Arndt Reuning: In Jackson im US-Bundesstaat Wyoming stand Dirk Lorenzen im Mondschatten. Das wichtigste Thema bei einer Finsternis ist immer das Wetter. Wie war es gestern?
Dirk Lorenzen: In Jackson war es perfekt klar, wie in weiten Teilen der Finsterniszone. An den meisten Stellen war die totale Sonnenfinsternis bestens zu beobachten. An einigen Stellen störten allerdings durchziehende Wolken und insbesondere Richtung Ostküste gab es auch Pechvögel, die gar nichts zu sehen bekommen haben.
Reuning: Wie läuft so eine totale Sonnenfinsternis ab?
Lorenzen: Es ist immer wieder überwältigend: Mitten am Tag wird der Tag zur Nacht. Für mehr als zwei Minuten hat der Mond die Sonnenscheibe komplett abgedeckt, es reißt einen wirklich mit. Die hellsten Sterne und Planeten sind am Himmel zu sehen - und vor allem die wunderbare Atmosphäre der Sonne, die Korona. Die wird sonst von der hellen Sonnenoberfläche überstrahlt. Bei einer totalen Finsternis ist sie gut zu sehen. Gestern war sie besonders stark strukturiert, das sah fast aus wie eine große Blume am Himmel, in der Mitte dieser schwarze Kreis des Neumondes, und umgeben von dieser wunderbar feinen Sonnenkorona, die federartige, fast wie Blütenblätter Strukturen hatte, die weit hinaus ins All laufen. Also es war überwältigend schön.
Reuning: Welches Interesse haben denn die Forscher daran?
Lorenzen: Auch die Forscher interessieren sich für die Sonnenatmosphäre, die Korona. Denn die ist für die Forscher seit langer Zeit eine ganz harte Nuss. Die Korona besteht aus Gas, dass mehr als zwei Millionen Grad Celsius heiß ist - allerdings befindet sich dieses Gas unter der vergleichsweise kühlen Sonnenoberfläche, die hat "nur" eine Temperatur von gut 5000 Grad. Das ist ein bisschen so, als würde ein Topf Wasser auf einer lauwarmen Herdplatte kochen. Deswegen haben die Wissenschaftler viele Teleskope entlang des Totalitätsstreifens verteilt, NASA-Forschungsflugzeuge sind mit dem Schatten mitgeflogen, um so die Totalität um einige Minuten zu verlängern, es sind auch Dutzende Forschungsballone aufgestiegen, alles mit dem Ziel, die Sonne zu beobachten, um mehr über die rätselhafte Heizung der Sonnenkorona herauszubekommen.
Sonnenfinsternis auch heute noch eine seltene Gelegenheit für die Forschung
Reuning: Aber müssen denn die Forscher unbedingt auf eine Sonnenfinsternis warten? Es gibt doch heutzutage auch ganz andere Möglichkeiten, die Sonne ins Blickfeld zu nehmen, etwas vom Weltall aus mithilfe von Satelliten?
Lorenzen: Tatsächlich sind solche Beobachtungsdaten von Sonnenfinsternissen immer noch sehr wichtig. Vermutlich wird die Sonnenkorona durch magnetische Prozesse aufgeheizt. Um die zu untersuchen, müssen die Forscher den Übergang von der Sonnenoberfläche zur Atmosphäre detailliert beobachten. Das geht tatsächlich nur bei einer Sonnenfinsternis und nicht mit Satelliten. Die können zwar eine Art künstliche Sonnenfinsternis in ihren Teleskopen herstellen, aber das ist der künstliche Mond immer zu groß, der deckt dann auch den interessanten Bereich mit ab. Deshalb braucht man eben die Sonnenfinsternis.
Daher hatten die Sonnenforscher 60 kleine Teleskope entlang der Schattenzone postiert. Damit haben Astronomen, aber auch Studenten und begeisterte Amateure die innere Korona überwacht. Jetzt hat man einen Datensatz über anderthalb Stunden, so lange der Mondschatten zum Überqueren der USA gebraucht hat. Das sind einzigartige Daten. Da hoffen die Forscher, dass sie besser lernen, welche Prozesse sich in der unteren Korona abspielen, wie schnell sie ablaufen und wie die zu der hohen Temperatur in der Korona führen.
Physiker untersuchen bei einer Finsternis auch irdische Phänomene
Reuning: Sind denn nur die Astronomen an der Sonnenfinsternis interessiert oder fällt für andere Disziplinen auch die eine oder andere Erkenntnis ab?
Lorenzen: Auch andere interessieren sich: Da geht es zum Beispiel um die Ionosphäre, den obersten Bereich der Erdatmosphäre. Da haben Physiker untersucht, wie die Einstrahlung der Sonne die Ionosphäre beeinflusst. Das geht am besten, wenn zwischendurch die Sonne mal zwei Minuten "ausknipsen" lässt und dann schaut, wie verändert sich dann dieser Bereich der Ionosphäre, in die dann kein Sonnenlicht kommt.
Ich persönlich finde die biologischen Projekte sehr schön: Da geht es zum Teil um Tierbeobachtung. Ökologen haben mehr als 100 Mikrofone quer über die USA in der Natur verteilt, um sich anzuhören, wie die Tiere auf das plötzlich ausbleibende Sonnenlicht reagieren.
Ich selbst habe von meinem Beobachtungsberg aus eine Rinderherde im Blick gehabt. Das war sehr interessant: Die Rinder haben sich zur Totalität hin alle versammelt, als wäre es Abend. So eine Sonnenfinsternis ist sehr vielschichtig: Es geht zum einen um harte Sonnenphysik, aber auch darum, wie Mensch und Natur auf das Verschwinden von Licht und Wärme reagieren.