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Großbritannien und Europa
Schon immer ein bisschen außen vor

Bereits nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begaben sich die Briten freiwillig in eine Außenseiterposition. Zur Montanunion traten sie nicht bei und auch die Römischen Verträge unterzeichneten sie nicht. Dass sie nun aus der EU austreten, wirkt vor diesem Hintergrund wenig überraschend.

Von Jens-Peter Marquardt |
    Ein englisches Einbahnstraße-Schild, im Hintergrund sind die Europaflagge und ein Union-Jack zu sehen.
    Ein Teil der britischen Konservativen hat die Zugehörigkeit zur EWG und später zur EU nie akzeptiert (picture alliance / Yui Mok/PA Wire/dpa)
    19. September 1946: Europa lag noch in Trümmern, als Winston Churchill einer Einladung an die Universität Zürich folgte und dort seine Vision von der Zukunft Europas vorstellte.
    "Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa errichten."
    Weniger Nationalstaat, mehr föderales Europa und die Integration des Aggressors Deutschland in diese Vereinigten Staaten – das war die Lehre, die Churchill aus zwei schrecklichen Weltkriegen zog. Doch wo sah er sein eigenes Land in diesem Prozess?
    "Bei all diesen dringenden Aufgaben müssen Frankreich und Deutschland zusammen die Führung übernehmen. Und Großbritannien, das britische Commonwealth, das mächtige Amerika, und, so hoffe ich jedenfalls, Sowjetrussland, sollten die Freunde und Förderer dieses neuen Europas sein. Und dessen Recht, zu leben und zu leuchten, beschützen."
    Ein neues Europa ohne Großbritannien
    Churchills Idee der Vereinigten Staaten von Europa war damals revolutionär. Doch für sein eigenes Land hatte der Sieger des Zweiten Weltkrieges darin keinen Platz vorgesehen. Zunächst lief auch alles nach Churchills Plan. Der Kontinent, mit Franzosen und Deutschen an der Spitze, machte sich auf, ein neues Europa zu schaffen, und die Briten schauten zu.
    Als die Montanunion gegründet wurde, ließ die britische Regierung die Frist fürs Mitmachen verstreichen: Der Premierminister war gerade nicht in London, der Außenminister war im Krankenhaus, der Finanzminister lag krank zu Hause – das Restkabinett sah sich nicht in der Lage, eine Entscheidung für den Beitritt zur Montanunion zu treffen.
    Zu den Verhandlungen über die Gründung der EWG schickte die britische Regierung dann lediglich einen untergeordneten Handelsgesandten, der weder dort, noch in London ernst genommen wurde. Als sechs europäische Länder 1957 schließlich die Römischen Verträge unterschrieben, war Großbritannien nicht dabei.
    Ein gemeinsamer europäischer Markt ohne die Briten – ein junger deutscher Abgeordneter fand das nicht in Ordnung und enthielt sich im Bundestag der Stimme, als es dort in Bonn um die Ratifizierung der Römischen Verträge ging:
    "Großbritannien war nicht drin – ich fand, das war ein Riesenfehler. Ich war ein überzeugter Europäer, aber ich dachte, das würde schief gehen, wenn Großbritannien nicht dabei wäre. Und deshalb habe ich mich enthalten", so Helmut Schmidt später gegenüber der BBC.
    Fehler der Zurückhaltung
    Auch die Briten erkannten schon wenige Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge, dass sie einen Fehler gemacht hatten. Der damalige Premierminister Harold Macmillan realisierte, wie schnell sich der europäische Kontinent durch den Wegfall der Handelsschranken von den Kriegsfolgen erholte, Großbritannien aber zurück blieb und die Deutschen den Wirtschaftsaufschwung dominierten.
    Dafür habe man nicht zwei Weltkriege gegen Deutschland gefochten, schrieb Macmillan in einer Aktennotiz und zog daraus die Konsequenz: 'If you can´t beat them, join them' – Wenn du sie nicht schlagen kannst, dann mache mit ihnen gemeinsame Sache. Doch da stellte sich plötzlich der französische Präsident Charles de Gaulle quer. Er blockierte 1963 den Beitritt Großbritanniens:
    "England ist eine Insel, eine Seenation. Die Natur, die Struktur, die Wirtschaftskonjunktur, die dem Land eigen sind, unterscheiden sich fundamental von den Nationen auf dem Kontinent. Aber natürlich, vielleicht ändert sich ja England in ausreichendem Maße und passt dann eines Tages zur Europäischen Gemeinschaft."
    Neue Chance für die Briten
    Die Briten bekamen erst eine neue Chance, als de Gaulle abtrat, George Pompidou in den Elysee-Palast einzog und Edward Heath in London Premierminister wurde. Großbritannien wurde 1973 Mitglied der EWG.
    "Wir waren wirtschaftlich damals immer noch der kranke Mann Europas. Das Argument, zu einer Gemeinschaft zu gehören, der es wirtschaftlich gut ging, war stärker als das Verlangen nach größerer nationaler Souveränität", sagt der frühere britische Außenminister William Hague.
    Doch nicht alle überzeugte dieses Argument. Ein Teil der britischen Konservativen hat die Zugehörigkeit zur EWG und später zur EU nie akzeptiert. Am 23. Juni vergangenen Jahres waren sie endlich am Ziel: Die britischen Bürger stimmten beim EU-Referendum mit 52 zu 48 Prozent für den Austritt.