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Meere
Große Sorgen um Nordsee und Ostsee

Forscher und Experten machen sich zunehmend Sorgen um die Nordsee und die Ostsee. Beide Meere sind demnach in keinem guten Zustand. Geisternetze, alte Munition aus den Weltkriegen, Erderwärmung, wirtschaftliche Ausbeutung - die Liste der Gefahren ist lang und das Ausmaß der Bedrohungen für die Menschen an ihren Küsten und die Tiere in ihren Fluten damit groß.

    Regenwolken über den Randdünen am Nordstrand von Norderney
    Der Meeresbeauftragte der Bundesregierung, Unger, nennt den Zustand von Nord- und Ostsee besorgniserregend. (imago stock&people / Priller & Maug)
    Der Meeresbeauftragte der Bundesregierung, Unger, nennt den Zustand von Nord- und Ostsee besorgniserregend. Das hat unter anderem mit Massenvermehrungen von Algen zu tun. Damit müsse vor allem die Ostseekämpfen, sagte er jüngst dem Portal "web.de." Die Algen stürben ab, sänken auf den Grund und führten zu hohem Sauerstoffverbrauch. Das sei wie bei einem See, der umkippt.
    Bei der Nordsee kämen neben einem sinkenden Fischbestand und den Folgen des Klimawandels ein starker Schiffsverkehr sowie die Ausbeutung von Öl und Gasreserven hinzu, führte Unger aus. Das bringe Lärm, Verschmutzung und die Zerstörung von Lebensraum mit sich. Der Ausbau der Windkraft stelle den Meeresschutz gerade in der Nordsee vor zusätzliche Herausforderungen.

    Mehr als 26 Tonnen Schlepp- und Stellnetze geborgen

    Auch andere verweisen vor allem auf die Problematik des Sauerstoffmangels im Tiefenwasser. Der Leiter des Instituts für Ostseefischerei, Christopher Zimmermann, erklärte der größte Stressfaktor für das Ostsee-Ökosystem sei die Überdüngung. Das Zuviel an Nährstoffen sorge für übermäßige Algenblüten und führe nach deren Absterben zu der Sauerstoffarmut. Die Professorin für Marine Biogeochemie an der Uni Rostock, Maren Voß, erklärte, in den Sedimenten der Ostsee lebten keine Muscheln, Schnecken und Krebse, die potenziell als Nahrung für Fische dienen könnten. Ursächlich seien insbesondere Nitrat und Phosphat, die etwa durch die Landwirtschaft.
    Die Naturschutzorganisation WWF machte vergangene Woche auf das Problem der "Geisternetze" aufmerksam. Im Beisein von Bundesumweltministerin Lemke versuchte sie, vor der Insel Fehmarn ein großes Kunststoffnetz zu bergen, das Meerestiere bedroht. Als Geisternetze werden herrenlose Fischernetze bezeichnet, die beim Fischfang beispielsweise an Wracks oder Steinen am Meeresgrund hängen blieben. Sie werden so zur Gefahr für Fische oder Schweinswale. Der WWF hat seit 2015 nach eigenen Angaben bereits mehr als 26 Tonnen Schlepp- und Stellnetze geborgen - in Fischereigebieten der Ostsee von Usedom bis zur Flensburger Förde.
    Ein spezielles Problem ist die Belastung durch versenkte und rostende Altmunition aus den beiden Weltkriegen. Mehr als eine Million Tonnen Kampfmittel liegen vermutlich allein in der deutschen Nordsee, oft in untergegangenen Kriegsschiffen. Projekte zur Erforschung der Auswirkungen und zur Bergung sind noch relativ jung. Der Unterwasser-Archäologe vom Deutschen Schifffahrtsmuseum, Philipp Grassel, sprach bei einer Forschungsfahrt vor zweieinhalb Jahren von "Pionierarbeit".

    Alte, sich zersetzende Waffen, Minen, Granaten und Bomben

    Versuche in der Ostsee hätten aber schon gezeigt, dass von alten, sich zersetzenden Waffen, Minen, Granaten und Bomben Gefahren für die Umwelt ausgehen. Im Frühjahr wurde ein Pilotprojekt gestartet, um die Munition aus Nord- und Ostsee zu entfernen. Damals hieß es, man entwickele eine Pilotanlage zur Bergung und Vernichtung, die in ein bis zwei Jahren in Betrieb gehen könnte. Allerdings wird auch nach wie vor wird über die Finanzierung diskutiert. (Nähere Hintergründe liefert eine aktuelle DLF-Reportage)
    Die Meere sind nach den Worten des Meeresbeauftragten Unger "einer unserer Hauptverbündeten im Kampf gegen die Klimakrise". Ein Großteil der durch den Menschen verursachten Klimaerhitzung und gut ein Viertel des CO2-Ausstoßes werde von den Meeren bisher noch "abgepuffert", erläuterte er. Zugleich würden sie immer wärmer und saurer. Dem Leiter der Abteilung Marine Ökosystemdynamik und Management, an der Universität Hamburg, Christian Möllmann, zufolge gehört die Ostsee zu den sich am stärksten erhitzenden Teilen der Weltmeere.

    "Die zentrale Nordsee zum Beispiel war dieses Jahr außergewöhnlich warm"

    Das Bundesamt für Schifffahrt und Hydrographie (BSH) maß dieses Jahrfür die Nordsee den fünftwärmsten Sommer. Für die Ostsee ordnet es den Sommer als den bislang zehntwärmsten seit Beginn der eigenen Aufzeichnungen ein. Einige Regionen in beiden Gewässern stechen bei den Temperaturen heraus. Besonders die zentrale Nordsee, die Bereiche vor der britischen Küste und der nördlichste Teil der Ostsee seien dieses Jahr außergewöhnlich warm gewesen, teilte BSH-Präsident Heegewaldt mit. So wurden in der Nordsee zwischen Juni und August mit durchschnittlich 15,1 Grad Celsius etwa 0,6 Grad mehr als das langjährige Mittel von 1997 bis 2021 gemessen. Die Ostsee war den Angaben zufolge mit 16,8 Grad insgesamt etwa 0,4 Grad wärmer als das langjährige Mittel.
    Die Temperaturen werden in einem Bereich von wenigen Zentimetern bis zu einem Meter Tiefe von Schiffen und Stationen gemessen sowie von Satellitendaten übernommen. Die Daten sollen helfen, die Auswirkungen des Klimawandels in den Meeren besser zu verstehen. Wärmere Meere beeinflussen die Meeresumwelt sowie das Wetter und das Klima.

    "Man muss erhebliche Auswirkungen auf die Überlebens- und Reproduktionsfähigkeit erwarten"

    Die Entwicklungen bedrohen zwangsläufig die Tierwelt. Die Bestände etwa von Hering und Dorsch seien überfischt, so Unger. Der Leiter der Abteilung Marine Ökosystemdynamik und Management, an der Uni Hamburg, Christian Möllmann, geht in seiner Wortwahl noch weiter: Man sollte klarstellen, dass die Bestände von Dorsch und Hering nicht rückläufig, sondern weitgehend kollabiert seien. Auch WWF-Expertin Karoline Schacht zufolge geht es den Fischen in Nord- und Ostsee schlecht. Die Leiterin des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung, Siebert, mahnte, auch den Schweinswalpopulationen in den deutschen Gewässern gehe es nicht gut. Die Belastungen, denen die Meeressäuger ausgesetzt seien, seien hoch. Man müsse daher erhebliche Auswirkungen auf die Überlebens- und Reproduktionsfähigkeit erwarten.
    Die Experten forderten die Politik zum Handeln auf. Es brauche effektive Schutzmaßnahmen, die an allen Belastungsfaktoren ansetzen, meinte Siebert. Auch der Meeresbeauftragte Unger sprach sich dafür aus, Schutzgebiete auszuweisen und Rückzugsräume einzurichten, in denen sich die Meeresnatur erholen könne. Zudem müsse der Ausbau der Windkraft möglichst naturverträglich gestaltet werden. Professorin Voß drängte darauf, der Ehrgeiz bei der weiteren Reduktion von Nährstoffeinträgen aus der Landwirtschaft müsse beibehalten oder noch gesteigert werden.
    Auch die Bergung der Altmunition sollte nach Meinung der Forscher rasche forciert werden. Mit jedem Munitionskörper reduziere man die Gesamtbelastung durch Explosivstoffe im Wasser nachhaltig, betonte der Meeresbiologe Brenner. Während man bei anderen schädlichen Einträgen – Pestizide, Schwermetalle, Mikroplastik oder Medikamentenrückstände – mit viel Aufwand und Geld lediglich die zusätzlichen Einträge reduzieren könne, verringere man mit jeder Bombe die Gesamtmenge an Schadstoffen.

    Streit über Einrichtung eines "Nationalpark Ostsee"

    Pläne zur Errichtung eines Nationalparks Ostsee stoßen in der CDU in Schleswig-Holstein auf Widerstand. Die Christdemokraten wollen stattdessen Einzelpläne zum Schutz der Ostsee umsetzen. Auch die norddeutsche Wirtschaft sieht einen "Nationalpark Ostsee", wie ihn die Grünen wollen, kritisch. Ein Grund ist die Sorge vor Überregulierung. 70 bis 80 Prozent der Unternehmen stünden der Idee eines Nationalparks kritisch gegenüber, sagte UVNord-Präsident Murmann. Man schlage stattdessen eine Zukunftsallianz Ostsee vor. Die Wirtschaft sei bereit, sich personell und finanziell zu beteiligen.
    Diese Nachricht wurde am 27.09.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.