Großbritannien austreten wird"
Heckmann: Das wird interessant zu beobachten sein. - Bei einem Wahlsieg Camerons war klar, es wird ein Referendum geben über den Verbleib in der EU. Wie offen ist aus Ihrer Sicht der Ausgang? Wird Großbritannien in zwei Jahren noch Teil der EU sein?
Bild: Ich bin hier wahrscheinlich unter meinen Freunden und in meinem Kreis in der Minderheit, wo ich sage, ich glaube, dass Großbritannien eigentlich nicht austreten wird, auch wenn die Konzessionen, die Cameron abgewinnen kann, sehr gering sind. Aber mehr Angst habe ich, dass eigentlich Europa oder die Eurozone zerkrümelt, noch eher, dass Großbritannien eigentlich austritt.
Heckmann: Inwiefern? Weshalb?
Bild: Na ja. Die Eurozone von hieraus gesehen, aber auch sicherlich von Griechenland, von Spanien, von Italien, ist inzwischen so schwach und irgendwie so eine Fehlkonstruktion, auch wenn das eine wunderschöne politische Idee ist, dass ich Angst habe, dass eigentlich Europa praktisch zerbröckelt, ohne dass Großbritannien austreten wird. Ich sage nicht, dass die EU nicht mehr existieren wird in einigen Jahren, aber nicht so, wie sie jetzt ist, und dazu braucht es nicht einmal einen Austritt von Großbritannien.
Heckmann: Herr Bild, wenn Großbritannien abstimmt und ein Nein dabei herauskommen sollte zu Europa, wird das Folgen haben für die Einheit Großbritanniens insgesamt? Wie werden die Schotten beispielsweise reagieren?
Bild: Die Schotten werden dann sicherlich dafür plädieren, dass sie wieder ein Referendum machen, um dann ihre eigene Unabhängigkeit zu gewinnen. Die hatten versprochen, jetzt nicht innerhalb einer Generation ein neues Referendum zu verlangen, aber ob dieses Versprechen gehalten wird, das glaube ich eigentlich nicht, vor allem, wenn es dazu käme, zum Beispiel, dass England und Wales für einen Austritt wählen würde in einem Referendum und Schottland aber für eine Mitgliedschaft in der EU wählen würde. Das würde dann wirklich diese Einheit des sogenannten United Kingdom, des Vereinigten Königreichs, wirklich unter Druck stellen.
Heckmann: Wir werden das weiter beobachten. - Wir haben gesprochen über den Wahlausgang in Großbritannien mit Peter Bild, langjähriger Deutschland-Korrespondent von „Times", „Guardian" und „Independent". Herr Bild, herzlichen Dank für das Gespräch, schöne Grüße nach London.
Bild: Ich danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.