Rassistische Krawalle
Was hinter den Ausschreitungen in Großbritannien steckt

In Großbritannien gab es tagelang schwere Ausschreitungen. Mittlerweile wird klarer, wer dahintersteht: die islamfeindliche Organisation „English Defence League”. Warum verfängt die rassistische Stimmungsmache?

06.08.2024
    Randalierer durchbrechen am 4.8.2024 Absperrungen vor einem Hotel in Rotherham, in dem Asylbewerber untergebracht sind.
    Im nordenglischen Rotherham belagerte ein Mob ein Hotel, in dem Asylbewerber untergebracht sind. (picture alliance / Anadolu / Ioannis Alexopoulos)
    Ob in Liverpool, Manchester, Middlesbrough, Bristol oder Belfast - in zahlreichen britischen Städten gab es seit Ende Juli Krawalle rechtsextremer Gruppen nach einem tödlichen Messerangriff. Laut Polizeiangaben handelt es sich um die schlimmsten Ausschreitungen seit mehr als zehn Jahren.
    Randalierer setzten Autos in Brand, griffen Polizisten an, plünderten Geschäfte, bedrohten Muslime und Asylbewerber. Großbritanniens neuer Premierminister Keir Starmer sprach von „Banditen vom rechten Rand“, die für die Krawalle verantwortlich seien. Welche Gruppen stecken dahinter? Und welche Ursachen haben die antimuslimischen Ausschreitungen?

    Inhalt

    Was war der Auslöser für die Krawalle?

    Ende Juli tötete ein 17-Jähriger bei einem Messerangriff in einer Tanzschule im englischen Southport drei Mädchen im Alter von sechs bis neun Jahren. Er verletzte weitere Kinder und Erwachsene zum Teil lebensgefährlich.
    Kurz darauf verbreiteten sich über soziale Medien Falschinformationen über die Herkunft des Attentäters: Er sei ein muslimischer Asylbewerber. Tatsächlich wurde er nach Polizeiangaben in Wales als Sohn von Einwanderern aus Ruanda geboren.
    Diese und weitere Falschnachrichten stachelten die Randalierer an – zunächst in Southport und später in anderen britischen Städten. Unter dem Motto "Genug ist genug" wurde online in rechtsextremen Kanälen für die Kundgebungen geworben.

    Welche Rolle spielt die "English Defence League"?

    Zu denen, die die Falschmeldungen verbreiten, gehörte der verurteilte britische Rechtsextremist Stephen Yaxley-Lennon, bekannt als Tommy Robinson. Er ist der frühere Anführer der „English Defence League“ (EDL), einer antimuslimischen und immigrationsfeindlichen Organisation mit Verbindungen in die Hooliganszene.
    Die Polizei in Southport hat die EDL direkt mit der Randale in Verbindung gebracht und für die Gewalt verantwortlich gemacht. Augenzeugen berichteten, dass die meisten Demonstranten gar nicht dort wohnen, wo sie randaliert hatten, sondern in Bussen angekarrt worden waren. Das lässt auf einen Grad an Organisation schließen.
    Nach Einschätzung der Leiterin des Büros der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in London, Michèle Auga, haben die Krawalle den "Charakter eines gesteuerten Pogroms“. Die EDL suche gezielt Aktionsformen, bei denen sie gegen Moscheen vorgehe oder Gaststätten und kleinere Geschäfte angreife, die vermeintlich von Muslimen betrieben würden: „Rechtsradikale Kreise hatten nur Stunden nach dem Vorfall einen muslimisch klingenden Nachnamen erfunden und haben diesen dann über die sozialen Medien weiterverbreitet.“
    Aber auch Politiker wie Nigel Farage heizten die Stimmung an. Farage ist bekannt als „Mister Brexit“ und Chef der Rechtsaußenpartei Reform UK, die das Thema Immigration zu ihrem gemacht hat. Er feuerte Verschwörungstheorien an, indem er in einem Videoclip die rhetorische Frage stellte, ob die Polizei den Bürgern wirklich die volle Wahrheit über die Ereignisse in Southport erzähle.

    Wie konnte die antimuslimische Stimmungsmache so schnell und breit verfangen?

    Parteien wie Reform UK, aber auch die Tories haben das Thema Immigration in den vergangenen Jahren besetzt und populistisch bespielt. Die Tories sind dabei nach rechts gerückt, beispielsweise mit dem Slogan „stop the boats“. Der wird jetzt auch vom Mob auf den Straßen skandiert.
    Die Politik hat dem Vorschub geleistet, indem sie das Thema ausgiebig diskutiert und problematisiert hat, analysiert Großbritannien-Korrespondentin Christine Heuer. Außerdem wurde das Thema in Verbindung mit den sozialen und ökonomischen Problemen gebracht, etwa Armut sowie die schlechte Lage des Gesundheitssystems oder auf dem Wohnungsmarkt.
    Das Ausmaß der Gewalt hängt nach Ansicht von Politikwissenschaftler Anthony Glees auch mit einer „Riesenwut der weißen Arbeiterklasse“ zusammen. Glees nennt zudem den Ausgang der britischen Wahlen vom 4. Juli, bei denen Labour mit Keir Starmer die meisten Stimmen holte.
    Der Politikwissenschaftler sieht „ein politisches Gefühl“ der Frustration über nicht gehaltene Versprechen. "Das sind Leute, die höchstwahrscheinlich Reform UK gewählt haben und dadurch Starmer die große Mehrheit erteilt haben."
    Auch Michèle Auga von der Friedrich-Ebert-Stiftung sieht die Politik der vergangenen Jahre mitverantwortlich für die Stimmung. Eine lange Zeit der Austeritäts- und Sparpolitik habe dazu geführt, dass viele Menschen in Armut leben. Mehr als 20 Prozent der Briten - 14,4 Millionen Menschen - seien von Armut betroffen. Außerdem habe es jahrelange Kulturkämpfe gegeben, die auch von der letzten Tory-Regierung gepflegt worden seien.

    ikl