"Barnet Council got rid of 9.000 social houses 9.000!"
Eine Versammlung von Stadtplanern und Kommunalpolitikern im Stadtzentrum Londons. Ungefragt und unerwartet ergreift eine Frau das Mikrofon und berichtet empört, was in ihrem Stadtviertel vor sich geht.
"9.000 Sozialwohnungen wurden in Barnet schon vernichtet. 9.000! Und keine einzige dieser Wohnung wurde ersetzt. Alles nur private Vermieter!"
Etwas verlegen, aber geduldig hören sich die Politiker und Experten auf dem Podium das an. Lange hat die Politik das Problem ignoriert. Aber unbezahlbare Mieten bringen immer mehr Engländer in große Schwierigkeiten. Das liegt vor allem daran, dass es keinen nennenswerten sozialen Wohnungsbau mehr gibt, sagt Paul Watt, Stadtgeograf und Dozent am Birbeck College London.
"Der Bau von kommunalen Sozialwohnungen ist seit Anfang der 80er-Jahre regelrecht zusammengebrochen. Und weder private Investoren noch die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen haben genug gebaut, um diese Lücke auszugleichen."
Angebotene Alternative 200 Meilen entfernt
Deshalb gibt es viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Das betrifft alle Briten, die eine Wohnung suchen. Ganz besonders aber betrifft es Menschen, die von Obdachlosigkeit bedroht sind.
Wie Jasmine Stone aus Stratford im Nordosten der Hauptstadt. Die 20-jährige Frau mit langen blonden Haaren und einem runden Gesicht sitzt in einem Café in der Fußgängerzone. Vor etwa einem Jahr forderte der Bezirk sie auf, ihre Sozialwohnung zu räumen. Die Behörden machten ihr allerdings ein Angebot.
"Wir bekamen einen Räumungsbescheid, aber die Leute von der Kommune sagten, sie könnten uns eine Unterkunft anbieten - in Manchester, Hastings oder Birmingham! Das ist 200 Meilen entfernt. Weit weg von unseren Freunden und Familien, die uns unterstützen."
Dafür, versprachen die Behörden, werde man auch die Umzugskosten in die 260 Kilometer entfernten Städte übernehmen. Für Jasmine Stone, Mutter einer einjährigen Tochter, eine furchtbare Vorstellung:
"Ich würde das nicht aushalten. Meine Mutter hilft mir, und ich und meine Tochter verbringen so viel Zeit mit unserer Familie. Wir würden überhaupt niemanden kennen, ich war noch nie in meinem Leben dort. Das ist wirklich beängstigend!"
Jasmine und andere Bewohnerinnen taten sich daraufhin zusammen und gingen an die Öffentlichkeit. Ihr Protest verursachte so viel Wirbel, dass der Bezirk ihnen schließlich vorübergehend Sozialwohnungen verschaffte. Gelöst sind ihre Probleme dadurch allerdings nicht.
"Meine Miete beträgt 950 Pfund im Monat, für eine Ein-Zimmer-Wohnung. Um zu verstehen, was das bedeutet: Ich habe als Auszubildende Vollzeit in einem Kinderhort gearbeitet und 420 Pfund monatlich verdient. Das heißt, nicht mal die Hälfe der Miete. Und ich habe ein Kind!"
Von Obdachlosigkeit bedroht
Dieser Fall klingt extrem, aber er ist nicht ganz ungewöhnlich. Die Sozialämter bringen Menschen, die von der Obdachlosigkeit bedroht sind, bei privaten Vermietern unter. Aber die verlangen horrende Mieten, wie sie in London üblich sind. Für Jasmines kleine Wohnung beispielsweise bezahlt der Bezirk umgerechnet etwa 1.300 Euro. Die Behörden versuchen deshalb immer häufiger, Sozialmieter in den Norden des Landes umzusiedeln. Dabei gibt es durchaus Wohnraum im Großraum London - aber das sind Eigentumswohnungen, und die kosten wegen des anhaltenden Immobilienbooms ein Vermögen. Noch einmal Paul Watt von der Universität London.
"Wenn man durch London läuft, zum Beispiel in Stratford, dann sieht man neue Gebäude, schicke mehrstöckige Bauten. Ein-Zimmer-Eigentumswohnungen in solchen Neubauten kosten mindestens 300.000, 400.000. Pfund Für Leute, die durchschnittlich verdienen, ist das einfach unbezahlbar."