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Großbritanniens Generalstreik im öffentlichen Dienst

Die britischen Gewerkschaften haben vergleichsweise wenig Macht und Streiks sind in Großbritannien nicht populär. Der letzte große Streik im öffentlichen Dienst trug im Winter 1978/79 zum Rücktritt der Labourregierung bei. Mit dem heutigen Generalstreik erhoffen sich die Gewerkschaften neuen Aufwind. Aus London berichtet Martin Zagatta.

    Tausende Schulen bleiben ganz geschlossen, oder sie müssen im Laufe des Tages - so sagen es die Gewerkschaften voraus - vorzeitig dicht machen: Chaos auf der Insel, obwohl es nicht die Lehrer sind, die streiken. Aber da Aushilfen, Hausmeister und das Kantinenpersonal zu den knapp eineinhalb Millionen Bediensteten der Kommunen gehören, die aufgerufen sind, die Arbeit zu verweigern, fällt der Unterricht vielerorts genauso aus wie der Busverkehr, wie Müllabfuhr oder Pflegedienste.

    Sie würden ja nur fordern, dass ihre Mitglieder dieselben Schutzvereinbarungen bekommen wie auch die anderen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. So verteidigt Dave Prentis, der Generalsekretär der Unison, der größten Gewerkschaft, die unpopulären Maßnahmen. Er wehrt sich gegen Pläne, die Angestellten der Kommunen künftig nicht mehr wie bisher mit 60 in Rente zu entlassen, sondern erst mit 65. Was die Gewerkschaften besonders empört, ist, dass dabei mit zweierlei Maß gemessen wird. Schließlich hat die Labour-Regierung den mehr als vier Millionen Bediensteten, die wie die Lehrer vom Staat bezahlt werden, kürzlich erst zugestanden, dass ihr Renteneintrittsalter von 60 Jahren nicht angehoben wird. Nur Neuangestellte profitieren nicht mehr von diesem Privileg, das besonders umstritten ist, seit das Vorhaben bekannt wurde, das Renteneintrittsalter in der britischen Privatwirtschaft, derzeit 65 Jahre, noch zu erhöhen.

    Wie könne man nur von den Angestellten im Privatsektor verlangen, demnächst bis 67 zu arbeiten und dann hingehen und sagen: für unsere Gewerkschaftsfreunde, für unsere Beschäftigten im öffentlichen Dienst belassen wir es bei 60 Jahren, so empört sich der Arbeitgeber-Präsident Digby Jones. Er setzt darauf, dass nun zumindest die Kommunen nicht nachgeben, auch wenn heute Schulen geschlossen bleiben, Regionalflughäfen ihren Betrieb einstellen müssen und in Städten wie Manchester oder Leeds der Busverkehr zusammenbricht. Die neun Gewerkschaften, die die Protestaktionen organisieren, sprechen von der größten Streikaktion seit 1926 und drohen mit Auswirkungen wie zuletzt im Winter 1978/79. Damals hatten Arbeitskämpfe, Müllberge und der Stillstand des Transportwesens zum Sturz der Labour-Regierung geführt. Der Unmut über die damaligen Zustände hat es der konservativen Regierung unter Margaret Thatcher anschließend allerdings auch erlaubt, die Macht der britischen Gewerkschaften zu brechen, mit Gesetzen, die auch unter der Labour-Regierung von Tony Blair nicht wieder rückgängig gemacht wurden. Dass Streiks seither in Großbritannien auf besonders wenig Sympathie stoßen, davon will sich Dave Prentis heute nicht abschrecken lassen.

    Nein - das sei jetzt nur der erste Streiktag - danach würden sie weitermachen mit gezielten und auch landesweiten Aktionen, falls die kommunalen Arbeitgeber nicht einlenken, so warnt der Generalsekretär der Unison. Die Gewerkschaft droht damit, die Abhaltung der Kommunalwahlen Anfang Mai zu verhindern und hat ihre Unterstützung für die Labour-Partei eingestellt. Sie setzt ganz offensichtlich darauf, dass Schatzkanzler Gordon Brown länger anhaltende Proteste scheuen wird, um sein Vorhaben nicht zu gefährden, demnächst die Nachfolge von Premierminister Blair anzutreten. Außerdem - so hofft man im Gewerkschaftslager - könnten die Labour-Strategen nach dem Skandal um verheimlichte Kredite aus dem Unternehmerlager bald wieder (wie früher) auf Gelder der Arbeitnehmerorganisationen angewiesen sein - und die britischen Gewerkschaften damit anknüpfen an alte Zeiten.