Womöglich hat David Cameron einfach nicht lange genug geschlafen oder er wollte es einfach mal sagen. Als der politisch schwer angeschlagene Labour-Chef Jeremy Corbyn im Unterhaus eine Frage nach der anderen an den scheidenden Premier stellte, platzte Cameron der Kragen:
"Sie reden hier über unsichere Arbeitsplätze und die zwei Monate, die mir noch bleiben: Es mag gut für meine Partei sein, dass Sie bleiben, aber nicht im Interesse des Landes. In Gottes Namen, gehen sie."
Abgeordnete: "Yeah."
Die allermeisten Labour-Abgeordneten sehen das genauso. Corbyn soll zurücktreten. Das hat eine Abstimmung der Labour-Fraktion gestern ergeben. Allerdings beruft sich der Parteichef darauf, dass er vor nicht einmal einem Jahr von einer großen Mehrheit der Mitglieder gewählt worden ist. Corbyn versuchte heute im Unterhaus so zu tun, als ob nichts gewesen wäre, als ob es keinen Machtkampf in seiner Partei gebe.
Mindestens vier Kandidaten bei den Tories
Wie das ganze Vereinigte Königreich haben die beiden großen britischen Parteien mit den Folgen des Referendums zu kämpfen. Im Gegensatz zu Labour, verfügen die Torys aber immerhin über einen klaren Zeitplan und klare Regeln. Melden sich drei oder mehr Kandidaten für den Parteivorsitz, werden die Abgeordneten zwei davon auswählen. Dann müssen die Mitglieder entscheiden.
Stephen Crabb hat als Erster den Finger gehoben. Der Arbeitsminister ist 43 Jahre alt. Er gehört nicht zum Establishement, stammt aus einfachen Verhältnissen. Crabb werden nur Außenseiterchancen eingeräumt:
"Ich will Vorsitzender der Konservativen Partei werden und auch Premierminister. Ich liebe mein Land und meine Partei. Und ich glaube wirklich: Alles, wofür ich stehe und meine Energie, die ich einbringe, sind genau das, was jetzt gebraucht wird, um diese Herausforderungen zu bewältigen."
Gute Chancen für Innenministerin May
Inzwischen hat auch Liam Fox, der frühere Verteidigungsminister, bekanntgegeben, dass er die Nachfolge von David Cameron antreten will. Innenministerin Theresa May und der frühere Bürgermeister von London, Boris Johnson, gelten jedoch als Favoriten. May hatte sich in den Kampagnen vor dem Referendum zurückgehalten, wenngleich die Ministerin aus Solidarität mit der Regierung für den Verbleib in der EU eintrat. Eine gute Position, um auf die europafreundlichen und europaskeptischen Flügel ihrer Partei zuzugehen. May gilt als akribisch und fleißig, eine Politikerin, die sich auch mit Details befasst und nicht nur die großen Linien im Auge hat.
Boris Johnson, der das Zugpferd der Brexit-Kampagne war, kann damit nicht punkten. Er gibt sich unkonventionell und ist sehr populär, das dürfte ihm beim Mitgliederentscheid helfen. Allerdings hatten einige Tory-Abgeordnete schon vor längerer Zeit eine Gruppe gebildet, die nur ein Ziel hat: Johnson zu verhindern.