Notsignal für den NHS, das nationale Gesundheitssystem der Briten: Aktivisten demonstrieren vor dem Parteitag der Konservativen gegen das geplante Freihandelsabkommen mit den USA. Auf einem Transparent geht gerade der NHS als Titanic unter, aus dem Wasser lugt ein gefährlicher Eisberg heraus namens TTIP.
"Wir sind hier, um Millionen Briten zu sagen, dass wir unsere Krankenhäuser und unsere jungen Ärzte verteidigen wollen", ruft die Demonstrantin in ihr Megafon.
Die Sorge lautet, dass als Folge von TTIP demnächst britische Krankenhäuser privatisiert würden. Schon jetzt klagen die Ärzte auf der Insel aber über unzumutbare Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung.
Keine Gefahr für Nationales Gesundheitssystem
Ausschusssitzung im britischen Unterhaus im letzten Oktober - der konservative Abgeordnete Alec Shelbrooke richtet die erste Frage an den Minister für Handel und Investitionen, Lord Francis Maude:
"Stimmen Sie Ihrem Vorgänger Lord Livingston zu, dass die Bürger Bedenken angesichts der Internationalen Schiedsgerichte haben, weil sie teilweise falsch informiert sind? Ist es möglich, dass unser Gesundheitssystem NHS an die USA verkauft werden kann - oder schließen Sie das aus?"
Der Tory-Abgeordnete packt im Ausschuss gleich die wichtigsten Kritikpunkte zusammen: internationale Schiedsgerichte und NHS, das staatliche Gesundheitswesen - gefährdet das eine das andere?
"Ich glaube, diese Angst ist grundlos", antwortet Handelsminister Maude. "Es gibt keine Gefahr durch TTIP für unser nationales Gesundheitssystem und wie es verwaltet wird. Ich sehe dafür keine Substanz."
Die konservative Regierung in London will also das Freihandelsabkommen mit den USA. Immerhin war Premier David Cameron selbst Gastgeber des G8-Gipfels vor drei Jahren in Lough Erne in Nordirland, auf dem der Startschuss für die TTIP-Verhandlungen erfolgte:
"Wir sind hier zusammengekommen, um Wirtschaft und Wachstum auf der ganzen Welt anzuheizen", meinte damals David Cameron. "Am besten erreichen wir das, wenn wir den gemeinsamen Handelsaustausch verstärken. Deswegen wollen wir mit den TTIP-Verhandlungen einen Meilenstein errichten."
"Sollten wir nicht lieber ein Freihandelsabkommen fordern, das die Kluft zwischen Reich und Arm verringert", forderte dagegen hier Jeremy Corbyn im Plenum des Unterhauses, wenige Monate bevor er Labour-Chef wurde. "Wir müssen verhindern, dass die jeweils niedrigsten Standards zur Norm auf beiden Seiten werden."
TTIP ist kein allzu großes Thema in Großbritannien
Corbyn lehnt TTIP also vehement ab - nur kaum einer hört ihm hier zu. Im Unterhaus verlieren sich an diesem Abend gerade einmal zwei Dutzende Abgeordnete. TTIP ist kein allzu großes Thema in Großbritannien. Und wenn doch, wird es zumeist weit weniger emotional diskutiert als in Deutschland.
"Es gibt in Deutschland einen Hauch von moralischem Überlegenheitsgefühl gegenüber den USA, was ich als Amerikaner als unangenehm empfinde. Das gibt es hier in Großbritannien nicht," meint Stephen Erlanger, der Londoner Büro-Chef der New York Times. Er war früher auch Korrespondent in Berlin. "Die Briten mögen manchmal arrogant sein. Aber sie denken nicht, dass wir schlechtere Standards als sie hätten. Wenn Großbritannien außerdem die EU verlässt, dann brauchen sie die USA als Handelspartner erst recht."