Nun gibt es also nicht nur einen, sondern gleich zwei Anträge im Unterhaus für Neuwahlen noch vor Weihnachten. Die europafreundlichen Liberaldemokraten und schottischen Nationalisten schlagen vor, bereits am 9. Dezember die Bürger abstimmen zu lassen. Einzige Bedingung: eine Brexit-Verlängerung durch die EU bis Ende Januar. Dann wäre auch der No-Deal-Brexit vom Tisch, argumentiert die LibDem-Vorsitzende Jo Swinson:
"Ich habe mit Boris Johnson nicht darüber gesprochen. Aber jetzt liegt der Ball klar bei ihm. Wenn er wirklich Neuwahlen will, und zwar vor Weihnachten, dann kann er unseren Antrag ja unterstützen."
Was ist wichtiger - Brexit oder Neuwahlen?
Die beiden kleinen Oppositionsparteien lassen morgen darüber abstimmen im Unterhaus. Sie brauchen nur eine einfache Mehrheit. Verlockend für Boris Johnson. Im Moment liegt er in Umfragen mit weitem Abstand vor Labour. Bloß: Wahlen sind immer ein Risiko, sicher kann Johnson sich nicht sein. In Downing Street will man deshalb versuchen, vor den Wahlen auch noch das Brexit-Gesetz durchzubringen. Der Premier hat im Grundsatz eine Mehrheit, aber die Abgeordneten brauchen mehr Beratungszeit. Deshalb will Johnson die Neuwahlen erst am 12. Dezember. Der Antrag der Opposition sei ein Trick, sagt Tory James Cleverly:
"Die LibDems und die SNP wollen die Wahlen um drei Tage vorziehen, aber sie wollen das Brexit-Gesetz nicht weiter verfolgen. Wir wollen die EU mit einem Vertrag verlassen. Und wir wollen Neuwahlen. Unser Antrag gewährleistet beides, ihrer nicht."
Allerdings: Für seinen Plan braucht Boris Johnson heute eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die wird er kaum bekommen. Und dann? Darüber streiten sie sich in der Regierung. Den einen sind die Wahlen wichtiger – sie wären bereit, morgen notfalls mit SNP und LibDems für den 9. Dezember zu stimmen. Die anderen finden den Brexit wichtiger. Sie wollen das Gesetz durchs Unterhaus kriegen. Auch dafür stehen die Chancen nicht schlecht. Zentrale Änderungsanträge – für die Zollunion etwa oder ein zweites Referendum – haben im Moment keine Mehrheit. Deshalb ja der Vorstoß der Europa-Freunde: Sie hoffen, dass die Bürger Wahlen als eine andere Art von Referendum auffassen - und gegen Johnsons Brexit stimmen.
Labour will Zeit gewinnen
Die größte Oppositionspartei hat derweil auf Totalblockade geschaltet. Aus innerer Not. Labour ist gespalten über den Brexit – und über Jeremy Corbyn. Der Labour-Chef will Neuwahlen, aber seine Partei befürchtet mit ihm eine schwere Niederlage. Das treibt sie in einen argumentativen Spagat: für Neuwahlen, aber nicht jetzt, sondern erst nach dem EU-Votum. Und nur, wenn der Premierminister öffentlich dem No-Deal-Brexit abschwört. Diane Abbott von Labour:
"Wenn er klar und unmissverständlich sagt: Ich werde Großbritannien nicht ohne Vertrag aus der EU führen, dann wären nicht nur viele Labour-, sondern auch viele konservative Abgeordnete beruhigt. Warten wir mal ab, ob er das tut."
Darauf aber kann Labour lange warten. Und genau das ist wohl der Zweck der Übung: Zeit gewinnen, damit die größte Oppositionspartei sich neu sortieren kann, wohin sie will und mit wem an ihrer Spitze. Während der Brexit, die Schicksalsfrage für die Nation, weiter in der Schwebe bleibt.