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Großbritannien
Militärisches Eingreifen in Syrien wird wieder diskutiert

Das Foto von einem toten syrischen Jungen am Strand hat die Stimmung in Großbritannien nachhaltig verändert. Zunächst wurde die Frage laut, ob das Land nicht mehr Flüchtlingen aufnehmen sollte. Jetzt entspannt sich eine politische Debatte um mögliche britische Militärschläge gegen die Terroristen des "Islamischen Staats" in Syrien.

Von Friedbert Meurer |
    Ein Helfer des Roten Halbmondes in den Trümmern in Duma, nahe Damaskus, im August 2015.
    Das Leiden in Syrien treibt unzählige Menschen in die Flucht. (AFP / Abd Doumany)
    Ein einziges Foto hat die Stimmung in Großbritannien gekippt: Das Bild mit dem toten syrischen Jungen an einem türkischen Strand zwingt die Regierung dazu, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Und es regt auch wieder die Debatte auf der Insel an, ob der Westen in Syrien militärisch eingreifen soll. Über die letzten Tagen haben einzelne konservative Politiker dafür plädiert, das Problem der Flüchtlingskrise an seiner Wurzel anzupacken: dem Krieg in Syrien. Gestern schloss sich auch Finanzminister George Osborne dieser Sichtweise öffentlich an:
    "Ich denke so, der Premierminister, der Verteidigungs- und der Außenminister denken so. Wenn Sie den IS im Irak militärisch angreifen, dann müssen Sie das auch auf der syrischen Seite tun. Das ist eine Frage der Kohärenz. Aber wir sind eine Demokratie, wir müssen davon das Unterhaus überzeugen."
    Großbritannien beteiligt sich bisher an Luftschlägen gegen den Islamischen Staat im Irak, aber nicht in Syrien. Der konservativen Regierung in London steckt allerdings noch eine schmerzhafte Abstimmungsniederlage von vor zwei Jahren im Unterhaus in den Knochen. Premierminister David Cameron wollte die Rückendeckung des Parlaments für ein Eingreifen in Syrien, nachdem dem Assad-Regime der Einsatz von Giftgaswaffen nachgewiesen worden war. Die Labour-Opposition und vor allem ein Teil der eigenen Tories lehnten ab.
    "Sollen britische Militärjets Stellungen des IS in Syrien bombardieren? Wir haben vor einigen Jahren diese Frage dem Parlament vorgelegt. Das Unterhaus lehnte aber ab. Das war eine der schlechtesten Entscheidungen des Parlaments überhaupt. Aber wir fragen erst dann das Unterhaus erneut, wenn wir sicher sind, dass wir diesmal eine andere Antwort erhalten."
    Unterstützung für diese Haltung findet die Regierung in den Reihen der anglikanischen Kirche. Der ehemalige Erzbischof von Canterbury, Lord George Carey, sprach sich für eine Militäraktion in Syrien aus. Es genüge nicht, nur die Hilfe in den Flüchtlingslagern in der Region zu verstärken. Der Kirchenmann votierte dafür, mit militärischen Mitteln sichere Zonen für syrische Flüchtlinge in ihrem eigenen Land zu etablieren.
    Die meisten britischen Zeitungen gehen heute allerdings nicht oder kaum auf die Frage militärischer Luftschläge ein. Das Thema genießt noch wenig Priorität. Lediglich das Massenblatt "The Sun" zeigt auf der Titelseite die Fotos der vier Spitzenkandidaten für den Parteivorsitz von Labour, die sich alle gegen Luftschläge in Syrien aussprechen. Darüber ein Wort in riesigen Lettern: Feiglinge!