Christine Heuer: Es war ein sehr interessantes politisches Wochenende. Erst sagte die SPD-Basis Ja zur Großen Koalition, dann sagten die Parteien endlich offiziell, wer für was Minister wird in der neuen Regierung. Heute soll der Koalitionsvertrag unterzeichnet werden.
Am Telefon begrüße ich die NRW-Ministerpräsidentin und Sozialdemokratin Hannelore Kraft. Guten Morgen!
Hannelore Kraft: Guten Morgen, Frau Heuer!
Heuer: Glückwunsch erst mal zur Regierungsbeteiligung der SPD, Frau Kraft. So viel Zeit muss sein.
Kraft: Danke schön!
Heuer: Die SPD hat überdurchschnittlich gut abgeschnitten, meinen heute viele. Wie haben Sie das bloß gemacht?
Kraft: Wir haben gut verhandelt und ich glaube, dass wir auch jetzt sagen können, wir haben viel Kompetenz jetzt in diese Regierung eingebracht, und wir hoffen darauf, dass sich das in den vier Jahren für uns natürlich auch auszahlt.
Heuer: War die Angst der Union davor, dass die SPD vielleicht doch Nein sagt, so groß, dass Sie deshalb so gut abgeschnitten haben?
Kraft: Nein. Wir haben inhaltlich sehr sachlich hart verhandelt und da hat es auch viel Bewegung gegeben auf der anderen Seite, die mich überrascht hat. Das gebe ich gerne zu. Und wir haben gute Argumente gehabt und die sind zum Teil auch dann schlagend geworden, und das hilft natürlich auch, gut zusammenzuarbeiten über die vier Jahre.
Heuer: Und die SPD-Basis war nicht das unwichtigste Argument?
Kraft: Na ja, die SPD-Basis war sicherlich ein gewichtiges Argument. Aber bei der Diskussion selbst hat das erst mal keine Rolle gespielt. Es war natürlich klar, dass wir unsere Basis fragen würden. Das war ja vorher verabredet bei uns. Es war auch gut, dass wir es getan haben. Die hohe Beteiligung zeigt ja, dass es richtig ist, auch mal die Mitglieder zu fragen, wie sie denn zu den einzelnen Dingen stehen, gerade in solch wichtigen Fragen. Andere Parteien machen das anders, die lassen das einen Parteitag entscheiden. Manche machen es auch gar nicht. Wir halten das für richtig, unsere Mitglieder in solchen Prozessen aktiv zu beteiligen, und das wird sicherlich nicht das letzte Mal sein.
Heuer: Wann hatte die SPD zuletzt einen so starken Vorsitzenden wie jetzt Sigmar Gabriel?
Kraft: Na ja, solange ich dabei bin sicherlich nicht. Er hat alles richtig gemacht in den letzten Wochen. Aber natürlich genauso wichtig war, dass die Führung sehr geschlossen war, dass wir als Team auch gut gearbeitet haben. Ich glaube, das hat man auch in den letzten Wochen gemerkt.
Heuer: Ist Gabriel schon gesetzt als nächster SPD-Kanzlerkandidat?
Kraft: Er ist sicherlich der geborene Kanzlerkandidat aufgrund seiner jetzigen Funktion, aber darüber werden wir in aller Ruhe vor der nächsten Wahl reden. Jetzt wollen wir erst mal vier Jahre lang gut regieren und damit auch die Wählerinnen und Wähler überzeugen.
Heuer: Und wenn er nichts falsch macht, dann ist er gesetzt?
Kraft: Er ist sicherlich als Parteivorsitzender immer derjenige, der das erste Zugriffsrecht hat. Das ist bei uns in der SPD eigentlich immer so.
Heuer: Sie, Frau Kraft, waren ja zuerst gegen die Große Koalition, haben das auch offen gesagt. An welchem Punkt in den Verhandlungen waren Sie eigentlich so weit zu sagen, ach, da mach ich doch mit?
Kraft: Na ja, bei den Sondierungsgesprächen ist für mich erkennbar geworden, dass es viel mehr Bewegung auf der anderen Seite gibt, als ich vermutet hätte. Und wenn wir es schaffen, wirklich gute Themen voranzubringen, für die Menschen in diesem Land das Leben wirklich besser zu machen, dann müssen wir verhandeln. Das habe ich dann auch gesagt und auch unterstützt, und es hat sich ja gezeigt: Ja, es gibt eine Menge Gutes für die Bürgerinnen und Bürger, angefangen vom Mindestlohn über die Regelung zur Leih- und Zeitarbeit, diese unsägliche Zunahme der sogenannten prekären Beschäftigung, die wir eindämmen wollen, bis hin zur Rente und natürlich ganz wichtig für Nordrhein-Westfalen die Themen auch, dass wir unbedingt mehr investieren müssen in Bildung, in Infrastruktur und in die Kommunen. Auch das haben wir abgesichert, ohne dass es da noch Flexibilitäten gibt, sondern das ist ohne Haushaltsvorbehalt darin. Das ist für NRW ganz wichtig und schön ist natürlich, dass jetzt auch eine Ministerin aus Nordrhein-Westfalen beim wichtigen Thema Städtebau an der Umsetzung beteiligt ist.
Heuer: Ja genau. Wer ist eigentlich Barbara Hendricks, Frau Kraft?
Kraft: Barbara Hendricks ist eine sehr erfahrene Politikerin, die für uns schon sehr viele Positionen innehatte: einmal hier im Umweltministerium in Nordrhein-Westfalen. Das bringt sie jetzt auch mit in das neue Amt, diese Erfahrung. Sie ist dann auch Staatssekretärin gewesen in Berlin im Finanzministerium. Sie hat Parteifunktionen an verschiedener Stelle gehabt. Sie hat jetzt in der Spitze auch mitverhandelt in der kleinen Gruppe bis zum Schluss und ich habe sie da noch mehr schätzen gelernt, als das vorher schon der Fall war.
Heuer: Wenn Barbara Hendricks, die neue Umweltministerin, so kompetent ist, wie Sie sagen, warum muss sie dann ausgerechnet auf die wichtige Zuständigkeit für die Energiepolitik verzichten?
Kraft: Weil wir der Meinung waren, dass die Energiepolitik in eine Hand muss. Es war ja ein Problem der jetzt noch amtierenden Regierung, dass es immer wieder die Differenzen gab zwischen Umwelt- und Wirtschaftsminister in der Frage, und das haben wir nicht für gut gehalten. Das zeigt sich ja jetzt auch bei dem Problem Europäische Union, Eröffnung Beihilfeverfahren. Deutschland ist da nicht immer mit einer Stimme aufgetreten und das hat uns geschwächt. Das war von vornherein klar, dass die SPD beabsichtigt, das zu ändern, und Sigmar Gabriel wird diese Energiewende voranbringen für unser Land und das auch so hinbekommen, dass sie sicher, sauber und bezahlbar ist.
Heuer: Und auch so, dass die konventionellen Anbieter nicht zu kurz kommen? Dafür haben Sie sich ja, wie man hört, in den Verhandlungen sehr stark gemacht.
Kraft: Wissen Sie, was man hört, ist das eine. Die Realität ist das andere. Nordrhein-Westfalen ist in allen Bereichen der Energiewende involviert. Wir sind auch ein Land, in dem die erneuerbaren Energien sehr stark sind. Wir haben über 20.000 Menschen alleine hier in der Region, die im Bereich Windkraft tätig sind. Wir haben natürlich die Energieversorger, aber nicht nur die großen, sondern auch die Stadtwerke. Wir sind in allen diesen Themenfeldern mittendrin und deshalb war es auch gut, dass ich dort verhandelt habe, weil ich, wie ich immer gesagt habe, der personifizierte Kompromiss bin. Es geht darum, wirklich alles hinzubekommen. Es muss nicht nur der Umwelt dienen, sondern es muss auch sicher sein, die Energieversorgungssicherheit muss gewährleistet sein, und es muss bezahlbar sein für die Bürgerinnen und Bürger, aber auch für die Unternehmen. Darum geht es, diese Energiewende wollen wir. Wir wollen den Umstieg auf die erneuerbaren. Aber wir müssen das so gestalten, dass dieses Zieldreieck auch wirklich gleichschenklig bleibt.
Heuer: Es entsteht der Eindruck von der alten Tante SPD, die sich starkmacht für Kohle und für Rentner. Macht man so Politik für die Zukunft?
Kraft: Na ja, das ist ja gerne von denen genommen, die nicht zuhören, oder die nicht genau lesen. Ich habe ja gerade erklärt, dass es nicht um Kohle geht, sondern es geht darum: Wenn wir aus der Atomenergie aussteigen, kommen immer mehr Erneuerbare jetzt in dieses Portfolio hinein. Damit wird aber die Flexibilität höher, die Volatilität höher. Die Erneuerbaren hängen ab davon, dass der Wind weht und die Sonne scheint. Da das nicht immer der Fall ist, braucht man eine Abdeckung im Hintergrund, und das müssen fossile Kraftwerke noch sein in den nächsten Jahrzehnten. Dafür haben wir gekämpft, dass das auch möglich ist, weil wir sind in einer Marktwirtschaft, und müssen auch sicherstellen, dass das in Zukunft noch gelingt. Wir können nicht ins Risiko gehen und sagen, die Energieversorgungssicherheit ist kein zentraler Punkt mehr. Dann riskieren wir, dass es Blackouts gibt, und das wollen wir nicht.
Heuer: Die SPD macht ernst bei der Geschlechterparität, wenn es um die Besetzung von Posten geht, und verhindert so möglicherweise Ralf Stegner als Generalsekretär. Will die SPD nicht den besten auf diesem wichtigen Posten?
Kraft: Es geht nicht darum, das zu verhindern, sondern Ralf Stegner wird ja eingebunden. Wir haben gestern den Vorschlag gemacht im Parteivorstand, dass die Spitze erweitert wird um eine Position. Das heißt, er wird vorgeschlagen als stellvertretender Parteivorsitzender. Da ist er genau an der richtigen Stelle. Nur wir waren uns auch einig, dass es uns in der Vergangenheit geschadet hat, dass an den wichtigen Positionen meistens Männer saßen, und deshalb waren wir uns einig, nachdem der Parteivorsitzende ein Mann ist, der Fraktionsvorsitzende aller Voraussicht nach ein Mann wird, dass dann auch die Stelle in der Partei von einer Frau besetzt wird.
Heuer: Justizminister wird Heiko Maas. Warum? Weil er aus dem Saarland kommt und der Süden auch berücksichtigt werden musste bei so vielen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen?
Kraft: Heiko Maas ist ein sehr guter Jurist, er bringt da auch eine Menge Erfahrung mit ein. Er hat jetzt ja auch ein Ministeramt inne im Saarland. Und wir brauchen auch Kompetenz am Tisch und wir müssen Leute haben, die auch Erfahrung einbringen. Wir wollen von Anfang an gut regieren, und das bedeutet eben auch, dass man Menschen zu Ministern machen muss und zu Ministerinnen, die auch ein Stück Erfahrung mitbringen. Er ist dafür genau der richtige, ich habe mit ihm gemeinsam auch verhandelt. Gerade beim Thema Energie war er mit dabei. Und auch da kann ich nur sagen: Er ist jemand, der sehr kompetent ist.
Heuer: Finanzminister, Frau Kraft, bleibt Wolfgang Schäuble von der CDU. Wollte die SPD dieses wichtige Ressort nicht, oder hat die Union es Ihnen einfach nicht gegeben?
Kraft: Das war eine Abstimmung hinterher. Es ist ein Gesamt-Tableau, was vereinbart wird, und es ist so vereinbart worden, und ich finde es gut, dass Sigmar Gabriel das wichtige Thema Energiewende jetzt übernimmt.
Heuer: Am Anfang haben wir über Sigmar Gabriel gesprochen. Die wichtigste Personalie auf Unions-Seite scheint Ursula von der Leyen zu sein, die Verteidigungsministerin wird. Stellen Sie sich darauf ein, dass sie die starke Frau der CDU in Bälde wird?
Kraft: Zunächst einmal hat die CDU eine starke Frau, das ist die Kanzlerin.
Heuer: Und danach?
Kraft: Und was danach kommt, das werden wir dann sehen.
Heuer: Und Ursula von der Leyen wäre Ihnen da aber recht?
Kraft: Wissen Sie, Frau von der Leyen ist ja nun auch jemand, der schon sehr lange Erfahrung jetzt im Kabinett hat, und ich bin sehr gespannt darauf, wie sie das Amt jetzt als Verteidigungsministerin ausfüllen wird.
Heuer: Eine andere Personalie ist, dass Ronald Pofalla sich aus der ersten Reihe der Politik zurückzieht. Man hört, er möchte in die Wirtschaft. Wäre das ein guter Mann für die RAG-Stiftung in Nordrhein-Westfalen?
Kraft: Dort steht keinerlei Besetzung an. Ich bin ja selbst Mitglied der Stiftung. Dort steht keinerlei Neubesetzung an und das ist ja auch schon dementiert worden.
Heuer: Hannelore Kraft, NRW-Ministerpräsidentin und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, Frau Kraft.
Kraft: Vielen Dank, Frau Heuer.
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