Jeremy Corbyn reist in diesen Tagen und Wochen quer durch das Vereinigte Königreich – von einem Treffen mit der Partei-Basis zum nächsten, so wie hier im Londoner Stadtteil Camden. Wo der bärtige, grauhaarige 66-Jährige auch hinkommt: Seine Anhänger stehen Schlange, um ihn zu sehen, zu hören, zu fragen. Von einer "Corbynmania" will der Kandidat selbst aber nichts wissen:
Die Leute seien hungrig nach neuen Ideen, meint Corbyn; sie wollten in einer fairen Gesellschaft leben; und sie wollten nicht mehr hören, die konservative Sparpolitik sei erfolgreich - wo doch jeder sehe, dass dem nicht so sei. Dieser Politiker gibt uns Hoffnung, sagen zwei junge Labour-Frauen, weil er anders ist.
Corbyn genießt große Beliebtheit
Der so Gelobte sitzt seit 30 Jahren für Labour im britischen Unterhaus: Er wird in dieser Zeit nie Minister, gehört nie zu einem Schattenkabinett, bleibt stets Hinterbänkler. Corbyn ist als Linker gestartet und immer links geblieben. Er wettert 2003 gegen den Irak-Krieg von Labour-Premier Tony Blair – und gegen den aus seiner Sicht immer noch zu rechten Kurs bei der vergangenen, verlorenen Wahl:
"Wir waren zu wirtschaftsfreundlich, wir waren zu Ökonomen-hörig, wir haben den Wählern keine wirkliche Alternative geboten."
Dies sind seine politischen Ideen: Er will Bahn und Post wieder vollständig verstaatlichen, er ist gegen die nukleare Bewaffnung des Landes, er ist für einen NATO-Austritt. Die Monarchie mag Corbyn übrigens auch nicht. Ob er als Labour-Chef für oder gegen die weitere EU-Mitgliedschaft Großbritanniens wäre, hat er noch nicht entschieden. Kritisch sieht Corbyn jedenfalls das geplante Freihandelsabkommen mit den USA, wenn dadurch Arbeitnehmerrechte oder soziale Dienste eingeschränkt würden:
Wahl des neuen Parteichefs
Den neuen Parteichef wählen dürfen nicht nur die Mitglieder, sondern alle, die sich für drei Pfund bei Labour dafür registrieren. Auf einer Welle der Sympathie surft Corbyn bei den Gewerkschaften: Die größte unter ihnen, Unite, empfiehlt ihren Mitgliedern, den Parteilinken zu wählen; gleiches tut die Gewerkschaft für den Öffentlichen Dienst. Unison-Generalsekretär Dave Prentis begründet, warum:
"Er redet so, dass unsere Leute ihn verstehen. Einer der Fehler, den Labour gemacht hat, ist, dass wir uns immer weiter den Tories und ihrer Politik angenähert haben. Das wollen unsere Leute aber nicht – und sie glauben, Jeremy ist der Beste, um Labour wieder voranzubringen."
Die Labour Party zerfällt seit Langem in den rechten Blair-Flügel und den linken jetzt Corbyn-Flügel. Womöglich hat einzig das britische Mehrheitswahlrecht bislang eine Spaltung verhindert, weil das Prinzip „The winner takes it all" kleinere Parteien bestraft. Blairs früherer Redenschreiber Phil Collins prophezeit jedoch, Corbyn werde nie und nimmer die Wahl 2020 gewinnen:
Die drei Gegenkandidaten - Andy Burnham, Yvette Cooper und Liz Kendall – sind alle Mitte 40, alle um die Mitte bemüht. Sie staunen, wie ihrem deutlich älteren Konkurrenten derzeit die Herzen der Labour-Anhänger zufliegen. Ob der momentane Zuspruch für Jeremy Corbyn ihn tatsächlich zum Sieg trägt, wird Labour am 12. September verkünden.