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Große Koalition im Wahlkampf
Auf der Suche nach Abgrenzung

Zehn Wochen vor der Bundestagswahl gibt es von Union und SPD weder eindeutige Zu- noch Absagen an mögliche Koalitionspartner anderer Parteien. Welche Konstellationen sind realistisch und was unterscheidet die beiden voneinander? Das diskutierten wir mit den Journalisten Nikolaus Blome, Nico Fried, Anna Lehman und Annett Meiritz.

Diskussionsleitung: Stephan Detjen, Leiter Hauptstadtstudio |
    Angela Merkel und Martin Schulz stehen beim Gedenken an die Schlacht von Verdun in Frankreich nebeneinander.
    Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) hatten früher in ihren politischen Funktionen miteinander zu tun, jetzt sind sie Konkurrenten im Bundestagswahlkampf. (AFP / Frederick Florin)
    Lassen sich doch einige spannende Unterschiede zwischen Union und SPD ausmachen? Wie sind die Chancen der rechtspopulistischen AfD einzuschätzen, deren Umfragewerte sinken? Was oder besser welche Positionen sind die anderen kleineren Parteien bereit für eine Regierungsbeteiligung aufzugeben? Oder stimmen sich die Mitglieder der jetzigen großen Koalition in Berlin bereits auf weitere vier Jahre – Seite an Seite – ein?
    Es diskutierten:
    • Nikolaus Blome, stellvertretender Bild-Chefredakteur
    • Nico Fried, Leiter des Berliner Büros der Süddeutschen Zeitung
    • Anna Lehmann, Parlamentsreporterin der taz
    • Annett Meirit, Spiegel Online

    Die letzten Umfragen sehen schwarz-gelb bei der Bundestagswahl im September vorn. Bedeutet das, die Würfel sind knapp zehn Wochen vor der Bundestagswahl bereits gefallen? Eher nicht, erklärte die Runde in Berlin zu Beginn der Sendung einmütig.
    Zwar ließe sich die CDU wohl kaum noch von der SPD überholen. "Das bedeutet aber nicht, dass Martin Schulz nicht doch Kanzler werden kann. Am Wahlabend wird es darauf ankommen, wer bekommt die Dreierkoalition zusammen", prognostiziert der stellvertretende "Bild"-Chefredakteur Nikolaus Blome.
    Für Nico Fried von der "Süddeutschen Zeitung" ist die Wahl deshalb noch nicht gelaufen, weil es zu viele Möglichkeiten für Einfluss von außen gibt. Womit er weniger die russische Regierung oder ähnliches meine, sondern eher Ereignisse, die noch eintreten könnten. "Wenn wir schauen, welche Dynamik die Flüchtlingskrise im Mittelmeer in den letzten Wochen noch einmal bekommen hat, so gibt es viele Dinge, die den Wahlausgang noch beeinflussen können."
    "Bislang habe ich noch nicht mal meine Wahlbenachrichtigung, insofern wäre ich erstaunt, wenn die Wahl schon gelaufen wäre", witzelte Anna Lehmann von der "taz". Für sie sei es die entscheidende Frage wie die kleineren Parteien abschneiden und welche Konstellationen dadurch dann ergeben höchst interessant.
    Blome: Flüchtlingsthema wäre Problem für Merkel
    In der Redaktion von "Spiegel Online" laufe bereits eine Wette auf den Ausgang der Bundestagswahl, verrät Annett Meiritz. "Alle Kollegen haben ihre Tipps bereits abgegeben. Dabei sieht man, spannend wir es bei den kleinen Parteien, weil sich beim Platz drei die Dreierkonstellationsfrage entscheidet. Da ist längst noch nicht alles gelaufen und auch nicht nur in Nuancen noch etwas möglich."
    Als ein Thema, die noch Einfluss auf den Wahlausgang haben können, diskutierte die Runde die Entwicklung in der Flüchtlingspolitik. Wenn etwa in der Krise mit der Türkei der türkische Präsident Erdogan vom Flüchtlingsdeal mit der EU abrücken und dadurch wieder vermehr Menschen auch nach Deutschland flüchten würden. Ein solches Wiederaufflammen der Flüchtlingskrise "wäre für Angela Merkel ein schweres Problem, denn dann müsste sie sich bekennen. Sie müsste endlich erklären, was sie bereit ist zu tun, damit sich eine solche Krise wie in 2015 nicht wiederholt", kritisiert Nikolaus Blome ein Schweigen der Kanzlerin in dieser Frage.
    Um eindeutige Aussagen zum Thema Flüchtlinge würden sich alle Parteien drum herum mogeln, meint Anna Lehmann. "Weil sich damit im Wahlkampf keine Punkte machen lassen." Nur die Linkspartei hätte bei diesem Thema eine klare Haltung, die ihr aber eben auch mehr schaden als sie nutzen würde. "Nur eine Partei würde von mehr Flüchtlingen profitieren und das ist die AfD, das würde ihr im Wahlkampf immense Punkte bringen."
    Thema Investitionen: "Das gute alte Schulklo ist zurück"
    Dass das Flüchtlingsthema Einfluss auf die Wahl bekommen könnte, hält Nico Fried dagegen für unwahrscheinlich. Das könne nur dann sein, wenn die Menschen wirklich bis nach Deutschland kämen. Dazu könne es aber gar nicht kommen: "Die Österreicher würden am Brenner das Problem für uns lösen." Daher stellt sich für ihn die Frage andersherum. Wagt es eine Partei im Wahlkampf, Solidarität mit Italien zu zeigen und sich dafür einzusetzen, dem Land mehr Flüchtlinge abzunehmen? "Das ist doch die Frage: Geht eine Partei nochmal voran in der europäischen Solidarität, die sie von den anderen einfordert. Aber das kann ich derzeit nicht sehen."
    Bevor es nach der Sommerpause zu direkten Duellen zwischen den Kandidaten der Parteien kommen wird, gab es am vergangenen Wochenende einen Vorgeschmack in Form eines indirekten Schlagabtauschs. Dabei ging es um das Thema Investitionen, das Herausforderer Schulz ins Zentrum seines "Zukunftsplans" gestellt hat.
    Investition seien auch für ihre Leser wichtig, so "Spiegel Online"-Redakteurin Meiritz. "Aber ich habe da ein Déjà-vu. Das gute alte Schulklo ist zurück." Zwar seien die Probleme nicht lächerlich, vielmehr würden sie sehr viele Menschen betreffen. Aber: "Merkel kommt mit ihren 20 Wörtern, die der Durchschnittsbürger erstmal nicht versteht. Und Martin Schulz erklärt sich zum Kanzlerkandidaten, der das Loch im Schuldach wahrscheinlich noch persönlich flicken will." Das sei nicht mehr als eine Scheindiskussion im Wahlkampfgetöse.
    Welche Koalitionsmöglichkeiten gibt es?
    Auch Nikolaus Blome sieht das Thema kritisch. Dass Merkel nun erkläre, man müsse die Planungsverfahren beschleunigen, sei wenig überzeugend. Schließlich regiere sie seit zwölf Jahren. Nico Fried hält Schulz zugute, dass er die Investitionsfrage noch mal hochgezogen hat. Wahlkampf könne auch dazu dienen, genauer zu schauen, welche Probleme existieren und diese dann als Themen zu setzen. Außerdem sei er "für jeden konkreten Inhalt dankbar, der in diesem Wahlkampf diskutiert wird".
    Und welche Koalitionsmöglichkeiten sehen die Gesprächsteilnehmer: rot-rot-grün? Jamaika?
    Die Linkspartei oder zumindest die eine Hälfte der Partei wolle gar nicht regieren, sondern meckern, erklärte Blome. Rot-rot-grün sei somit sicherlich keine Option. Eine Alternative könne dagegen die Ampel sei. Wenn aber Ampel geht, ginge rein rechnerisch auch Jamaika. Dann läge die Entscheidung bei der FDP.
    "Jede Konstellation, die möglich ist, um Angela Merkel aus dem Amt zu hieven und die das nicht wahrnimmt, der kann man auch nicht mehr helfen", entgegnet Fried. "Diesen Fehler wird Martin Schulz nicht machen, er wird sich vielleicht distanzieren. Aber wenn es die Möglichkeit gibt, dann macht er das."
    "Grüne würden alle Koalitionen mitmachen"
    Dass die Linkspartei dann auch bei einer Koalition mit SPD und Grünen mitmachen würde, ist sich Anna Lehmann sicher. "Da würde Dietmar Bartsch zu Sahra Wagenknecht sagen, halt mal die Klappe, wir machen das jetzt." Der spielentscheidende Faktor sei nur, ob es auch reicht, denn derzeit sähe es nicht danach aus.
    "Die Grünen", meint Annett Meiritz, "würden im Moment alle Koalitionen mitmachen". Dadurch seien sie aber nicht frei und könnten keine Positionen vertreten. "Die Spitzenkandidaten bekommen von ihrer Basis immer irgendwelche linken Positionen aufgedrückt, die die dann verschämt irgendwo im Kleingedruckten verstecken." Nikolaus Blome dagegen würde, wenn Parteien Aktien wären, gerade jetzt die Grüne Aktie kaufen, weil diese Partei die meisten Koalitionsoptionen hat.
    Einigkeit herrschte in der Runde abschließend, dass die AfD die 5-Prozent-Hürde trotz Führungsquerelen schaffen werde. Die Klientel sei immun gegen Ärger an der Spitze. "Die spalten sich erst nach der Wahl. Die Aussicht auf einen warmen Sessel im Bundestag hält zusammen."