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Große Koalition
"Probleme geschaffen für die Zukunft"

Der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann hält die Arbeit der Großen Koalition für erfolgreich - allerdings habe sie bei der Rentenpolitik nicht vorausschauend gehandelt, sagte er im DLF. Die könne in den nächsten Jahrzehnten nicht bezahlt werden.

Ulrich von Alemann im Gespräch mit Mario Dobovisek | 31.12.2014
    Porträt von Ulrich von Alemann
    Der emeritierte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann ist sich sicher, dass die Große Koalition bis zum Ende durchhält. (dpa / Heinrich-Heine-Universität)
    Mario Dobovisek: Johanna Uekermann von den Jusos - richten wir die gleiche Frage doch an einen der Beobachter, den Düsseldorfer Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann.
    Ist die Luft raus aus der Großen Koalition, Herr Alemann?
    Ulrich von Alemann: Nein, ich denke nicht, dass die Luft raus ist. Es gibt wirklich noch große Herausforderungen für die Politik in den nächsten Jahren, und ich sehe besonders drei: Föderalismusreform, Europapolitik einschließlich der europäischen Finanzpolitik und eben auch die Infrastrukturpolitik im Land selbst. Das sind für mich wirklich Riesen-Herausforderungen, um die sich die Große Koalition kümmern müsste. Das ist partiell ähnlich, wie wir das eben gehört haben, aber da gibt es also noch lange nicht Ende der Fahnenstange. Da müsste viel getan werden. Ich bin allerdings skeptisch, ob man eine der schwierigsten Fragen, nämlich die Föderalismusreform wirklich wird lösen können, weil die Länder da leider eine Blockadepolitik betreiben können.
    Dobovisek: Wird die GroKo es bis zum Ende ihrer Legislatur durchhalten, mit diesen Herausforderungen sich auseinanderzusetzen? Auch mit den außenpolitischen Herausforderungen, wenn wir hören, dass einige aus der Union schon "Nebenaußenpolitik" dem Außenminister vorwerfen.
    von Alemann: Ja, das sind Geplänkel. Ich bin ganz sicher eigentlich, dass die Große Koalition bis zum Ende durchhält, weil beide Parteien auch auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind. Beim Wähler kommt es ganz schlecht an, wenn einer von beiden die Große Koalition beenden würde, aufkündigen würde, das würde ganz schlechte Voraussetzungen bei den nächsten Wahlen 2017 haben. Also, die Große Koalition, die wird und muss zusammen bleiben, da, denke ich, gibt es keine Alternative dazu.
    "Sie hat allerdings auch Pyrrhussiege"
    Dobovisek: Sie haben von großen Herausforderungen in der Zukunft gesprochen. Wie erfolgreich war die Große Koalition denn bisher?
    von Alemann: Die Große Koalition war schon erfolgreich, und es ist eigentlich ein bisschen merkwürdig, dass man ihr ihre Erfolge vorwirft und sagt, jetzt gibt es gar nichts, so wenig zu tun, ihr habt ja so viel geschafft. Was wollt ihr denn jetzt noch, ihr könnt ja gar nicht mehr neue Herausforderungen finden. Das finde ich eigentlich ein bisschen komisch. Sie hat allerdings auch Pyrrhussiege, also sehr fragwürdige Dinge. Ich würde im Gegensatz zu meiner Vorrednerin die Rentenpolitik, die Rente mit 63, Mütterrente, die würde ich eher zu der Klientelpolitik der beiden großen Parteien rechnen, die beide in ihrer Wählerschaft und in ihrer Mitgliedschaft und bei ihren Funktionären überaltert sind. Und das sind Probleme, die man sich eher geschaffen hat als gelöst hat. Man hat sich Probleme geschaffen für die Zukunft, für die nächsten Jahrzehnte, wo durch die demografische Entwicklung der Überalterung der Bevölkerung diese Rentenpolitik in den nächsten Jahrzehnten praktisch nicht mehr bezahlt werden kann. Und hier hat man noch eins draufgelegt, statt zu überlegen, wie kann man in den nächsten zehn, 20 oder noch eher 30 Jahren eine vorausschauende Politik betreiben.
    Dobovisek: Die arbeitgebernahe Initiative "Neue Soziale Marktwirtschaft" zieht dieser Tage mit großen Anzeigen eine eigene Bilanz des GroKo-Jahres: Rentenpaket, EEG-Subventionen, Mindestlohn, kalte Progression - auf 256 Milliarden belaufen sich demnach die Fehlentscheidungen der GroKo, so heißt es. Werden sich die Wahlgeschenke der großen Koalition noch rächen, Herr Alemann, spätestens an der viel beschworenen Schwarzen Null?
    von Alemann: Ja, ich habe das kritisiert, aber ich kritisiere das nicht in dieser Weise wie diese höchst problematische Lobbyvereinigung "Neue Marktwirtschaft". Die verdeckt eben ihr eigentliches zentrales Unternehmerinteresse. Also so dramatisch sehe ich das zwar nicht, aber es ist eine Entwicklung, die man so nicht weiter führen kann in der Zukunft, wo man neu nachdenken muss. Wir versuchen ja auch, anderen europäischen Ländern, Frankreich insbesondere, zu sagen, ihr müsst hier umsteuern bei der Rente. Ihr müsst hier bei manchen Fragen, die in der Agenda-Politik in Deutschland gelöst worden sind, müsst ihr nachsteuern. Und wenn wir selber hier mit schlechtem Beispiel vorausgehen, dann kann das nicht gut sein.
    Koalition in Thüringen: "Hysterische Reaktionen"
    Dobovisek: Selten waren Bundestagsdebatten langweiliger als im vergangenen GroKo-Jahr, so zumindest mein persönlicher Eindruck. Mit einer riesigen Regierungskoalition und einer verschwindend kleinen Opposition. Ist uns mit der GroKo ein Stück politischer Kultur abhandengekommen?
    von Alemann: Man kann sich das nicht einfach aussuchen. Es gibt nun mal ein Wahlergebnis, das der Wähler so entschieden hat und wo die Politiker nun was draus machen müssen. Welche andere Koalition hätte es denn geben sollen? Es gibt andere Möglichkeiten, es gibt auch andere Mehrheiten im Bundestag, die sind aber einfach nicht realistisch. Rot-Rot-Grün im Bundestag ist einfach nicht zu machen, und es ist eben sehr wohl in einzelnen Bundesländern im Osten zu machen, wie jetzt in Thüringen. Da finde ich die geradezu hysterische Reaktion von vielen völlig daneben. Schließlich hat es und hatte und gibt es in Ostdeutschland seit Langem eine funktionierende rot-rote Koalition in Brandenburg. Es hat Bündnisse unterschiedlicher Art in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt gegeben, und die Aufregung insbesondere heutzutage in Brandenburg ist überhaupt gleich Null. Wenn nun mal die Mehrheiten andersherum sind und eine sehr pragmatische Linkspartei in Thüringen mehr Stimmen hat als die SPD und ein Bündnis mit den Grünen möglich ist, ja, dann kann man auch einen roten Ministerpräsidenten hinnehmen. Dass das plötzlich ein absoluter Bruch sein soll, das kann ich also nicht begreifen.
    Dobovisek: Wir müssen langsam zum Ende kommen. Ulrich von Alemann, Politikwissenschaftler aus Düsseldorf, vielen Dank, und Ihnen ein frohes neues GroKo-Jahr. Auf ein neues Gespräch dann im nächsten Jahr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.