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Große Koalition
Politologe: Union und SPD wollen zusammen bleiben

In der großen Koalition herrsche ein "relativer Frieden", sagte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann im Dlf. Daran werde auch die geplante Zwischenbilanz im November nichts ändern. Die SPD habe zudem Angst vor einem weiteren Abwärtstrend bei einer vorzeitigen Beendigung der Koalition.

Ulrich von Alemann im Gespräch Jörg Münchenberger |
    Hand in Hand gehen eine Frau im roten Mantel und ein Mann in schwarzer Jacke über die Straße.
    Die große Koalition habe geliefert, sagte der Politologe Ulrich von Alemann. Am wenigsten Erfolge habe sie in der internationalen Politik. (imago/Ralph Peters)
    !Jörg Münchenberg:!! Zuletzt hatte die Große Koalition vor allem tatsächlich regiert. Das Klimapaket haben SPD und Union auf den Weg gebracht, ebenso die weitgehende Abschaffung des Solidaritätszuschlages. Doch ob die Große Koalition über 2019 hinaus Bestand haben wird, das ist keinesfalls sicher, denn zunächst einmal soll Zwischenbilanz gezogen werden – noch in diesem Jahr. Darauf hat sich gestern der Koalitionsausschuss verständigt. Am Telefon ist jetzt der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. Herr von Alemann, die Koalition hat sich jetzt auf das Verfahren für die Halbzeitbilanz geeinigt. Wir haben es eben gehört. Anfang November soll die stattfinden. Man muss sagen: Das hört sich doch fast schon nach Regierungsroutine an.
    Ulrich von Alemann: Ja! Dieser Koalitionsausschuss hat offensichtlich ziemlich konstruktiv gearbeitet. Koalitionsausschüsse sind ja so eine Sache. Im Grundgesetz sind die gar nicht vorgesehen. Manche Juristen behaupten, die sind eigentlich verfassungswidrig, weil sich hier Parteispitzen, Regierungsspitzen und Parlamentsspitzen zusammentun und informelle Beschlüsse fassen. Aber wie auch immer: Es entspricht den Machtverhältnissen in der Politik, dass der Koalitionsausschuss tagt und dass er entscheidet. Wir haben schon in der Vergangenheit außerordentlich kontroverse Sitzungen, Krisensitzungen von Koalitionsausschüssen erlebt, und das ist offensichtlich heute nicht der Fall gewesen. Man hat auch nur dreieinhalb Stunden getagt und hat sich auf die wesentlichen Punkte, nämlich die Halbzeitbilanz, die Grundrente, wie es da weitergehen soll, und das Klimapaket geeinigt. Insofern will man offensichtlich deutlich ganz normalen Regierungsalltag demonstrieren.
    "Vielleicht nur ein Scheinfriede"
    Münchenberg: Haben sich da zwei jetzt wirklich zusammengerauft? Würden Sie sagen, das Fundament ist jetzt auch tragfähiger geworden für die Regierungsarbeit?
    von Alemann: Wenn man das mit dem vergleicht, wie diese Regierung zustande gekommen ist - die ersten Koalitionsverhandlungen oder Sondierungsgespräche sind gescheitert mit der FDP und mit den Grünen und der CDU/CSU. Dann ist widerwillig die SPD wieder in eine Große Koalition eingetreten und man hat sich am Anfang des letzten Jahres, es ist ja erst ein Jahr her, als die Regierung wirklich gebildet wurde, 2018, auch in Koalitionsausschüssen noch kräftig gegenseitig Schwierigkeiten gemacht, auch noch zwischen CDU und CSU. Dagegen ist tatsächlich relativer Friede eingestellt. Aber vielleicht ist es ja nur ein Scheinfrieden, weil tatsächlich noch das Damokles-Schwert über der Großen Koalition schwebt, ob die SPD dieser Halbzeitbilanz vielleicht gar nicht zustimmen wird.
    Bundesumweltministerin Svenja Schulze, Bundeskanzlerin Angela Merkel, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der konservativen CSU-Fraktion Alexander Dobrindt. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei (SPD) Malu Dreyer, die Vorsitzende der CDU Annegret Kramp-Karrenbauer, der deutsche Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz und der bayerische Ministerpräsident und Vorsitzende der CSU Markus Soeder beglüchwünschen sich nach bei der Pressekonferenz nach der Sitzung des Klimaausschusses am 20. September 2019 im Futurium in Berlin. Die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel kündigte ein umfassendes klimapolitisches Paket im Wert von mindestens 100 Milliarden Euro (110 Milliarden Dollar) bis 2030 an.
    Vom Klimapaket zum Gesetz - Bundeskabinett beschließt erste Maßnahmen Nach langem Hin und Her hatte die Große Koalition vergangene Woche ihr Klimapaket beschlossen. Nun soll alles ganz schnell gehen: Noch vor Weihnachten sollen die ersten Gesetze vom Bundestag verabschiedet werden.
    Münchenberg: Herr von Alemann, Sie sind ja ein professioneller Beobachter. Sie sagen, vielleicht ist das nur ein Scheinfrieden. Wie ist denn Ihr Eindruck? Ist das ein Scheinfrieden, oder tatsächlich doch ein bisschen substanzieller jetzt?
    von Alemann: Mein eigener Eindruck ist tatsächlich, dass Substanz da ist, dass beide Partner weiter wollen. Auch die regierungsfreundlichen Teile der SPD wollen wirklich weiter regieren, weil sie doch mittlerweile zur Überzeugung geraten sind, wenn wir jetzt rausgehen aus der Großen Koalition, wird unser Abwärtstrend noch rasanter steigen. Ich glaube schon, dass auch die wichtigsten Kandidaten für den Parteivorsitz in der SPD, die ja im Augenblick in der Mitgliederbefragung sind, nämlich das von Scholz geführte Duo und das von Walter-Borjans geführte Duo, dass die auch in der Koalition bleiben wollen. Insofern: Ich rechne damit, dass die Koalition weiter arbeitet.
    "Am wenigsten Erfolg in der internationalen Politik"
    Münchenberg: Auf die Führungsspitze der SPD kommen wir gleich noch mal zu sprechen. Zunächst vielleicht noch mal der Blick auf das Inhaltliche. Da fällt die Bilanz ja eigentlich ganz ordentlich aus. Wichtige Vorhaben hat die Große Koalition umgesetzt, hat sie abgearbeitet, zum Beispiel die Teilabschaffung des Solidaritätszuschlages. Auch beim Klimapaket sind ja wichtige Punkte abgehakt. Haben SPD und Union geliefert?
    von Alemann: Sie haben schon geliefert. Sie haben am wenigsten Erfolge eigentlich in der internationalen Politik. Das ist aber europaweit. Da gibt es ein zögerliches Verhalten in Bezug auf den Syrien-Konflikt und andere Probleme. Da weiß man selber aber auch nicht, wie es mit dem Brexit weitergeht, und steht da staunend vor dem Londoner Rätsel. Bei der Außenpolitik sieht die Bilanz sehr viel gemischter aus, nach meiner Überzeugung, aber innenpolitisch ist mit den Problemen, mit dem Klimapaket, das manche nur für ein Päckchen halten, durchaus einiges erreicht worden, auch sozialpolitisch. Es ist mir nicht verständlich, warum man bei der Grundrente nicht endlich einen Kompromiss findet, wo man sich beim Widerstand der SPD gegen eine Bedürftigkeitsprüfung irgendwie halb und halb entgegenkommt. Das muss doch irgendwie möglich sein. Da geht es ja wirklich nicht um alles oder nichts. Das ist mir unverständlich. Aber vielleicht erreicht ja diese Arbeitsgruppe, die jetzt eingerichtet worden ist, im Laufe dieser Woche noch ein paar positive Ergebnisse.
    Münchenberg: Stichwort Grundrente, Herr von Alemann. Wieviel Sprengstoff steckt in diesem Streit, denn da geht es ja schon um Substanzielles, und man hat den Eindruck, obwohl die Punkte ja längst alle auf dem Tisch liegen, kommt man da inhaltlich überhaupt nicht voran?
    von Alemann: Ja, das ist schwer zu verstehen für mich, weil die Grundrente natürlich für die Rentner da ist und die Rentner sind bei beiden Parteien, bei der Union und bei der SPD, die Hauptwählergruppe. Und dass man denen etwas Gutes tut, ist im unmittelbaren Interesse dieser beiden Parteien. Ich glaube auch, dass die Wähler der beiden Parteien das nicht wirklich verstehen. Die CDU/CSU ist auch immer eine sozial engagierte Partei gewesen. Sie hat die dynamische Rente erfunden in den 50er-Jahren. Dass man hier keine Einigung erzielt, ist mir einfach unverständlich. Es wäre für beide Parteien auch vor den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen am Sonntag nur positiv, wenn sie sich hier endlich einen Ruck geben würden.
    Grundrente: "Politische Symbolpolitik"
    Münchenberg: Wie bewerten Sie dann Aussagen von Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus, der jetzt gesagt hat, hier gehe Sorgfalt vor Schnelligkeit? Ist das aus Ihrer Sicht glaubhaft?
    von Alemann: Nein, das ist überhaupt nicht glaubhaft. Wenn man sich daran zwei Jahre abarbeitet, dann ist das Sorgfalt genug. Dann ist das gegenseitige Blockade. Von mangelnder Sorgfalt kann man hier wirklich nicht reden. Es geht hier mehr um politische Symbolpolitik, meiner Ansicht nach, auch nicht um wirkliche Substanz in der Politik. Da muss es doch irgendwie möglich sein, einen Kompromiss zwischen den beiden Seiten zu finden.
    Münchenberg: Die inhaltliche Bilanz, Herr von Alemann, ist das eine. Darüber haben wir jetzt gesprochen. Spannend ist ja letztlich auch – das klang vorhin schon an -, wie die SPD sich positioniert, wen sie jetzt als neue Parteispitze wählt. Da muss man schon sagen: Die meisten Duos stehen eher kritisch zur Großen Koalition. Ist denn die Kür der Parteispitze am Ende vielleicht doch ausschlaggebend für den Fortbestand der Großen Koalition?
    von Alemann: Diese Kür wird sicher sehr wichtig sein, aber die wird auch nicht die einzige Frage sein, denn es muss auch ein Parteitag dann darüber entscheiden, ob die Große Koalition fortgesetzt wird. Dieses Zwischenzeugnis, diese Halbzeitbilanz ist ja so eine Sache, denn es ist ja so, als ob die Schüler selber ihr Zeugnis schreiben. Natürlich schreibt die Regierung selber ihre Halbzeitbilanz auf und was sie geleistet hat, und da wird sie sicherlich und werden beide Seiten sicherlich zu einem positiven Ergebnis kommen. Insofern wird es nicht ein überraschendes Ergebnis sein, wenn das Ergebnis von Regierungsseite positiv ist. Wie es dann in der SPD aufgenommen wird, ist die zweite Frage. Aber von den verschiedenen Kandidaten – ich habe das schon anklingen lassen – für den SPD-Parteivorsitz sind meiner Ansicht nach die Favoriten eher diejenigen, die Regierungserfahrung haben und die das durchaus schätzen, wenn eine Partei regiert und damit handeln und damit auch Themen setzen kann und die Agenda bestimmt.
    Koalition - "ein Bündnis, das zusammenbleiben will"
    Münchenberg: Aber steht nicht am Ende nur ein Olaf Scholz tatsächlich für einen unbedingten Willen zur Fortsetzung der Großen Koalition?
    von Alemann: Ich glaube, der Kandidat Walter-Borjans aus Nordrhein-Westfalen, der früher Finanzminister war, steht eigentlich auch dafür. Er sagt es nur nicht so laut, aus wahrscheinlich taktischen Gründen. Diese beiden Paare sind nach meiner Überzeugung die Favoriten und insofern bin ich da in dieser Hinsicht nicht so bedenklich. Ich hielte es auch für töricht, wenn die SPD aus ihrem eigenen Interesse jetzt die Koalition verlassen würde. Es würde vom Wähler als Flucht aus der Verantwortung eingeschätzt. Man muss nur schauen, wie schwach die FDP in den Umfragen, die auch die Verantwortung nicht tragen wollte, in die Regierung einzutreten, in den letzten Monaten abschneidet.
    Münchenberg: Noch mal zusammengefasst. Das höre ich bei Ihnen ein bisschen raus. So richtig ist die Spannung eigentlich jetzt raus aus dem Ganzen? Sie sagen, am Ende werden wir eine Fortsetzung der Großen Koalition erleben?
    von Alemann: Ich weiß es nicht sicher, aber nach meinen Überlegungen ist es so, dass das im Augenblick ein konstruktives Bündnis ist, das zusammenbleiben will, weil gemeinsame Erfolge immer noch besser sind, als wenn ein Partner in die Opposition geht. Aber wir werden es erleben. Auch politische Experten haben sich in der Vergangenheit schon geirrt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.