Wenn es im Wahlkreis Witney an den vergangenen Tagen an der Haustür klingelte, konnte es passieren, dass sich der öffnende Hausherr plötzlich zwei leibhaftigen Premierministern gegenüber sah:
"Oh, hallo, Mr. Cameron, genießen Sie Ihren Ruhestand", fragt der überraschte Hausbesitzer im roten Pullover verschmitzt. "Von wegen Ruhestand", lacht Ex-Premier Cameron und stellt seine Nachfolgerin Theresa May vor.
Die beiden Premierminister machten Wahlkampf für den konservativen Kandidaten Robert Courts. Der Anwalt möchte Camerons Mandat in Westminster übernehmen, das der ehemalige Premierminister wenige Wochen nach der Brexit-Entscheidung niederlegte. Während Cameron bei den Wahlen im Mai 2015 in Witney allerdings noch über 60 Prozent der Stimmen abräumte, gilt Courts Wahl als unsicher. In einem der wenigen ländlichen englischen Wahlkreise, die klar für den Verbleib in der EU stimmten, kommt Brexit-Befürworter Courts nicht überall gut an.
Cameron wirbt für seinen Nachfolger
Politische Beobachter bedauern, dass Labour, Liberaldemokraten und Grüne ihre Stimmen nicht für einen gemeinsamen Gegenkandidaten gebündelt haben, um Courts zu schlagen. Vielleicht hätte sogar der Grüne Larry Sanders dieser Kandidat sein können, auch er kann schließlich prominente Unterstützung aufweisen. Larry ist der Bruder des US-Politikers Bernie Sanders, der anfangs das Rennen um die Kandidatur für das Amt des US-Präsidenten mit sozialistischen Parolen würzte. Bernie erklärte im Witney-Wahlkampf-Video, warum man Larry wählen sollte:
"Ehrlich gesagt, kenne ich mich mit britischer Politik nicht gut aus. Aber ich kenne meinen Bruder und weiß, dass er ein sehr fürsorglicher Mensch ist. Er möchte, dass die Regierung nicht nur für die Reichen regiert, er möchte, dass gesellschaftliche Benachteiligung verschwindet. Er arbeitet hart dafür. Und ich bin sehr stolz auf alles, was er erreicht hat."
Nachfolgerin von Jo Cox: Große Parteien verzichten auf Gegenkandidaten
Gewählt wird heute auch in Yorkshire im Wahlkreis Batley and Spen. Dort wird die Nachfolge von Jo Cox bestimmt, der Labour-Abgeordneten, die eine Woche vor dem Brexit-Referendum auf offener Straße getötet wurde. Der Mann, der die 41-jährige Mutter zweier Kinder niedergestochen und erschossen hatte, steht inzwischen wegen Mordes vor Gericht. Er gilt als psychisch labil, aber auch als Anhänger rechten Gedankenguts.
Die Konservativen, die Liberaldemokraten und die populistische Anti-Europa-Partei UKIP haben angesichts des gewaltsamen Todes von Jo Cox darauf verzichtet, bei der Nachwahl eigene Kandidaten aufzustellen. Darum dürfte sicher sein, dass Labour den Sitz mit seiner Kandidatin Tracy Brabin hält. Die erfolgreiche Seifenoper-Schauspielerin, bekannt aus Serien wie "Coronation Street" und "Emmerdale" war selbst in einer Sozialbausiedlung aufgewachsen und hatte in sozialen Projekten mit der getöteten Abgeordneten Cox zusammengearbeitet.
"Ich fühle mich demütig und geehrt, dass ich Jo Cox nachfolgen darf. Natürlich wollte das hier niemand. Aber ich hoffe, wir können die Parteipolitik über Bord werfen und zum Wohl der Menschen hier im Wahlkreis zusammenarbeiten."