Archiv

Großbritannien
Junge Briten demonstrieren gegen den Brexit

Tausende Briten haben gestern Abend in mehreren Städten gegen den EU-Austritt ihres Landes demonstriert. Es waren vor allem junge Leute, die sich versammelt hatten. Sie sehen ihre Zukunft durch das Brexit-Votum gefährdet - doch nur etwa ein Drittel von ihnen hatte beim Referendum eine Stimme abgegeben.

Von Gabi Biesinger |
    Am 28. Juni 2016 protestieren Briten gegen den EU-Austritt ihres Landes auf dem Trafalgar Square in London. Im Vordergrund sind zwei junge Frauen zu sehen, die EU-Flaggen hochhalten. Daneben hält ein junger Mann ein Schild mit der Aufschrift "Stop Brexit" in die Höhe.
    Besonders die jungen Briten sind geschockt über das Ergebnis des Brexit-Referendums. (picture alliance / dpa / Sean Dempsey)
    Französin Sophie hat sich blau-gelbe Streifen ins Gesicht geschminkt und versucht sich im strömenden Regen mit Körperkontakt trösten zu lassen. Die zierliche junge Frau reckt ein blaues Schild mit den europäischen Sternen in die Höhe. Darauf die Aufforderung: Hug a European. Umarme eine Europäerin. Sophie lebt seit zehn Jahren in London und fühlt sich nach dem Brexit-Votum ein bisschen, als wenn ihre eigene Familie sie plötzlich vor die Tür gesetzt hätte:
    "Ich habe mich traurig gefühlt und versuche jetzt zu zeigen, dass ich an Liebe und Geschlossenheit glaube, statt an Hass und Spaltung."
    Das Referendum findet Sophie einen Fehler. Die Frage sei viel zu komplex gewesen, um das Volk abstimmen zu lassen:
    "Den Leuten war unklar, stimmen sie dafür, die Grenzen dicht zu machen, oder stimmen sie über die Wirtschaft ab? Ich glaube viele haben das nicht verstanden."
    Ein paar Schritte weiter quetschen sich Rosy und Rosemary unter einen Regenschirm. Die beiden sind 17 Jahre alt und sauer, dass sie nicht mitwählen durften:
    "Das Ergebnis ist lächerlich. Alte Menschen haben für uns gewählt."
    Junge Briten bangen um ihre Zukunft
    Schülerin Rosemary möchte später Französisch studieren und in Frankreich arbeiten. Sie fürchtet um ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt:
    "Es wird jetzt vermutlich alles schwieriger. Es ist einfach so frustrierend, noch nicht mal 18 zu sein und zu sehen, welchen Dämpfer Deine Zukunft gerade bekommen hat. Viele von uns sind wirklich ärgerlich."
    Die Mär, dass die Alten den Jungen die Zukunft ruiniert haben, hält sich hartnäckig. Tatsächlich haben die Wähler über 60 Jahre mehrheitlich für den Brexit gestimmt – und über 80 Prozent der Wahlberechtigten in dieser Altersgruppe haben ihre Stimme abgegeben. Von den jungen Wählern unter 24 hat dagegen nur ein Drittel den Weg zur Wahlurne gefunden. Die beiden Schülerinnen können das kaum glauben:
    "Aber drei Viertel der Jungen waren doch gegen den Brexit!"
    Zwei Drittel der unter 24-Jährigen haben nicht gewählt
    Ja, aber nur 36 Prozent haben gewählt. Robert kennt diese Zahl und nickt beschämt als er daran erinnert wird. Der IT-Spezialist klebt in einer klitschnassen Europafahne und hat am Referendumstag vor einem Wahllokal für die Remain-Kampagne geworben:
    "Ja wir waren zu selbstgefällig und sind zu spät aktiv geworden. Im Wahllokal waren viele junge Leute, die nicht registriert waren und sauer wieder abzogen. Wir hätten einfach nicht gedacht, dass die Sache verloren gehen kann. Und jetzt haben wir den Salat."
    Die englischen Deutsch-Studentinnen Millie und Sophie hocken mit einer deutschen Fahne auf dem Beckenrand des Brunnes auf dem Trafalgar Square. Sie zucken ratlos mit den Schultern, als sie hören, dass ihre Altersgenossen nicht gewählt haben. Sophie ist sehr wütend über 52 Prozent ihrer Landsleute – egal, ob alt oder jung. Aber Millie hofft, dass diese enorme Schlappe junge Menschen jetzt wenigstens politisiert hat. Doch dafür dürfte es inzwischen zu spät sein.