"Und wie alt seid Ihr? - So groß! - Drei Jahre, vier?"
Die Ministerin in ihrem Element. Wann immer Manuela Schwesig ihren Dienstsitz in der Berliner Glinkastraße verlässt, scheint sie auf kleine Wähler von morgen zu treffen. In Fürth sind es Max und Eric, die die Frau aus der Hauptstadt zuerst begrüßen dürfen.
"Das ist ja toll, dass ich euch heute hier besuchen kann. Zeigt ihr mir jetzt alles?"
Erst aber wollen Max und Eric etwas gezeigt bekommen: Sie wollen den großen Bus inspizieren, mit dem Schwesig vorgefahren ist. Also wieder rein ins Auto. Die 40-Jährige weiß, womit kleine Kinder zu begeistern sind. Daheim in Schwerin, erzählt sie schmunzelnd, will ihr siebenjähriger Sohn bespaßt werden, wenn sie vom Regieren zurück ist.
"Die beiden haben mich ja ganz, ganz toll begrüßt, zwei taffe Jungs. Und als die auf einmal neben mir den Bus haben stehen sehen, haben die so ne große Kulleraugen gekriegt, und da machte es sofort klick bei mir, dass ich das von meinem Sohn kannte, das natürlich Bus das Highlight ist!"
Schwesig als das Gesicht der renovierten SPD
Jung, hübsch, modern - vielen gilt Manuela Schwesig als das Gesicht der renovierten SPD schlechthin. Von der von Männern dominierten Parteispitze wird sie schon seit Jahren gepuscht. Nach dem Wahldesaster von 2009 macht sie der oberste Sanierer Sigmar Gabriel zu seiner Stellvertreterin als SPD-Chef. Bundesweit tritt sie in Erscheinung, als sie gegen Christdemokratin Ursula von der Leyen Verbesserungen bei Hartz IV Leistungen und ein Bildungspaket für bedürftige Kinder durchsetzt und damit echte sozialdemokratische Anliegen vertritt. In dieser Woche aber sitzt sie im Bundestag direkt neben der Verteidigungsministerin auf der Regierungsbank.
Von der Leyen profiliert sich unübersehbar als Merkels Kronprinzessin. Ihr Ministersessel ist ein Schleudersitz, doch in Zeiten von Krieg und Frieden bietet er auch die Chance, allen zu zeigen, dass sie Kanzlerin kann. Würde sie nichts riskieren, hat sie kürzlich gesagt, "dann hätte ich kuschelig-warme Familienministerin bleiben können und würde heute noch Mehrgenerationenhäuser eröffnen."
In Fürth besucht Manuela Schwesig ein solches Mehrgenerationenhaus. Erst das Spielen mit Marc und Eric, dann Kaffeetrinken mit Senioren. Ganz nebenbei ist die Sozialdemokratin Überbringerin guter Botschaften:
"Und ich bin sicher, dass wir gemeinsam auch mit dem Parlament einen Weg finden, wie wir das umsetzen können, was im Koalitionsvertrag steht: Die erste Sorge, die kann ich nehmen, wir werden auch die Mehrgenerationenhäuser in 2015 wie bisher weiterfinanzieren!"
Schwesig baggert für ihre Themen. Bessere Aufstiegschancen und bessere Bezahlung für Frauen, das Elterngeld plus, die Familien- und Pflegezeit - seit ihre Parteifreundin Andrea Nahles als Arbeitsministerin einen Haken hinter die sozialdemokratischen Wahlversprechen Mindestlohn und Rente mit 63 gemacht hat, sucht Gabriel nach neuen Aushängeschildern für seine SPD.
SPD setzt auf moderne Arbeitszeitpolitik
Ein großer Schwerpunkt der Arbeit der SPD wird sein das Thema Vereinbarkeit Familie und Beruf, vor allem eine moderne Arbeitszeitpolitik. Dazu zählt auch das große Thema Familie und Pflege, etwas, was viele Menschen bedrückt und belastet, dass sie nicht wissen, wie sie mit dieser Anforderung in Zukunft umgehen sollen.
Aber werden die Wähler all diese Bemühungen 2017 honorieren und das Erreichte bei der SPD verbuchen? In den Umfragen verharrt sie derzeit weit unter der angepeilten 30-Prozent-Marke. Und wie kann sich eine sozialdemokratische Ministerin unter einer christdemokratischen Kanzlerin profilieren? Manuela Schwesig fällt die Antwort hörbar schwer:
"Das sind Aufgaben für die Familienministerin, das sind Aufgaben für die Frauenministerin, und ich bin Teil der Großen Koalition, aber das sind natürlich auch definitiv Themen, die insbesondere SPD am Herzen liegen."
Als sie Anfang des Jahres einen ersten Vorstoß wagt und für Eltern mit kleinen Kindern eine 32-Stunden-Woche ins Gespräch bringt, folgt die Watsche der Chefin auf dem Fuße. Ein „persönlicher Debattenbeitrag" sei das gewesen, lässt Merkel ihren Sprecher erklären. Was aber nicht heißt, dass die Kanzlerin nicht erkennen würde, dass Musik in diesem Thema stecken könnte...
"Familienzeit, Zeit für die Familie, das ist etwas, was ganz wesentlich den Wünschen der Familien entspricht."
Angela Merkel wäre wohl die Letzte, die sich ein Zukunftsthema von den Sozialdemokraten wegschnappen ließe. Vor allem aber: Die CDU-Vorsitzende spürt die wachsende Unruhe unter ihren Parteifreunden darüber, dass die Sozialdemokraten im ersten schwarz-roten Jahr den Ton angegeben haben.
"Zuerst einmal freue ich mich, Sie alle hier in meiner Heimatstadt Gelsenkirchen begrüßen zu können..."
Eine Schul-Aula mitten im Revier. Die einflussreiche Ruhr-CDU mit ihrem Vorsitzenden Oliver Wittke lädt zum Bezirksparteitag. Das hier ist nicht irgendeine Gesamtschule - die Christdemokraten tagen am Ort der Fußball-Weltmeister. Mesut Özil und Manuel Neuer haben hier die Schulbank gedrückt. Und noch etwas: Der Tagungsort ist auch Symbol für eine CDU, die sich der SPD immer mehr annähert. Christdemokrat Wittke findet das nicht schlimm:
"Denn schauen Sie, es ist ja in der Vergangenheit nicht immer so gewesen, dass unsere Partei zu den glühendsten Anhängern von Gesamtschulen gehörte. Da hat sich einiges gewandelt in den letzten Jahren, und das ist wahrscheinlich auch gut so..."
Kein schlechter Ort also, um über die Große Koalition in Berlin zu reden, zumal die Ruhr-CDU viel Hauptstadt-Prominenz in ihren Reihen hat: Norbert Lammert, Philipp Mißfelder; und auch Oliver Wittke ist seit dieser Legislaturperiode Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Das Bündnis mit der SPD funktioniere derzeit prima, findet der Christdemokrat:
"Es gibt eine gute Zusammenarbeit in vielen Feldern. Eine Koalition ist immer schwierig, und man ärgert sich immer über Koalitionspartner, aber das ist wie in einer guten ehelichen Beziehung, da rumst es dann auch mal, aber am Ende muss man sich zusammenraufen, weil man ja die Kinder großkriegen will."
Der SPD ist das mit dem Mindestlohn und der Rente mit 63 gut gelungen in den ersten Regierungsmonaten - zum Ärger mancher Christdemokraten. Vor allem der Wirtschaftsflügel muckt immer wieder auf. Philipp Mißfelder ist Bezirksvorsitzender der Mittelstandsvereinigung CDU Ruhr:
"Wir sollten nicht den Fehler machen, dass wir das, was wir früher an Beschlusslagen, die sehr wirtschaftsfreundlich waren, für richtig gehalten haben, heute zu konterkarieren und nicht mehr zu äußern. Ich glaube, dass ein Wirtschaftsminister Gabriel als Vizekanzler und SPD-Parteivorsitzender so was knallhart ausnutzen wird."
Bisher aber kann Gabriel sich zurücklehnen, denn die Front in der Großen Koalition verläuft weniger zwischen Schwarz und Rot als innerhalb der Unionsparteien selbst. Beispiel Kalte Progression. Mißfelders Mittelstandsvereinigung will die "heimliche Steuererhöhung" beseitigen. Auf dem Bezirksparteitag in Gelsenkirchen liegt dazu ein eigener Antrag vor, den Parteifreund Lammert sogleich in der Luft zerpflückt. Höflich, aber deutlich:
"Also ich verstehe den Antrag, teile die Intention, habe aber insbesondere mit den Punkten zur Umsetzung dieser Absicht erhebliche Probleme, weil ich das zwar populär, aber nicht wirklich durchdacht finde."
Norbert Lammert verweist oben auf dem Podium auf die „oberste Priorität" der Schuldenbremse und Haushaltskonsolidierung, und Mißfelder sitzt hinten in der letzten Reihe und wird gleich kontern, ob denn der „liebe Herr Bundestagspräsident" bei der Verabschiedung der umstrittenen Mütterrente auch ans Sparen gedacht habe. Lammert lässt es dabei bewenden. Dann doch lieber die Maut, da zieht man wenigstens an einem Strang –gegen die CSU. Das Verhältnis zur Schwesterpartei, sagt Philipp Mißfelder:
"Das ist exzellent! Und die Maut wird kommen. Allerdings nicht auf Landstraßen."
Nordrhein-Westfalen ist ein Hort des Widerstands gegen die geplante PKW-Maut. Einstimmig hat die CDU-Landesgruppe im Bundestag kürzlich gegen die Pläne von CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt gestimmt. Das Vorspiel lieferte Armin Laschet. Der Bundesparteivize und Chef der NRW-CDU feuerte in einer tagelangen Medienoffensive gegen die Bayern:
„Wenn man ein Eintrittsgeld nach Deutschland demnächst verlangt, also nicht auf Autobahnen, sondern auf jeder Stadtstraße, jeder Kreisstraße, dann werden viele Gäste aus Niederlanden, aus Belgien, auch aus Luxemburg nicht mehr nach Nordrhein-Westfalen kommen, und das ist ein Rückfall in eine Zeit, als es Grenzen gab."
Kanzlerin keine Freundin der Vignetten-Pflicht
Angela Merkel hält sich unterdessen weitgehend zurück im Maut-Streit, zumindest öffentlich. Dass die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende keine Freundin der Vignetten-Pflicht ist, hört man ihr dennoch an. Gefragt, ob die Maut 2016 wirklich kommt, wie vom CSU-Verkehrsminister geplant, klingt Merkels Antwort gedehnt:
"Ja, ok..., ist ja auch noch ein bisschen Zeit bis dahin, nicht?! Also wir können, müssen noch viele Fragen klären, das ist gar keine Frage, und es wird sicherlich auch eine muntere Diskussion geben, aber wir haben auch den Koalitionsvertrag, und ich denke, zu dem stehen alle."
Der Ton zwischen CDU und CSU ist in den letzten Tagen immer schärfer geworden, doch die Kanzlerin sieht keinen Anlass für ein Machtwort. Das sei unnötig, sagte sie Anfang der Woche dem rbb:
"Das ist nichts Ungewöhnliches, dass es bei solchen Gesetzgebungsvorhaben auch mal unterschiedliche Positionen gibt."
Eine klare Unterstützung für ihren Verkehrsminister, der bereits als "Mister Maut" verspottet wird, ist das nicht. Finanzminister Schäuble durchkreuzt derweil die Pläne der CSU mit eigenen Vorschlägen. Als vor einigen Tagen Interna aus seinem Ministerium an die Öffentlichkeit gelangten, löste das in München einen neuen Wutausbruch aus. Wolfgang Schäuble wurde von Horst Seehofer der Sabotage bezichtigt:
"Wolfgang Schäuble ist ein Gegner der Maut. Dass die Hauptgegnerschaft, auch emotional, im eigenen politischen Lager sitzt, nämlich in der CDU, ist nicht schön, und ich habe der Kanzlerin schon ganz klipp und klar gesagt, das wird die CSU nicht hinnehmen."
Unterm Strich hat die Große Koalition der Seehofer-Partei bisher nur Schlechtes gebracht: Ihr Einfluss in Berlin schrumpft, ihr Image im Maut-Streit leidet: Die Christsozialen wirken provinziell und europafeindlich.
Horst Seehofer droht CDU und SPD jetzt mit einer härteren Gangart – nach den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg. Der eigentlich für morgen geplante Koalitionsgipfel wurde vorsichtshalber schon mal abgesagt – zu viel Streit soll nicht öffentlich werden.
Thomas Oppermann ist das, was man einen sozialdemokratischen Gipfelstürmer nennen könnte. Vor der Wahl war er auf allen Kanälen zu allen Themen präsent, er wollte seine SPD nach oben bringen und selbst Innenminister werden. Daraus wurde nichts, aber Oppermann darf die Fraktion führen und an diesem herrlichen Spätsommertag auch mal auf seinen Hausberg, der allenfalls für ein paar der mitwandernden Journalisten ein schwerer Brocken ist.
"Ich habe mir 1990 vorgenommen, jedes Jahr einmal auf den Brocken zu klettern!"
Strammen Schrittes geht es voran. Der Brocken ist für Oppermann ein Stück Heimat. Nicht weit von hier hat der Niedersachse seinen Wahlkreis.
"Wir sind auf dem ehemaligen Kolonnenweg, nicht weit von hier war der Zaun, der Stacheldrahtzaun... und jeder, der hier lang wandert macht sich natürlich seine Gedanken, auch 25 Jahre nach dem Mauerfall."
Im Februar musste er sich ganz andere Gedanken machen. Da wurde die Luft in Berlin für den 60-Jährigen plötzlich ganz dünn. Die CSU machte ihn für den Rücktritt von Hans-Peter Friedrich verantwortlich, in der Edathy-Affäre habe er vertrauliche Informationen weitergegeben. Das Klima in der Koalition war kurzzeitig vergiftet, und er war dann mal weg, kaum Interviews, wenig Auftritte abseits des Bundestages. Nun kehrt er zurück, und beim Aufstieg wird er schon gefragt, ob er bald denn wieder mediale Gipfel erstürmen wird, um seine SPD aus dem Tal der Tränen zu holen:
"Wir brauchen jetzt keine Gipfelstürmerei, wir brauchen Besonnenheit und Vernunft. Mit den Krisen in der Ukraine und im Irak!"
Doch gerade diese Krisen spielen aus Sicht vieler Sozialdemokraten vor allem einer Christdemokratin in die Hände: der Kanzlerin. Je mehr es in der Welt brennt und Deutschland international gefragt ist, desto mehr schätzt die Mehrheit der Deutschen eine besonnen agierende Angela Merkel.
"Angela Merkel ist in der Bevölkerung beliebt, sie ist mit großer Mehrheit gewählt worden, und derzeit gibt es keinen Grund für die Menschen, diese Wahlentscheidung irgendwie wieder zu negieren."
Das muss selbst die Familienministerin Schwesig einräumen. Auch Frank-Walter Steinmeier punktet mit seinem Krisenmanagement, in den Beliebtheitswerten liegt er zeitweise sogar vor der Kanzlerin, doch das war zum Ende der letzten Großen Koalition nicht anders, und als Kanzlerkandidat fuhr der damalige und heutige Außenminister eine historische SPD-Niederlage ein.
"2017 wird es vielleicht eine Konstellation ohne Frau Merkel geben. Das wird die Geschichte verändern!"
Hofft Ulrich Maly, der SPD-Oberbürgermeister von Nürnberg. Als Städtetags-Präsident kann er sich aber auch vorstellen, dass die Neuordnung der Finanzen das Blatt zugunsten der SPD wenden könnte. Wenn es ums Geld geht, das bei den Menschen ankommt, werden sie genau hinschauen, wo sie ihr Kreuzchen machen:
"Eigentlich muss bis zur nächsten Bundestagswahl das Thema Länderfinanzausgleich, Solidarpakt, Stichwort Infrastruktur in Deutschland, in irgendeiner Form abgeräumt sein. Da wird es schon die Diskussion geben, ob das staatliche Steueraufkommen für unsere Ansprüche an einen modernen Staat ausreicht. Die Diskussion führen wir!"
Also doch noch einmal ein Steuerwahlkampf mit der Forderung, den Reichen stärker in die Taschen zu greifen? Nicht mit Sigmar Gabriel! Der Parteichef ist gerade dabei, die politische Mitte für die Sozis zurückzuerobern. Wirtschaftsfreundlich, mittelstandsnah, so will er seine Partei aufstellen. Aber nähert er sich damit nicht erst recht einer sozialdemokratisierten Union an? Und welche Möglichkeiten hat der Vizekanzler überhaupt, sich von der Chefin abzusetzen?
"Es ist natürlich eine Herausforderung, diesen Spagat zu machen. Auf der einen Seite, wichtige konstruktive Regierungsarbeit zu leisten, auf der anderen Seite auch immer den Anteil der SPD nach außen hin darzustellen."
Markus Braun, Bürgermeister im bayerischen Fürth, weiß um die Nöte seines Parteivorsitzenden. Hinter verschlossenen Türen hat Gabriel gerade über Kabinettskollegin von der Leyen gestänkert, die lasse sich auch am Fotokopierer noch mit pathetischem Blick in den Himmel fotografieren, hat er vor der Fraktion gewitzelt. Ein kleiner Hinweis, dass es ihn manchmal juckt, die Keule gegen die Union zu schwingen. Doch die Koalitionsdisziplin wird ihn zwangsläufig bändigen, das ahnt auch Alfons Kirchner, der 36 Jahre Geschäftsführer der Fürther SPD war.
"Im Moment hat er da Schwierigkeiten, weil sie müssen sich an den Koalitionsvertrag halten. Nur: Sie müssen Obacht geben, dass sie ihre Sachen dann auch in die Öffentlichkeit bringen. Nicht dass dann am Ende wieder die glänzende Frau die Frau Merkel ist, und die SPD schaut wieder hinternach!"
Während SPD und Union im aktuellen Deutschlandtrend beide leicht an Zustimmung verloren haben, bleibt Angela Merkel fast ein Jahr nach ihrer Wiederwahl unangefochten auf Platz 1: Mit 74 Prozent ist die Kanzlerin die beliebteste Spitzenpolitikerin der Republik.
"Vor wenigen Tagen hat ein Fernsehsender mir gesagt, sagen Sie mal eine Antwort: Merkel, Merkel, Merkel, Merkel, Merkel. Was hat die CDU noch? Da hab ich gesagt: Merkel!"
Schwärmereien dieser Art, wie sie von Parteivize Armin Laschet stammen, quittiert Bruno Kleine Stegemann äußerst zurückhaltend. Der Christdemokrat amtiert als Stadtverbands-Vorsitzender in Haltern am See, einer 38.000-Seelen-Gemeinde am nördlichen Rand des Ruhrgebiets. Gefragt nach Angela Merkel fällt auf, dass Kleine Stegemann das Wort „leider" benutzt:
"Die Erfolge der CDU sind personifiziert in erster Linie durch die Bundeskanzlerin, das ist leider so."
Im Großen und Ganzen ist Kleine Stegemann zwar sehr zufrieden mit Merkel, aber eines fehlt ihm dennoch: Ein klares christdemokratisches Profil in der Großen Koalition. Das liege durchaus auch am Personal, sagt der 65-Jährige.
"Der Herr Gröhe, ja gut, der mag seine Arbeit gut machen, aber öffentlichkeitswirksam ist seine Arbeit nicht. Wer natürlich in der Öffentlichkeit seinen Job hervorragend darstellt, ist Ursula von der Leyen. Ob das immer so richtig ist, mag mal dahingestellt sein, aber wenn Sie dann an viele andere Minister denken, wie heißt der Landwirtschaftsminister? Müsst ich erst mal überlegen, und so geht's mir mit einigen anderen Ministern auch..."
Gelegentlich fragt sich Bruno Kleine Stegemann deshalb, wie es um die Zukunft seiner Partei bestellt ist.
"Angela Merkel wird den Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus der Politik selbst bestimmen. So, und was kommt danach?! Ich sehe im Moment da keinen. Natürlich gibt's da ein paar Personen, aber so richtig einen Knaller - das ist er oder das ist sie - sehe ich nicht."
Die allzu starke Fixierung seiner Partei auf Angela Merkel sei das eine. Aber, der Stadtverbands-Vorsitzende sieht die Quelle manchen Übels auch in der Großen Koalition: Die Streitereien, etwa um die Maut, wirkten kleinkariert - und angesichts der weltpolitischen Lage unangebracht. Außerdem kritisiert Kleine Stegemann, dass jeder Koalitionspartner munter seine Lieblingsprojekte verwirkliche - die SPD den Mindestlohn, seine eigene Partei die Mütterrente - und am Ende koste das alles viel zu viel Geld. Die Stimmung an der Basis, sagt Bruno Kleine Stegemann, sei deshalb eher verhalten:
"So ganz zufrieden ist mit der Bundespolitik niemand. Allerdings muss ich auch dazu sagen: Es überwiegt im Moment sehr stark die Sorge um die außenpolitischen Probleme, und die überlagert im Moment alles, was so an innenpolitischen Problemen da ist."
Oliver Wittke, Bundestags-Abgeordneter aus Gelsenkirchen, sieht genau in der Außenpolitik ein gewichtiges Pfund - zugunsten nicht nur der Kanzlerin, sondern der ganzen Partei. Nichts schärfe das Profil der CDU derzeit besser als Merkels internationale Diplomatie:
"Wir wollen uns nicht in die Büsche schlagen in der Außenpolitik, und das ist genau der Kurs, den Angela Merkel jetzt verfolgt. Und er scheint ein erfolgreicher zu sein. Wenn ich mir die unterschiedlichen Krisenherde anschaue, ist diejenige in Europa, die als erste als Ansprechpartnerin zur Verfügung steht, immer Angela Merkel. Also wir haben auch Inhalte zu bieten neben der Person."