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Große Reden
"No pasarán - Sie kommen nicht durch"

Am 19. Juli 1936 rief Dolores Ibárruri über Radio Madrid zur Verteidigung der Demokratie auf. Die leidenschaftliche Rednerin lieh sich dafür einen französischen Schlachtruf aus dem Ersten Weltkrieg aus. In Spanien hatte gerade das Militär gegen die Zweite Spanische Republik geputscht. Der grausame, spanische Bürgerkrieg hatte begonnen.

Hans-Günter Kellner über ein verschollenes Tondokument und seinen Nachhall weit über Spanien hinaus |
    Dolores Ibarruri, Mitglied des Politbüros der kommunistischen Partei, bekannt als La Pasionaria.
    Dolores Ibarruri, Mitglied des Politbüros der kommunistischen Partei, bekannt als La Pasionaria. (imago stock&people)
    Aufnahmeprüfungen an der Complutense-Universität in Madrid. Studenten strömen in das Gebäude der medizinischen Fakultät. Für den enormen Schaukasten in der Empfangshalle haben sie keinen Blick. Er zeigt den gesamten Campus der Hochschule - allerdings mit zerstörten Gebäuden. Gräben durchziehen das Universitätsgelände, manche rot, manche blau gefärbt. Es ist der Verlauf der Schützengräben - die Front des spanischen Bürgerkriegs, erklärt José Antonio Zarza:
    "Der Staatsstreich ist im Juli 1936, diesen Frontverlauf haben wir im November. Franco wollte Madrid vom Norden her überfallartig einnehmen. Aber die Truppen der Republik schafften es, ihn in der Sierra von Madrid zu stoppen. Dank deutscher Hilfe konnte er jedoch seine Truppen aus Nordafrika auf die iberische Halbinsel übersetzen. Mit ihnen kommt er über Andalusien und die Extremadura, also vom Süden, in Richtung Madrid. Am 7. November beginn die Schlacht hier direkt vor der Stadt."
    Entscheidend bei der Verteidigung der Universitätsstadt seien die Internationalen Brigaden aus Deutschland, Ungarn und Polen gewesen, erzählt Zarza. Er gehört einem Verein an, der Führungen durch das Madrid der Zeit des Bürgerkriegs organisiert.
    Die Zeit des Radios
    Es war die Zeit des Radios. Dolores Ibarruri, Mitglied des Politbüros der kommunistischen Partei, appellierte mit ihren berühmten Propagandareden über Radio Madrid an den Durchhaltewillen der von italienischen und deutschen Bombenangriffen gepeinigten Madrider Bevölkerung.
    Ihre berühmteste Rede ist jedoch nicht mehr als Tondokument überliefert. "Arbeiter, Bauern, Antifaschisten, spanische Patrioten! Angesichts des militärisch-faschistischen Aufstands - steht auf, verteidigt die Republik, verteidigt die Freiheit und die demokratischen Errungenschaften des Volkes!", sagte die schon damals berühmte Rednerin über Radio Madrid: "Das ganze Land zittert vor Empörung vor diesen Entseelten, die das demokratische Spanien versenken wollen in einer Hölle aus Terror und Tod", heißt es weiter, und: "¡No pasarán!" - Sie kommen nicht durch!
    Ein Schlachtruf als Marke
    "No pasarán!" Ein Ruf, den Dolores Ibarruri zwar weltberühmt gemacht hat, der aber nicht von ihr stammt. Die französische Propaganda benutzte ihn während des ersten Weltkriegs und richtet ihn an Frankreichs Soldaten. Doch heute ist er eng mit dem spanischen Bürgerkrieg verbunden: "Der Slogan ist zu einem Symbol der spanischen Linken geworden. Wie viele andere. Er wird bei sozialen Protesten verwendet wie auch bei Wahlen. Er ist eine Marke geworden."…erzählt Zarza weiter, während er auf Einschusslöcher an der Fassade der Madrider Universität zeigt. Zwischen den Schützengräben der verfeindeten Verbände verlief lediglich die heute vierspurige Avendia de Complutense: "Mitglieder der regimekritischen russischen Punkband Pussy Riot trugen den Slogan "No paarán" auf ihren T-Shirts bei ihrer Gerichtsverhandlung in Moskau. Das ist völlig international geworden, unabhängig vom eigentlichen Ursprung. Der spanische Bürgerkrieg hat ja mehrere Redewendungen international eingebracht, so auch das Wort von der "Fünften Kolonne Moskaus".
    Mythos des Widerstands
    Am Ende mussten die Verteidiger trotzdem kapitulieren, die Faschisten errichteten später sogar ein Siegestor am Stadtrand, genau dort, wo sie in die Madrid einmarschiert sind. Die Franco-Propaganda machte sich in Liedern zum Paso-Doble-Takt darüber lustig, dass sich das "no pasarán" letztlich nicht bewahrheitet hat. Diese Spottgesänge sind längst vergessen, der Ausruf von Dolores Ibrruri hingegen ist zum Mythos des Widerstands gegen einen scheinbar übermächtigen Gegner geworden. Kommerzialisieren lässt er sich aber gerade darum nicht, sagt Jaime Pastor, Politologe an der Complutense-Universität: "'No pasarán' erinnert an die beiden Spanien. An das rechte, faschistische und auch konservative Spanien und das linke, das republikanische Spanien. Dieser Ausruf lässt sich nur schwer von der Zweiten Republik und dem Bürgerkrieg lösen, von dem Freund-Feind-Prinzip. Darum ist es so schwer, das 'No pasarán' in der Werbung einzusetzen, wie es mit anderen revolutionären Symbolen oder Slogans der Studentenbewegung von 1968 heute geschieht."
    "No pasarán" prägte den Blick auf Dolores Ibárruri. Die wegen ihrer leidenschaftlichen Reden auch "die Pasionaria" genannte Baskin wurde für die Faschisten zwar zum roten Tuch, doch ihre Rolle bei den Säuberungsaktionen innerhalb des republikanischen Lagers, insbesondere gegen Anarchisten, wurde später kaum diskutiert.
    Umstrittene Rednerin
    "Dolores Ibarruri ist eine sehr widersprüchliche Figur. Sie ist auf der einen Seite das Symbol für den antifaschistischen Widerstand. Aber sie war auch eine Stalinistin, extrem kritisch mit den Anarchisten, mit den Bauernkollektiven in Aragón, auch mit der Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit. Aber daran denkt heute kaum noch jemand. Sie ist heute einfach ein Symbol für den Widerstand gegen Franco. Ich erinnere mich gut an ihre Bestattung 1989 in Madrid, da nahmen Tausende teil, die gesamte alte Opposition des Franco-Regimes."
    Aber auch wenn Demonstranten noch heute gegen Sozialkürzungen oder Hochschulreformen "No pasarán" rufen oder auch enttäusche Podemos-Anhänger nach dem letzten Wahlsieg der konservativen Volkspartei - So langsam verhallt auch dieser Ruf in der Geschichte. Auf die Frage nach dem "No pasarán" antworten junge Studenten der Madrider Universität:
    "Das haben wir noch nie gehört."
    "No pasarán - keine Ahnung, was ist das? Das hört sich für mich an nach sozialen und politischen Auseinandersetzungen an. Aber ganz konkret? - Bürgerkrieg. Na ja, die Verteidiger der Republik bestimmt. Nicht?"
    "Gibt es eine Rede? Das wusste ich nicht."
    "Die Pasionaria. Ja, No pasarán - das Motto der Verteidiger von Madrid!"
    Die Ereignisse des Bürgerkriegs spielten im Schulunterricht auch keine große Rolle, erzählen die Erstsemester. Nicht jeder würde gerne mehr darüber erfahren: "Wir sind dafür verantwortlich, was jetzt geschieht, aber nicht dafür, was früher einmal passiert ist. Ständig ist vom Bürgerkrieg die Rede. Das ist für nichts gut."
    "Ich denke nicht, dass wir das alles vergessen dürfen. Dann begehen wir die alten Fehler wieder. Wer das nicht will, muss sich erinnern."