Großbritannien prescht mit seiner Waffenlieferung an die Ukraine vor. Ganz offensichtlich schenkt London der Beteuerung Moskaus, nicht angreifen zu wollen, keinerlei Glauben. Vor wenigen Tagen hatte Andrei Kelin, Russlands Botschafter im Königreich, der BBC gesagt: Gegenwärtig und in absehbarer Zeit habe sein Land nicht vor, in die Ukraine einzumarschieren. Das bedeute: Es habe überhaupt nicht die Absicht, dies zu tun.
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Waffen nur zur Verteidigung
London versteht sich spätestens seit den Gift-Anschlägen auf Sergej Skripal und andere Russen auf britischem Boden als Moskaus politischer Antagonist. Das ist sicher ein Grund, warum Großbritannien der Ukraine als erstes westeuropäisches Land mit Waffen hilft. Genauer mit Panzerabwehrraketen und etwa 100 britischen Soldaten, die die Ukrainer im Umgang damit schulen. Im Parlament betonte Verteidigungsminister Ben Wallace, die Waffen seien nur zur Verteidigung, nicht zum Angriff geeignet. „Es sind Kurzstreckenwaffen ausschließlich zur Verteidigung. Es sind keine strategischen Waffen, sie stellen keine Bedrohung Russlands dar. Sie sollen zur Selbstverteidigung eingesetzt werden.“
Britische Soldaten werden nicht gegen die Russen kämpfen. Auch nicht im Fall eines Angriffs auf die Ukraine. Auch das betonte Ben Wallace. Das Land sei nun einmal kein NATO-Mitglied.
Wunsch nach mehr Unterstützung der NATO-Mitglieder
Kiews Botschafter in London Wadim Pristaiko hat Großbritannien für seine Hilfe gedankt. Ob sie auf dem Schlachtfeld einen Unterschied machen werde, sei unklar, räumte er ein, aber sein Land müsse akzeptieren, kein NATO-Mitglied zu sein. „Wir sind nicht Teil der Familie. Und wir sind, allein auf uns gestellt, mit der größten Armee in Europa konfrontiert. Mit Unterstützung, mit einigen zusätzlichen Raketen und zusätzlichem Training. Aber trotzdem.“
Nicht allein Kiew würde sich hörbar mehr wünschen von der NATO und ihren Mitgliedern. In London finden sie parteiübergreifend, dass die Sanktionsdrohungen des Westens nicht ausreichen.
Großbritannien will Führung im Konflikt übernehmen
Über Deutschlands Zaudern mit Blick auf Nord Stream 2 schütteln sie bei Labour genauso den Kopf wie bei den Tories. Die Meldung, Berlin habe den Briten bei der Waffenlieferung in die Ukraine den Zutritt zum deutschen Luftraum verweigert, wurde zwar dementiert. Dass die Briten gar nicht erst angefragt haben, ob sie den kürzeren Weg über Deutschland nehmen dürfen und lieber gleich über Polen und Dänemark geflogen sind, gibt allerdings auch zu denken.
Der konservative Verteidigungspolitiker Tobias Ellwood rührt seit Wochen die Trommel für mehr Härte gegen Moskau im Ukraine-Konflikt. Im Dezember fragte er rhetorisch, was der Westen denn tun wolle, wenn Moskau sich diplomatisch nicht überzeugen ließe? Jetzt empfiehlt er seinem Land, international die Führung zu übernehmen.
„Großbritannien hat eine natürliche Neigung, bei einem Vakuum internationaler Führung vorzutreten. Es gibt ein Verlangen, dass die Briten führen. Andere Länder schauen auf uns, sie wollen, dass wir das Vakuum füllen, weil Amerika zurzeit wieder einmal zurücktritt.“
Von Englands Selbstverständnis als Global Player zur Idee von Global Britain nach dem Brexit ist es kein großer Schritt. Aber über seine neue Rolle in der Welt diskutiert das Königreich im Zusammenhang mit der Ukraine nicht. Vielleicht noch nicht.