Christine Heuer: Um kurz vor fünf heute war klar: die Große Koalition kommt. SPD und Union haben sich auf einen Vertrag geeinigt. Nach den Parteispitzen hat auch die sogenannte große Runde der Verhandler dem zugestimmt.
In Berlin begrüße ich am Telefon nach einer sehr langen Nachtsitzung und deshalb umso herzlicher die Generalsekretärin der SPD und künftige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Oder, Frau Nahles? Guten Morgen!
Andrea Nahles: Guten Morgen, Frau Heuer. Das war so ein schöner Morgen, jetzt muss ich direkt schon wieder korrigieren und sagen, dass wir keine Ressortfestlegungen getroffen haben, was auch meine Person mit einschließt.
"Ein sehr guter Koalitionsentwurf"
Heuer: Einen Versuch war es wert. Wieso sagen Sie das denn nicht, wer Minister wird aus der SPD? Ist ja keine Schande.
Nahles: Das ist richtig. Aber wir haben unseren Mitgliedern gesagt, es geht hier um Inhalte, und darum haben wir uns bemüht. Wir sind da erfolgreich gewesen aus meiner Sicht, können einen sehr guten Koalitionsentwurf jetzt vorlegen, und jetzt entscheiden unsere Mitglieder.
Heuer: Aber nicht übers Personal? Das gehört nicht zu dem, wozu die Basis befragt werden soll? Warum?
Nahles: Erst mal ist das Entscheidende - und das haben wir auch seit Wochen gesagt und ich glaube da auch fest dran - das Ergebnis in der Sache, dass wir die Lebensbedingungen für viele Millionen Menschen in Deutschland verbessern können. Mit der Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohns von 8,50 Euro haben wir da einen wichtigen Schritt getan. Aber das ist natürlich jetzt nicht das Einzige. Wir haben ja auch zum Beispiel sehr klare Aussagen darin enthalten, wie das Werkvertragsunwesen, was sich in Deutschland verbreitert hat, bekämpft werden kann. Rentenpolitisch sind wir gute Schritte weitergekommen. Und nicht zuletzt wollen wir auch mehr investieren in Bildung und unsere Kommunen entlasten. Dieses Paket haben wir geschnürt, und das ist gut.
Steuererhöhungen nicht durchsetzbar
Heuer: Jetzt haben Sie eine Frage, die ich gar nicht gestellt habe, beantwortet. Ich wollte die Frage nach Ihren größten Erfolgen bei diesen Verhandlungen stellen. Dann kommt aber die nächste Frage: Was ist denn das größte Opfer der SPD? Worauf haben Sie verzichtet und fanden das besonders schmerzlich?
Nahles: Nun, wir haben gerade in den frühen Morgenstunden sehr hart noch mal über die finanziellen Spielräume verhandelt und da natürlich gemerkt, dass vieles, was wir für notwendig erachten, dann gemacht werden kann, aber gerade was die Investitionen in die Infrastruktur angeht, hätten wir sicherlich mehr für sinnvoll erachtet. Ohne Steuererhöhungen war das aber nicht möglich, weil wir uns natürlich auch einem soliden Haushalt verpflichtet sehen und neue Schulden nicht machen wollten. Da sind wir schon dann an dem Punkt gewesen, den wir auch immer vorausgesagt haben: Wir hätten für nachhaltige Investitionen in unserem Land eine Erhöhung der Steuern für Spitzenverdiener in unserem Land für richtig erachtet, aber nicht durchsetzen können.
Heuer: Genau, die kommen jetzt nicht. Wie wollen Sie Ihre Pläne denn dann finanzieren?
Nahles: Nun, wir haben ja konkrete Finanzierungsvorschläge gemacht. Das heißt: zum Beispiel sechs Milliarden zusätzlich für die Kitas, für die Schulen und Hochschulen. Das ist möglich gewesen, weil unser Land zurzeit auch wirtschaftlich gut dasteht. Aber wie gesagt: da hätte es, gerade was die Verkehrsinfrastruktur angeht, aus unserer Sicht mehr sein müssen. Nun müssen wir das hinkriegen mit den Mitteln, die wir haben. Damit sind wir auch zufrieden. Das ist ein erster richtiger Schritt und deswegen will ich jetzt das auch gar nicht kleinreden.
"Wir haben das solide finanziert"
Heuer: Aber, Frau Nahles, Sie wollen ja gar nicht auskommen mit den Mitteln, die Sie haben. Die Große Koalition veranschlagt Mehrkosten von 23 Milliarden Euro. Damit werden Sie das alles gar nicht bezahlen können. Helfen Sie uns doch mal rechnen, wie soll das gehen.
Nahles: Ich kann das und will das jetzt hier heute Morgen im Detail nicht im Radio. Das wird alles nachzulesen sein, wir haben das solide finanziert, darum wurde lange gerungen. Unsere Aussagen sind: keine Neuverschuldung und solide Finanzen. Das können wir einlösen und trotzdem Investitionen mobilisieren. Das haben wir eben der starken wirtschaftlichen Situation unseres Landes auch zu verdanken. Ich denke, da sind wir jetzt gut unterwegs. Wie gesagt: Für uns stand im Mittelpunkt, dass wir Lebensbedingungen verbessern, viele Punkte wie zum Beispiel Equal Pay, gerade auch zwischen Männern und Frauen und zwischen Leiharbeitern und Normalarbeitern. Das kostet jetzt erst mal nichts. Oder auch der Mindestlohn, der bringt sogar zusätzliche Sozialversicherungsbeiträge und Steuereinnahmen. Vieles von dem, was wir Gutes erreichen können, das erreichen wir durch mehr Recht und Ordnung, auf dem Arbeitsmarkt beispielsweise. Es sind nicht die Kosten allein im Mittelpunkt. Wir haben beides hingekriegt, Investitionen und Reformen, die den Menschen nutzen.
Heuer: Aber, Frau Nahles, allein die Rentenpläne, die abschlagsfreie Rente mit 63, die Mütterrente, die im Gegenzug die Union wollte, all das kostet mehr als 20 Milliarden Euro. Heißt solide Finanzen bei Ihnen, Sie plündern jetzt die Rentenkassen und schröpfen diejenigen, die einzahlen, nämlich die Beitragszahler weiter?
Nahles: Wir haben den Menschen Zusagen gemacht, dass wenn wir gewählt werden, wir uns darum bemühen wollen, dass man mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen kann, wenn man langjährige Beiträge auch gezahlt hat, und genau das haben wir umgesetzt. Wir haben die Mütterrente jetzt, das ist aufgrund auch der Situation - die Rentenversicherung hat eine hohe Rücklage - möglich. Wir haben allerdings auch klar gesagt, dass wir den Steuerzuschuss zur Rente auch steigern müssen, damit wir am Ende unsere gemeinsamen Ziele, dass wir die Beitragssteigerung vermeiden können, erreichen. Das ist sicherlich ein ambitionierter Punkt gewesen, das hat uns auch viele Stunden Verhandlungen gekostet, aber so, wie wir es jetzt hingekriegt haben, können wir es schaffen, alles zusammen. Das wird möglich sein und damit lösen wir das, was viele Menschen auch von uns erwartet haben, ein. Deswegen sehe ich das als großen Erfolg und ich glaube, da sind die Menschen auch sehr zufrieden mit, mit dem Ergebnis.
"Ich glaube, wir haben gut verhandelt"
Heuer: Wie zufrieden kann die SPD-Basis sein? Oder anders gefragt: Wie sicher sind Sie, dass Ihre Parteibasis am Ende Ja sagt zu diesem Koalitionsvertrag?
Nahles: Ich kann nur einfach das Angebot machen - wir werden das jetzt im wahrsten Sinne des Wortes eintüten; wir werden einen Brief mit Abstimmungskarte jetzt fertigmachen und rausschicken, sodass Anfang nächster Woche die Unterlagen bei unseren Mitgliedern sind -, das Angebot machen zu gucken, was wir ausgehandelt haben. Ich bin sehr selbstbewusst, was das Ergebnis angeht. Ich glaube, wir haben gut verhandelt. Und wenn das unsere Mitglieder auch so sehen, dann haben wir keinen Grund, da Sorge zu haben. Ich denke, es ist uns gelungen. Aber mit Verlaub: Entscheiden kann ich nicht. Ich habe genau wie alle anderen Mitglieder der SPD eine Stimme.
Heuer: Wir wissen nicht, wie das ausgeht, aber mal Gesetz der Fall, die SPD-Basis sagt Nein, was passiert dann? Neuwahlen?
Nahles: Darüber spekuliere ich jetzt ehrlich gesagt nicht. Ich bin ziemlich sicher, dass wir mit dem Ergebnis dem Ja deutlich näher sind als einem Nein, und deswegen spekuliere ich auch nicht über diesen Fall.
Heuer: Andrea Nahles, SPD-Generalsekretärin und vielleicht, ich sage es noch mal, die künftige Bundesarbeitsministerin, im Interview mit dem Deutschlandfunk nach einer sehr langen Nacht. Haben Sie vielen Dank, Frau Nahles, und ruhen Sie sich jetzt ein bisschen aus, wenn es geht.
Nahles: Das mache ich! Vielen Dank auch! Tschüß!
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