Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover: Ein 20-stöckiger Siebzigerjahre-Bau aus Beton und Glas. In einem kleinen Büro sitzt Lars Ceranna am Computer. Der promovierte Geophysiker trägt Jeans und Polohemd und ist Experte für tiefe Töne - ein Wissenschaftszweig der gerade eine Renaissance erlebt. Lars Cerannas Arbeit bringt es mit sich, dass er mehrmals im Jahr in den bayrischen Wald fahren muss - auf den Sulzberg bei Bischofsreut, ein entlegenes Fleckchen Natur, nahe der deutsch-tschechischen Grenze. Vor einigen Tagen ist er von seiner letzten Tour zurückgekommen. Die Bilder der Digitalkamera sind schon im Computer.
" Von außen sieht's dann so aus. Das heißt sie sehen wirklich den Wald. Und hier mittendrin sind einige Metallrohre, die miteinander verbunden sind. Und am Ende dieser Metallrohre sind Öffnungen und die dienen uns als Einlass. Das Ganze hat einen Durchmesser von etwa 18 Metern."
Die Fotos zeigen silberne Rohre auf dem Waldboden, die - wie die Speichen eines riesigen Rades - auf einen Betonschacht zulaufen.
" In diesem Messschacht, der so ein Bisschen wie ein Gully anmutet, da steckt die ganze Elektronik. An der Oberfläche sieht man nur das Einlasssystem, was über Edelstahlrohre miteinander verknüpft ist und dieses Signal an das Mikrobarometer in diesem Messschacht bringt. Da wird es auch entsprechend digitalisiert und weiter getragen von diesem einzelnen Sensor zur zentralen Einrichtung. Und von da aus wiederum nahezu Echtzeit nach Hannover respektive dann nach Wien."
Insgesamt fünf der rosettenförmigen Sensoren sind auf dem Sulzberg vergraben. Diese Anordnung ultraempfindlicher Mikrofone ist ein Richtantenne für Infraschall - ein Horchposten für Töne, die zu tief sind, als dass sie das menschliche Ohr noch hören könnte. Die Erforschung dieses tieffrequenten Grummelns der Atmosphäre erlebt seit einigen Jahren einen Aufschwung. Nach Meinung vieler Wissenschaftler könnte es helfen, Naturkatastrophen besser vorherzusagen.
" Die Infraschall-Analyse kann helfen, aktive Vulkane zu überwachen. Sie kann dazu beitragen, die genaue Abfolge der Ereignisse vor einer Eruption besser zu verstehen. Wir wissen, dass es Vulkane gibt, bei denen sich Ausbrüche durch eine erhöhte akustische Aktivität ankündigen."
" Es gibt Beispiele von Hurrikanen, die haben eine Infraschallsignatur erzeugt, die deutlich zu sehen war, die deutlich gepeilt werden konnte, bevor das Satellitenbild einen klaren Hurrikan gezeigt hat."
" Durch Infraschall-Messungen werden wir in Zukunft viel besser abschätzen können, wie häufig Meteoriten einer bestimmten Größe auf die Erde stürzen."
Infraschall - das sind akustische Signale, deren Frequenz unterhalb der menschlichen Hörschwelle von 20 Hertz liegt. Große Orgelpfeifen erzeugen Infraschalltöne einer Tiefe von bis zu 16 Hertz. Allerdings werden diese Schallwellen eher mit dem Bauch, als mit den Ohren wahrgenommen. Denn am Ende ist Infraschall - wie andere Töne auch - nichts anderes als eine periodisch Schwankung des Luftdrucks. Eine Schallquelle - etwa die Membran eines Lautsprechers - führt dazu, dass die Luft in ihrer Umgebung abwechselnd verdichtet und wieder entspannt wird. Die dabei erzeugten Druckunterschiede breiten sich wellenförmig aus.
Bis in die 1970er Jahre war Infraschall wissenschaftlich von großem Interesse, weil sich damit oberirdische Atomwaffentests nachweisen lassen. Doch dann verlegten die Atommächte ihre Versuche in den Untergrund. Die Infraschall-Technologie wurde nicht mehr gebraucht und führte jahrzehntelang ein Schattendasein - bis 1996, als die Ratifizierung des internationale Abkommens für einen umfassenden Atomwaffenteststopp begann. Der Vertrag beinhaltet den Aufbau und Betrieb eines globalen Netzwerkes von Sensoren, das zuverlässig jeden Verstoß gegen die Auflagen registriert - nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. IMS heißt das Konglomerat von Horchposten, dessen Installation inzwischen weit voran geschritten ist.
" IMS steht für ‚Internationales Monitoring-System'. Es besteht aus 321 gleichmäßig über den Globus verteilten Messstationen und basiert auf vier unterschiedlichen Technologien. Seismische Sensoren detektieren nukleare Explosionen unter der Erde. Hydroakustische Sensoren registrieren Kernwaffentests in den Weltmeeren. Ein Netzwerk von 60 Infraschall-Messstationen weist nukleare Explosionen in der Atmosphäre nach. Und eine Reihe von Radionuklid-Detektoren verraten, ob es sich bei einer Explosion tatsächlich um eine Atombombe gehandelt hat."
Der Australier Douglas Christie hat viele Jahre bei der CTBTO in Wien gearbeitet, also bei jener UN-Unterorganisation, die die Vereinten Nationen 1997 zur Überwachung des Atomwaffenteststopp-Abkommens eingerichtet haben. Neben der Infraschall-Richtantenne im bayrischen Wald sind inzwischen 30 weitere in Betrieb - etwa in Tahiti und Tasmanien, in der Antarktis und auf Hawaii. Die Daten der Messstationen werden per Satellit zur Zentrale nach Wien übertragen, wo sie Experten mit computergestützten Analyseverfahren nach verdächtigen Signalen durchforsten.
" Das Infraschall-Netzwerk ist das größte und empfindlichste, das es je gab. Mit ihm lassen sich selbst kleinste Nuklearexplosionen an der Erdoberfläche zuverlässig nachweisen - ganz egal wo sie stattfinden. Darüber hinaus empfangen wir aber auch die Infraschall-Signale einer Vielzahl anderer Quellen - hervorgerufen durch menschliche und geophysikalische Aktivität: Von der Sprengung in einem Steinbruch in China bis hin zu kalbenden Gletschern in der Antarktis. Deshalb sind die Daten dieses Netzwerks von großem Interesse für die Wissenschaft."
Um eine Richtungspeilung zu ermöglichen, bestehen die einzelnen Stationen des Infraschall-Netzwerkes jeweils aus mehreren zusammen geschalteten Sensoren im Abstand von einigen 100 Metern. Das Herzstück der einzelnen Detektoren sind ultrasensitive Druckfühler. Diese Messgeräte sind so empfindlich, dass sie noch den Druckunterschied zwischen der Ober- und Unterseite eines Blattes Papier nachweisen können. Damit nicht jeder Windhauch ein Störsignal erzeugt, werden spezielle Filter eingesetzt. Sie bestehen aus perforierten Plastik- oder Stahlrohren von rund 20 Metern Länge, die rosettenförmig angeordnet sind. Durch die weit auseinander liegenden Lufteinlässe, mitteln sich Windgeräusche automatisch aus dem Signal.
In einem durch eine Stahltür gesicherten Raum in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, kurz BGR, surren Lüfter und flimmern Computermonitore. Wir sind im deutschen Datenzentrum des weltweiten Horchpostennetzes zur Überwachung des Kernwaffenteststopp-Abkommens. Neben einer Fülle seismischer Messwerte, laufen hier auch die Infraschalldaten der beiden deutschen Richtantennen für tiefe Töne ein, erklärt Dr. Manfred Henger, der Leiter des Datenzentrums:
" Hier haben wir die verschiedenen Monitore, wo die Signale von den verschiedenen Infraschallstationen in der Antarktis hier links und einmal im bayrischen Wald hier aufgezeichnet werden. Das ist einfach dazu da, um zu sehen, ob die Stationen vernünftig arbeiten. Gleichzeitig sieht man aber auch, wie stark das Hintergrundrauschen ist."
Auf dem Monitorbild des Detektors im bayrischen Wald sind deutliche Signalspitzen zu erkennen, hervorgerufen durch Donnergrollen aus Tschechien oder Österreich, das den Sensor erreicht hat. Die einlaufenden Daten werden in mannshohen Schränken gespeichert.
" Hier, das sind zwei CD-Jukeboxen mit je 500 CDs. Inzwischen sind die alle voll. Da erhalten wir eben praktisch alle Daten, von diesen Stationen dieses internationalen Überwachungssystems. Und das dritte Gerät, dieser Schrank hier, da sind 720 DVDs drin. Und der Datenanfall pro Tag ist etwa ein Gigabyte. Das ist eine ganz schöne Datenmenge, die hier jeden Tag anfällt. Und das ist eben kein Datenfriedhof, sondern die Leute arbeiten mit den Daten."
Einer dieser Leute ist BGR-Mitarbeiter Lars Ceranna. Mit speziellen Algorithmen durchforstet er das Gewirr an Daten. In seinem Büro zeigt der Geophysiker eine typische Signatur auf dem Monitor - eine verrauschte Messkurve, in der mit bloßem Auge kaum eindeutige Signale zu erkennen sind.
" So muss man sich Infraschallsignale vorstellen. Das heißt, das ist wirklich bei weitem nicht so deutlich. Das sieht auch nicht wirklich klar aus, dass man sagt, okay, man hat jetzt wirklich klar voneinander separierte Einsätze. Das fängt irgendwie an und hört dann irgendwie auf. Das ist auch nicht immer ganz bestimmt vom Hintergrundrauschen auszumachen. Aber mit Hilfe von Array-Analyseverfahren ist man dann in der Lage auch selbst aus diesem Rauschen die kohärente Signalenergie sichtbar zu machen, so dass wir trotz eines in Anführungsstrichen schlecht sichtbaren Signals trotzdem eine gute Peilung erzielen."
Um ihre Auswertungsalgorithmen zu verfeinern, verwenden die Wissenschaftler Infraschallsignale, bei denen genau bekannt ist, wann und wo sie entstanden sind. Ein ziemlich verlässliches Ereignis dieser Art war zum Beispiel die Ankunft der Concorde.
" Wenn sie von Übersee kommt, ist sie auf Unterschall gegangen. Im Fall der British Airways südlich von Irland und im Fall der Air France westlich der Bretagne. Und dieses kann man auch sehr schön hier unterscheiden. Wenn die Concorde von Überschall auf Unterschall gegangen ist, hat sich eine Druckwelle von ihrem Bug gelöst. Und diese Signatur war dann auch über große Entfernungen an unserer Infraschallstation im bayrischen Wald zu sehen."
Seit die Maschinen ausgemustert wurden, sind vergleichbar eindeutige Infraschallsignale selten geworden - und vor allem unberechenbar. So wie die Explosion einer Gasleitung in Belgien, am 30. Juli 2004.
" Diese Explosion hat ein sehr starkes Infraschallsignal erzeugt, das an mehreren Stationen in Zentraleuropa beobachtet wurde. An einer französischen Station, die ist in der Normandie, an einer niederländischen Station, die ist nahe Deelen, und an unserer Infraschallstation im bayrischen Wald. Zusätzlich hatten wir noch eine mobile Messanlage betrieben - aus einem anderen Grund und zwar nördlich von Hannover. Und an allen diesen Stationen ist das Signal zu sehen. Und wir konnten eine Peilung vornehmen mit allen vier Stationen und stellen jetzt fest, dass wir eine Abweichung von etwa 50 km haben, von der eigentlichen Quelle."
Was für einen ersten Versuch schon ganz ordentlich sei, meint Lars Ceranna. Im Gegensatz zu Erdbebenwellen, deren Ausbreitung sich mit relativ simplen Formeln beschreiben lässt, gibt es bei der Ausbreitung von Infraschallwellen nämlich mehrere Unbekannte. Das macht es schwierig, aus einem empfangenen Signal präzise Rückschlüsse auf die Position seiner Quelle zu ziehen.
Die 60 Infraschallmessstationen des Überwachungsnetzes zum Kernwaffenteststopp konzentrieren sich auf den Frequenzbereich zwischen 0,01 und 4 Schwingungen pro Sekunde - das entspricht einer Wellenlänge von 100 Metern bis hin zu einigen Kilometern. Bei solch tiefen Frequenzen, gibt es in der Atmosphäre praktisch keine Absorption. Die Druckwellen verlieren unterwegs also kaum Energie und breiten sich über große Entfernungen aus. Starke Signale können die Erde mehrmals umrunden. Die exakte Berechnung der Schallausbreitung erweist sich aber als kompliziert. Die Schallgeschwindigkeit in der Atmosphäre hängt vom Wind und der Temperatur innerhalb der durchquerten Luftschichten ab. Für präzise Vorhersagen muss die räumliche Änderung dieser Größen berücksichtigt werden - ein enormer Rechenaufwand.
Wenn Forscher wie Lars Ceranna bekannte Infraschallquellen wie die Concorde nutzen, um ihre Peilungsmethoden zu optimieren, dann tun sie das primär, um für den Fall der Fälle vorbereitet zu sein: Bei einem oberirdischen Kernwaffentest wollen sie zuverlässig ermitteln können, wann und wo genau er stattgefunden hat. Ihre Arbeit könnte nebenbei aber eine Fülle weiterer Anwendungen ermöglichen, die einmal helfen, Leben zu retten. Denn auch Vulkanausbrüche, Wirbelstürme und Meteoriteneinschläge verraten sich häufig durch ein charakteristisches Grummeln in der Atmosphäre.
So klingt zum Beispiel das Infraschallsignal eines Tiefdruckgebiets über dem Südpazifik, aufgenommen in 4000 Kilometern Entfernung, vom deutschen Infraschalldetektor in der Antarktis. Genauer gesagt: So klingt es, wenn Lars Ceranna die Frequenz soweit angehoben hat, dass sie fürs menschliche Ohr hörbar wird.
" Idealerweise würden wir dieses Signal sehen, bevor sich das Tiefdruckgebiet richtig ausgebildet hat. Es gibt Beispiele von Hurrikanen, die haben eine Infraschallsignatur erzeugt, die deutlich zu sehen war, die deutlich gepeilt werden konnte, bevor das Satellitenbild einen klaren Hurrikan gezeigt hat. Ähnliche Beispiele gibt's auch im Bereich von Tornados. Es ist jetzt geplant, in den USA ein 50 Stationen umfassendes Netzwerk im mittleren Westen aufzubauen, weil man anhand von Beispielen demonstrieren konnte, dass man im Infraschall einen Tornado schon erkennen konnte, bevor er den Boden erreicht hat."
Dank eines dichten Wetterradar-Netzwerkes sind die Wirbelsturmwarnungen in den USA in den vergangenen Jahren deutlich präziser geworden. Doch die Frage, wann aus einem gewöhnlichen Sturm ein todbringender Rüssel zu Boden wächst, bereitet den Fachleuten weiter Kopfzerbrechen. Der Infraschall-Experte Dr. Al Bedard arbeitet für die National Oceanic and Atmospheric Administration NOAA in Boulder, im US-Bundesstaat Colorado. Seit 1995 hat er über 100 Tornados belauscht.
" Wir haben zum Beispiel die Infraschall-Signale eines Tornados aufgenommen, der über eine große Stadt im Bundesstaat South Dakota hinweg gefegt ist. Nach der von uns registrierten Entstehung des Tornados verging etwa eine halbe Stunde, bis er die Stadt erreichte. Das heißt mit den Infraschalldaten hätten wir in diesem Fall eine Vorwarnzeit von 30 Minuten gehabt. Das ist deutlich länger als derzeit üblich. Selbst in Regionen mit einem dichten Netz von Radar-Messstationen beträgt die Vorwarnzeit im Mittel nur zehn Minuten."
Es sehe so aus, sagt Al Bedard, als ob sich die Prognosen in manchen Fällen stark verbessern ließen. Denn der todbringende Rüssel eines Wirbelsturms verrät sich häufig durch charakteristische Untertöne.
" Wenn Tornados am Boden auf Hindernisse stoßen, fangen sie an, in radialer Richtung zu schwingen - das kann man sich wie einen dreidimensionalen Lautsprecher vorstellen. Ein Tornado mit einem Durchmesser von 200 Metern hat eine Hauptfrequenz von etwa einem Hertz. Kleinere Windhosen schwingen typischerweise mit Frequenzen von 5 bis 10 Hertz."
Inwieweit der akustische Fingerabdruck in der Praxis tatsächlich für Wirbelsturmwarnungen taugt, untersuchen die Forscher derzeit mit einem Testsystem, bestehend aus drei Infraschalldetektoren in Colorado und Kansas. Für eine abschließende Bewertung ist es noch zu früh. Klar ist bislang nur: Zur Früherkennung von Tornados bräuchte man regional ein wesentlich dichteres Netz von Messstationen, als die weltweit 60 Anlagen für die Überwachung des Atomwaffenteststopp-Abkommens.
Das gilt in abgeschwächter Form auch für ein zweite mögliche Anwendung der Infraschall-Technologie: Die Vorhersage von Vulkanausbrüchen.
" Die Infraschall-Analyse ist ein weiteres Werkzeug zur Überwachung aktiver Vulkane. Das Ziel dabei ist es ja, die Bewohner rechtzeitig vor einem drohenden Ausbruch zu warnen. Derzeit misst man dazu in der Regel die seismische Aktivität eines Vulkans, seine Temperatur, seine Verformung usw. Wir wollen zu all dem noch die akustischen Signale hinzufügen. Denn Infraschall kann uns helfen, die genaue Abfolge der Ereignisse vor einer Eruption besser zu verstehen."
Professor Milton Garces ist der Direktor des Infraschalllabors an der Universität von Hawaii. Sein Hauptinteresse gilt dem akustischen Fingerabdruck von Vulkanen. Nebenbei versucht er aber unter anderem auch, mit Infraschallmessungen die Wellenvorhersage für Surfer zu verbessern - nicht ganz uneigennützig, denn Garces ist selbst begeisterter Wellenreiter. Auf wissenschaftlichen Konferenzen sorgt er mit packenden Vorträgen für Aufsehen, die manchem seiner Kollegen etwas zu reißerisch sind. Sein Credo: Jeder Vulkan hat seine eigene Stimme. Und gewaltige Eruptionen kündigen sich - wie bei Cholerikern - durch eine Veränderung der Stimmlage an.
" Jeder Vulkan hat seinen eigenen akustischen Fingerabdruck. Es ist so ähnlich wie bei den Menschen. Die Stimmbänder erzeugen den Ton, aber die Hohlräume im Mund und in der Nase haben einen entscheidenden Einfluss auf die Tonfärbung. Bei Vulkanen sind die Mechanismen der Tonerzeugung ebenfalls weitgehend identisch. Aber die verschiedenen Formen ihrer Kegel und Krater sorgen für einen individuellen Klang."
Aktive Vulkane stehen ständig unter Druck, weil sich heißes Gas aus dem Erdinneren seinen Weg ins Freie sucht. Wenn es gleichmäßig entweichen kann, strahlen sie häufig gleich bleibende Infraschallwellen ab. Ist der Weg dagegen versperrt, staut sich der Druck wie in einem Dampfkochtopf - solange, bis irgendwann der Deckel herunterfliegt.
Der surfende Physiker Garces hat mit mobilen Infraschallantennen aktive Vulkane auf Hawaii, in Italien, Japan und Costa Rica untersucht. Er ist überzeugt, drohende Ausbrüche unter bestimmten Bedingungen vorher hören zu können.
" Bei manchen Vulkanen kündigen sich Eruptionen durch erhöhte akustische Aktivität an. Wir wollen herausfinden, welche Typen von Vulkanen solche Vorwarnungen geben."
Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei in der Vernetzung der bestehenden Sensorsysteme - also in der Fusion der Infraschalldaten mit denen der seismischen Detektoren. Doch auch wenn für zuverlässigere Prognosen von Eruptionen noch allerhand Forschung nötig ist: Zur Überwachung eines gerade laufenden Ausbruchs taugt Infraschall schon heute. Und das hat die internationale Zivilluftfahrtbehörde ICAO hellhörig gemacht.
Kombiniert man die Infraschalltechniken mit meteorologischen Verfahren, ließe sich nämlich vorhersagen, in welche Richtung sich die Aschewolke ausbreiten wird. Weil solche Aschewolken eine ernste Gefahr für Flugzeuge sind, könnten Piloten das entsprechende Gebiet dann weiträumig umfliegen.
Manfred Henger von der Bundesanstalt für Geowissenschaften in Hannover spielt auf dem Rechner in seinem Büro einen kurzen Film ab: Bei einem Passagierjet fallen gleichzeitig alle vier Triebwerke aus; im Sturzflug nähert sich die Maschine dem Boden. Die Bilder sind nachgestellt, aber die Kommunikation zwischen Piloten und Fluglotsen ist original - aufgenommen 1989, bei einem Flug von Japan in Richtung Anchorage.
" So, das war nur ein kurzer Ausschnitt. Aber sie haben gehört, die wurde schon ein Bisschen hysterisch und das kann man ja gut verstehen."
Die Pilotin war versehentlich durch die Aschewolke eines Vulkans geflogen. Die in den Triebwerken verbrannten Aschepartikel schlugen sich auf den Turbinenschaufeln nieder. Die entstandene Unwucht führte zur Abschaltung aller Triebwerke - wie bei einer ungleich beladenen Wäscheschleuder.
" Gott sei dank ließen sich die Triebwerke dann in 2000 Meter Höhe wieder starten. Weil durch das Ausgehen und den Sinkflug ist der Sinter wieder erkaltet und der sprang dann ab. Und auf diese Weise war die Unwucht dann weg und die Triebwerke konnten wieder gestartet werden. Aber das war ein Glücksfall und die ICAO rechnet eben damit, dass es irgendwann in den nächsten Jahren zu einem schweren Unfall kommt, wenn eben durch Aschewolken Triebwerke ausfallen und nicht wieder gestartet werden können."
Die 60 Infraschalldetektoren des globalen Überwachungssystems IMS registrieren Vulkanausbrüche selbst dann, wenn sie in den entlegenen Teilen der Erde stattfinden. Durch Kombination mit den Daten der seismischen Messfühler könnte der Pulsschlag des Planeten so dazu beitragen, die Sicherheit im Luftverkehr zu erhöhen. Die Luftfahrtorganisation ICAO ist interessiert. Der Startschuss für die konkrete Umsetzung des Projektes steht aber noch aus.
Dem ursprünglichen Zweck ihrer Hochposten - der Registrierung von Explosionen in der Atmosphäre - kommen die Infraschallforscher am nächsten, wenn sie Meteoriteneinschläge auf der Erde untersuchen. Bei ihrem Eintritt in die Atmosphäre erhitzen sich die Gesteinsbrocken aus dem All fast immer so stark, dass sie in großer Höhe zerplatzen. Seit die ersten Detektoren Daten in die Zentrale nach Wien schicken, haben sie hunderte solcher Ereignisse registriert. Aufgrund ihres akustischen Fingerabdrucks lassen sie sich normalerweise ziemlich leicht von einem Atomwaffentest unterscheiden. Es gab aber auch schon mal Ausnahmen, erinnert sich Douglas Revelle vom militärischen US-Forschungslabor in Los Alamos.
" Die größte Explosion, die wir bislang beobachtet haben, war am 1. Februar 1994. Damals wurde US-Präsident Bill Clinton mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und man sagte ihm, es habe da eine unerklärliche Explosion über den Marshall-Inseln gegeben - mit einer Sprengkraft von rund 200 Kilotonnen."
200 Kilotonnen - das ist mehr als das zehnfache der Hiroshima-Bombe. Zum Glück konnten die Forscher damals bald Entwarnung geben. Ein Meteorit hatte die heftige Explosion verursacht.
" Mit Hilfe des IMS-Netzwerkes können wir in Zukunft viel besser abschätzen, wie häufig verschiedene Klassen von Meteoriten auf die Erde stürzen. Und das ist natürlich sehr wichtig. Denken sie nur an das Aussterben der Saurier vor rund 60 Millionen Jahren - das wurde durch einen großen Meteoriten ausgelöst. Wir wüssten gern, wie häufig so etwas vorkommt. Doch bis vor kurzem konnten wir keine klare Antwort geben. Verschiedene Verfahren lieferten Vorhersagen, die sich um einen Faktor 1000 unterschieden. Mit den Infraschalldaten konnten wir diese Unsicherheit jetzt auf einen Faktor drei reduzieren. Und wir versuchen noch besser zu werden."
Auch der Geophysiker Lars Ceranna bei der BGR in Hannover interessiert sich für die Infraschallsignale von Meteoriten. Bei bekannter Flugbahn lassen sie sich nämlich - wie einst die Concorde - verwenden, um die Peilverfahren zur Lokalisierung einer Infraschallquelle zu optimieren.
Der Meteorit, der am 6. April 2002 in der Nähe des Schlosses Neuschwanstein im Allgäu auf die Erde stürzte, war in dieser Hinsicht ein Glücksfall. Die Infraschallantenne im bayrischen Wald detektierte den Absturz aus 250 Kilometern Entfernung. Und das europäische Feuerkugelnetzwerk fotografierte die Bahn des Geschosses.
Vergleichbares Glück hatten zuletzt nur französische Kollegen von Lars Ceranna. Gerade einmal 35 Kilometer war der Gesteinsbrocken von ihrem Horchposten auf Tahiti entfernt, als er in 25 Kilometern Höhe explodierte.
" Die Signale kommen in umgekehrter Reihenfolge zu ihrer Erzeugung an. das Signal vom Eindringen, das heißt, das erste Signal, wenn der Meteorit wirklich anfängt, in die Atmosphäre einzudringen, ist das Signal, was man als letztes bekommt und das, wenn er auseinander bricht, bekommt man als erstes - weil förmlich der Meteorit seinen eigenen Schall überholt. Weil er ja sich mit 14-facher Schallgeschwindigkeit bewegt, ist er schneller als sein eigenes Schallsignal."
600 Megabyte Daten senden die weltweit verteilten Infraschallstationen des Netzwerkes zu Überwachung des Atomwaffenteststopp-Abkommens täglich nach Wien. Hinweise auf Kernwaffenexplosionen fanden sich bislang keine. Im Fall der Fälle würden die Detektoren aber sofort Alarm schlagen. Solange das nicht passiert, nutzen die Forscher die Fülle an Daten, um den Pulsschlag der Atmosphäre besser zu verstehen.
" Es gibt Beispiele von Hurrikanen, die haben eine Infraschallsignatur erzeugt, die deutlich zu sehen war, bevor das Satellitenbild einen klaren Hurrikan gezeigt hat."
Welche der möglichen Anwendungen der Infraschalltechnik am Ende tatsächlich Wirklichkeit werden wird, ist derzeit nicht abzusehen. Die Disziplin erlebt eine Renaissance und steckt doch noch in den Kinderschuhen. Bei vielen der tiefen Töne, die ihre Richtantennen auffangen, haben die Wissenschaftler noch keine Ahnung, woher sie eigentlich kommen. Klar ist nur eins: Das Potenzial ist groß. Oder anders gesagt: Im Infraschall ist Musik drin.
" Von außen sieht's dann so aus. Das heißt sie sehen wirklich den Wald. Und hier mittendrin sind einige Metallrohre, die miteinander verbunden sind. Und am Ende dieser Metallrohre sind Öffnungen und die dienen uns als Einlass. Das Ganze hat einen Durchmesser von etwa 18 Metern."
Die Fotos zeigen silberne Rohre auf dem Waldboden, die - wie die Speichen eines riesigen Rades - auf einen Betonschacht zulaufen.
" In diesem Messschacht, der so ein Bisschen wie ein Gully anmutet, da steckt die ganze Elektronik. An der Oberfläche sieht man nur das Einlasssystem, was über Edelstahlrohre miteinander verknüpft ist und dieses Signal an das Mikrobarometer in diesem Messschacht bringt. Da wird es auch entsprechend digitalisiert und weiter getragen von diesem einzelnen Sensor zur zentralen Einrichtung. Und von da aus wiederum nahezu Echtzeit nach Hannover respektive dann nach Wien."
Insgesamt fünf der rosettenförmigen Sensoren sind auf dem Sulzberg vergraben. Diese Anordnung ultraempfindlicher Mikrofone ist ein Richtantenne für Infraschall - ein Horchposten für Töne, die zu tief sind, als dass sie das menschliche Ohr noch hören könnte. Die Erforschung dieses tieffrequenten Grummelns der Atmosphäre erlebt seit einigen Jahren einen Aufschwung. Nach Meinung vieler Wissenschaftler könnte es helfen, Naturkatastrophen besser vorherzusagen.
" Die Infraschall-Analyse kann helfen, aktive Vulkane zu überwachen. Sie kann dazu beitragen, die genaue Abfolge der Ereignisse vor einer Eruption besser zu verstehen. Wir wissen, dass es Vulkane gibt, bei denen sich Ausbrüche durch eine erhöhte akustische Aktivität ankündigen."
" Es gibt Beispiele von Hurrikanen, die haben eine Infraschallsignatur erzeugt, die deutlich zu sehen war, die deutlich gepeilt werden konnte, bevor das Satellitenbild einen klaren Hurrikan gezeigt hat."
" Durch Infraschall-Messungen werden wir in Zukunft viel besser abschätzen können, wie häufig Meteoriten einer bestimmten Größe auf die Erde stürzen."
Infraschall - das sind akustische Signale, deren Frequenz unterhalb der menschlichen Hörschwelle von 20 Hertz liegt. Große Orgelpfeifen erzeugen Infraschalltöne einer Tiefe von bis zu 16 Hertz. Allerdings werden diese Schallwellen eher mit dem Bauch, als mit den Ohren wahrgenommen. Denn am Ende ist Infraschall - wie andere Töne auch - nichts anderes als eine periodisch Schwankung des Luftdrucks. Eine Schallquelle - etwa die Membran eines Lautsprechers - führt dazu, dass die Luft in ihrer Umgebung abwechselnd verdichtet und wieder entspannt wird. Die dabei erzeugten Druckunterschiede breiten sich wellenförmig aus.
Bis in die 1970er Jahre war Infraschall wissenschaftlich von großem Interesse, weil sich damit oberirdische Atomwaffentests nachweisen lassen. Doch dann verlegten die Atommächte ihre Versuche in den Untergrund. Die Infraschall-Technologie wurde nicht mehr gebraucht und führte jahrzehntelang ein Schattendasein - bis 1996, als die Ratifizierung des internationale Abkommens für einen umfassenden Atomwaffenteststopp begann. Der Vertrag beinhaltet den Aufbau und Betrieb eines globalen Netzwerkes von Sensoren, das zuverlässig jeden Verstoß gegen die Auflagen registriert - nach dem Motto: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. IMS heißt das Konglomerat von Horchposten, dessen Installation inzwischen weit voran geschritten ist.
" IMS steht für ‚Internationales Monitoring-System'. Es besteht aus 321 gleichmäßig über den Globus verteilten Messstationen und basiert auf vier unterschiedlichen Technologien. Seismische Sensoren detektieren nukleare Explosionen unter der Erde. Hydroakustische Sensoren registrieren Kernwaffentests in den Weltmeeren. Ein Netzwerk von 60 Infraschall-Messstationen weist nukleare Explosionen in der Atmosphäre nach. Und eine Reihe von Radionuklid-Detektoren verraten, ob es sich bei einer Explosion tatsächlich um eine Atombombe gehandelt hat."
Der Australier Douglas Christie hat viele Jahre bei der CTBTO in Wien gearbeitet, also bei jener UN-Unterorganisation, die die Vereinten Nationen 1997 zur Überwachung des Atomwaffenteststopp-Abkommens eingerichtet haben. Neben der Infraschall-Richtantenne im bayrischen Wald sind inzwischen 30 weitere in Betrieb - etwa in Tahiti und Tasmanien, in der Antarktis und auf Hawaii. Die Daten der Messstationen werden per Satellit zur Zentrale nach Wien übertragen, wo sie Experten mit computergestützten Analyseverfahren nach verdächtigen Signalen durchforsten.
" Das Infraschall-Netzwerk ist das größte und empfindlichste, das es je gab. Mit ihm lassen sich selbst kleinste Nuklearexplosionen an der Erdoberfläche zuverlässig nachweisen - ganz egal wo sie stattfinden. Darüber hinaus empfangen wir aber auch die Infraschall-Signale einer Vielzahl anderer Quellen - hervorgerufen durch menschliche und geophysikalische Aktivität: Von der Sprengung in einem Steinbruch in China bis hin zu kalbenden Gletschern in der Antarktis. Deshalb sind die Daten dieses Netzwerks von großem Interesse für die Wissenschaft."
Um eine Richtungspeilung zu ermöglichen, bestehen die einzelnen Stationen des Infraschall-Netzwerkes jeweils aus mehreren zusammen geschalteten Sensoren im Abstand von einigen 100 Metern. Das Herzstück der einzelnen Detektoren sind ultrasensitive Druckfühler. Diese Messgeräte sind so empfindlich, dass sie noch den Druckunterschied zwischen der Ober- und Unterseite eines Blattes Papier nachweisen können. Damit nicht jeder Windhauch ein Störsignal erzeugt, werden spezielle Filter eingesetzt. Sie bestehen aus perforierten Plastik- oder Stahlrohren von rund 20 Metern Länge, die rosettenförmig angeordnet sind. Durch die weit auseinander liegenden Lufteinlässe, mitteln sich Windgeräusche automatisch aus dem Signal.
In einem durch eine Stahltür gesicherten Raum in der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, kurz BGR, surren Lüfter und flimmern Computermonitore. Wir sind im deutschen Datenzentrum des weltweiten Horchpostennetzes zur Überwachung des Kernwaffenteststopp-Abkommens. Neben einer Fülle seismischer Messwerte, laufen hier auch die Infraschalldaten der beiden deutschen Richtantennen für tiefe Töne ein, erklärt Dr. Manfred Henger, der Leiter des Datenzentrums:
" Hier haben wir die verschiedenen Monitore, wo die Signale von den verschiedenen Infraschallstationen in der Antarktis hier links und einmal im bayrischen Wald hier aufgezeichnet werden. Das ist einfach dazu da, um zu sehen, ob die Stationen vernünftig arbeiten. Gleichzeitig sieht man aber auch, wie stark das Hintergrundrauschen ist."
Auf dem Monitorbild des Detektors im bayrischen Wald sind deutliche Signalspitzen zu erkennen, hervorgerufen durch Donnergrollen aus Tschechien oder Österreich, das den Sensor erreicht hat. Die einlaufenden Daten werden in mannshohen Schränken gespeichert.
" Hier, das sind zwei CD-Jukeboxen mit je 500 CDs. Inzwischen sind die alle voll. Da erhalten wir eben praktisch alle Daten, von diesen Stationen dieses internationalen Überwachungssystems. Und das dritte Gerät, dieser Schrank hier, da sind 720 DVDs drin. Und der Datenanfall pro Tag ist etwa ein Gigabyte. Das ist eine ganz schöne Datenmenge, die hier jeden Tag anfällt. Und das ist eben kein Datenfriedhof, sondern die Leute arbeiten mit den Daten."
Einer dieser Leute ist BGR-Mitarbeiter Lars Ceranna. Mit speziellen Algorithmen durchforstet er das Gewirr an Daten. In seinem Büro zeigt der Geophysiker eine typische Signatur auf dem Monitor - eine verrauschte Messkurve, in der mit bloßem Auge kaum eindeutige Signale zu erkennen sind.
" So muss man sich Infraschallsignale vorstellen. Das heißt, das ist wirklich bei weitem nicht so deutlich. Das sieht auch nicht wirklich klar aus, dass man sagt, okay, man hat jetzt wirklich klar voneinander separierte Einsätze. Das fängt irgendwie an und hört dann irgendwie auf. Das ist auch nicht immer ganz bestimmt vom Hintergrundrauschen auszumachen. Aber mit Hilfe von Array-Analyseverfahren ist man dann in der Lage auch selbst aus diesem Rauschen die kohärente Signalenergie sichtbar zu machen, so dass wir trotz eines in Anführungsstrichen schlecht sichtbaren Signals trotzdem eine gute Peilung erzielen."
Um ihre Auswertungsalgorithmen zu verfeinern, verwenden die Wissenschaftler Infraschallsignale, bei denen genau bekannt ist, wann und wo sie entstanden sind. Ein ziemlich verlässliches Ereignis dieser Art war zum Beispiel die Ankunft der Concorde.
" Wenn sie von Übersee kommt, ist sie auf Unterschall gegangen. Im Fall der British Airways südlich von Irland und im Fall der Air France westlich der Bretagne. Und dieses kann man auch sehr schön hier unterscheiden. Wenn die Concorde von Überschall auf Unterschall gegangen ist, hat sich eine Druckwelle von ihrem Bug gelöst. Und diese Signatur war dann auch über große Entfernungen an unserer Infraschallstation im bayrischen Wald zu sehen."
Seit die Maschinen ausgemustert wurden, sind vergleichbar eindeutige Infraschallsignale selten geworden - und vor allem unberechenbar. So wie die Explosion einer Gasleitung in Belgien, am 30. Juli 2004.
" Diese Explosion hat ein sehr starkes Infraschallsignal erzeugt, das an mehreren Stationen in Zentraleuropa beobachtet wurde. An einer französischen Station, die ist in der Normandie, an einer niederländischen Station, die ist nahe Deelen, und an unserer Infraschallstation im bayrischen Wald. Zusätzlich hatten wir noch eine mobile Messanlage betrieben - aus einem anderen Grund und zwar nördlich von Hannover. Und an allen diesen Stationen ist das Signal zu sehen. Und wir konnten eine Peilung vornehmen mit allen vier Stationen und stellen jetzt fest, dass wir eine Abweichung von etwa 50 km haben, von der eigentlichen Quelle."
Was für einen ersten Versuch schon ganz ordentlich sei, meint Lars Ceranna. Im Gegensatz zu Erdbebenwellen, deren Ausbreitung sich mit relativ simplen Formeln beschreiben lässt, gibt es bei der Ausbreitung von Infraschallwellen nämlich mehrere Unbekannte. Das macht es schwierig, aus einem empfangenen Signal präzise Rückschlüsse auf die Position seiner Quelle zu ziehen.
Die 60 Infraschallmessstationen des Überwachungsnetzes zum Kernwaffenteststopp konzentrieren sich auf den Frequenzbereich zwischen 0,01 und 4 Schwingungen pro Sekunde - das entspricht einer Wellenlänge von 100 Metern bis hin zu einigen Kilometern. Bei solch tiefen Frequenzen, gibt es in der Atmosphäre praktisch keine Absorption. Die Druckwellen verlieren unterwegs also kaum Energie und breiten sich über große Entfernungen aus. Starke Signale können die Erde mehrmals umrunden. Die exakte Berechnung der Schallausbreitung erweist sich aber als kompliziert. Die Schallgeschwindigkeit in der Atmosphäre hängt vom Wind und der Temperatur innerhalb der durchquerten Luftschichten ab. Für präzise Vorhersagen muss die räumliche Änderung dieser Größen berücksichtigt werden - ein enormer Rechenaufwand.
Wenn Forscher wie Lars Ceranna bekannte Infraschallquellen wie die Concorde nutzen, um ihre Peilungsmethoden zu optimieren, dann tun sie das primär, um für den Fall der Fälle vorbereitet zu sein: Bei einem oberirdischen Kernwaffentest wollen sie zuverlässig ermitteln können, wann und wo genau er stattgefunden hat. Ihre Arbeit könnte nebenbei aber eine Fülle weiterer Anwendungen ermöglichen, die einmal helfen, Leben zu retten. Denn auch Vulkanausbrüche, Wirbelstürme und Meteoriteneinschläge verraten sich häufig durch ein charakteristisches Grummeln in der Atmosphäre.
So klingt zum Beispiel das Infraschallsignal eines Tiefdruckgebiets über dem Südpazifik, aufgenommen in 4000 Kilometern Entfernung, vom deutschen Infraschalldetektor in der Antarktis. Genauer gesagt: So klingt es, wenn Lars Ceranna die Frequenz soweit angehoben hat, dass sie fürs menschliche Ohr hörbar wird.
" Idealerweise würden wir dieses Signal sehen, bevor sich das Tiefdruckgebiet richtig ausgebildet hat. Es gibt Beispiele von Hurrikanen, die haben eine Infraschallsignatur erzeugt, die deutlich zu sehen war, die deutlich gepeilt werden konnte, bevor das Satellitenbild einen klaren Hurrikan gezeigt hat. Ähnliche Beispiele gibt's auch im Bereich von Tornados. Es ist jetzt geplant, in den USA ein 50 Stationen umfassendes Netzwerk im mittleren Westen aufzubauen, weil man anhand von Beispielen demonstrieren konnte, dass man im Infraschall einen Tornado schon erkennen konnte, bevor er den Boden erreicht hat."
Dank eines dichten Wetterradar-Netzwerkes sind die Wirbelsturmwarnungen in den USA in den vergangenen Jahren deutlich präziser geworden. Doch die Frage, wann aus einem gewöhnlichen Sturm ein todbringender Rüssel zu Boden wächst, bereitet den Fachleuten weiter Kopfzerbrechen. Der Infraschall-Experte Dr. Al Bedard arbeitet für die National Oceanic and Atmospheric Administration NOAA in Boulder, im US-Bundesstaat Colorado. Seit 1995 hat er über 100 Tornados belauscht.
" Wir haben zum Beispiel die Infraschall-Signale eines Tornados aufgenommen, der über eine große Stadt im Bundesstaat South Dakota hinweg gefegt ist. Nach der von uns registrierten Entstehung des Tornados verging etwa eine halbe Stunde, bis er die Stadt erreichte. Das heißt mit den Infraschalldaten hätten wir in diesem Fall eine Vorwarnzeit von 30 Minuten gehabt. Das ist deutlich länger als derzeit üblich. Selbst in Regionen mit einem dichten Netz von Radar-Messstationen beträgt die Vorwarnzeit im Mittel nur zehn Minuten."
Es sehe so aus, sagt Al Bedard, als ob sich die Prognosen in manchen Fällen stark verbessern ließen. Denn der todbringende Rüssel eines Wirbelsturms verrät sich häufig durch charakteristische Untertöne.
" Wenn Tornados am Boden auf Hindernisse stoßen, fangen sie an, in radialer Richtung zu schwingen - das kann man sich wie einen dreidimensionalen Lautsprecher vorstellen. Ein Tornado mit einem Durchmesser von 200 Metern hat eine Hauptfrequenz von etwa einem Hertz. Kleinere Windhosen schwingen typischerweise mit Frequenzen von 5 bis 10 Hertz."
Inwieweit der akustische Fingerabdruck in der Praxis tatsächlich für Wirbelsturmwarnungen taugt, untersuchen die Forscher derzeit mit einem Testsystem, bestehend aus drei Infraschalldetektoren in Colorado und Kansas. Für eine abschließende Bewertung ist es noch zu früh. Klar ist bislang nur: Zur Früherkennung von Tornados bräuchte man regional ein wesentlich dichteres Netz von Messstationen, als die weltweit 60 Anlagen für die Überwachung des Atomwaffenteststopp-Abkommens.
Das gilt in abgeschwächter Form auch für ein zweite mögliche Anwendung der Infraschall-Technologie: Die Vorhersage von Vulkanausbrüchen.
" Die Infraschall-Analyse ist ein weiteres Werkzeug zur Überwachung aktiver Vulkane. Das Ziel dabei ist es ja, die Bewohner rechtzeitig vor einem drohenden Ausbruch zu warnen. Derzeit misst man dazu in der Regel die seismische Aktivität eines Vulkans, seine Temperatur, seine Verformung usw. Wir wollen zu all dem noch die akustischen Signale hinzufügen. Denn Infraschall kann uns helfen, die genaue Abfolge der Ereignisse vor einer Eruption besser zu verstehen."
Professor Milton Garces ist der Direktor des Infraschalllabors an der Universität von Hawaii. Sein Hauptinteresse gilt dem akustischen Fingerabdruck von Vulkanen. Nebenbei versucht er aber unter anderem auch, mit Infraschallmessungen die Wellenvorhersage für Surfer zu verbessern - nicht ganz uneigennützig, denn Garces ist selbst begeisterter Wellenreiter. Auf wissenschaftlichen Konferenzen sorgt er mit packenden Vorträgen für Aufsehen, die manchem seiner Kollegen etwas zu reißerisch sind. Sein Credo: Jeder Vulkan hat seine eigene Stimme. Und gewaltige Eruptionen kündigen sich - wie bei Cholerikern - durch eine Veränderung der Stimmlage an.
" Jeder Vulkan hat seinen eigenen akustischen Fingerabdruck. Es ist so ähnlich wie bei den Menschen. Die Stimmbänder erzeugen den Ton, aber die Hohlräume im Mund und in der Nase haben einen entscheidenden Einfluss auf die Tonfärbung. Bei Vulkanen sind die Mechanismen der Tonerzeugung ebenfalls weitgehend identisch. Aber die verschiedenen Formen ihrer Kegel und Krater sorgen für einen individuellen Klang."
Aktive Vulkane stehen ständig unter Druck, weil sich heißes Gas aus dem Erdinneren seinen Weg ins Freie sucht. Wenn es gleichmäßig entweichen kann, strahlen sie häufig gleich bleibende Infraschallwellen ab. Ist der Weg dagegen versperrt, staut sich der Druck wie in einem Dampfkochtopf - solange, bis irgendwann der Deckel herunterfliegt.
Der surfende Physiker Garces hat mit mobilen Infraschallantennen aktive Vulkane auf Hawaii, in Italien, Japan und Costa Rica untersucht. Er ist überzeugt, drohende Ausbrüche unter bestimmten Bedingungen vorher hören zu können.
" Bei manchen Vulkanen kündigen sich Eruptionen durch erhöhte akustische Aktivität an. Wir wollen herausfinden, welche Typen von Vulkanen solche Vorwarnungen geben."
Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei in der Vernetzung der bestehenden Sensorsysteme - also in der Fusion der Infraschalldaten mit denen der seismischen Detektoren. Doch auch wenn für zuverlässigere Prognosen von Eruptionen noch allerhand Forschung nötig ist: Zur Überwachung eines gerade laufenden Ausbruchs taugt Infraschall schon heute. Und das hat die internationale Zivilluftfahrtbehörde ICAO hellhörig gemacht.
Kombiniert man die Infraschalltechniken mit meteorologischen Verfahren, ließe sich nämlich vorhersagen, in welche Richtung sich die Aschewolke ausbreiten wird. Weil solche Aschewolken eine ernste Gefahr für Flugzeuge sind, könnten Piloten das entsprechende Gebiet dann weiträumig umfliegen.
Manfred Henger von der Bundesanstalt für Geowissenschaften in Hannover spielt auf dem Rechner in seinem Büro einen kurzen Film ab: Bei einem Passagierjet fallen gleichzeitig alle vier Triebwerke aus; im Sturzflug nähert sich die Maschine dem Boden. Die Bilder sind nachgestellt, aber die Kommunikation zwischen Piloten und Fluglotsen ist original - aufgenommen 1989, bei einem Flug von Japan in Richtung Anchorage.
" So, das war nur ein kurzer Ausschnitt. Aber sie haben gehört, die wurde schon ein Bisschen hysterisch und das kann man ja gut verstehen."
Die Pilotin war versehentlich durch die Aschewolke eines Vulkans geflogen. Die in den Triebwerken verbrannten Aschepartikel schlugen sich auf den Turbinenschaufeln nieder. Die entstandene Unwucht führte zur Abschaltung aller Triebwerke - wie bei einer ungleich beladenen Wäscheschleuder.
" Gott sei dank ließen sich die Triebwerke dann in 2000 Meter Höhe wieder starten. Weil durch das Ausgehen und den Sinkflug ist der Sinter wieder erkaltet und der sprang dann ab. Und auf diese Weise war die Unwucht dann weg und die Triebwerke konnten wieder gestartet werden. Aber das war ein Glücksfall und die ICAO rechnet eben damit, dass es irgendwann in den nächsten Jahren zu einem schweren Unfall kommt, wenn eben durch Aschewolken Triebwerke ausfallen und nicht wieder gestartet werden können."
Die 60 Infraschalldetektoren des globalen Überwachungssystems IMS registrieren Vulkanausbrüche selbst dann, wenn sie in den entlegenen Teilen der Erde stattfinden. Durch Kombination mit den Daten der seismischen Messfühler könnte der Pulsschlag des Planeten so dazu beitragen, die Sicherheit im Luftverkehr zu erhöhen. Die Luftfahrtorganisation ICAO ist interessiert. Der Startschuss für die konkrete Umsetzung des Projektes steht aber noch aus.
Dem ursprünglichen Zweck ihrer Hochposten - der Registrierung von Explosionen in der Atmosphäre - kommen die Infraschallforscher am nächsten, wenn sie Meteoriteneinschläge auf der Erde untersuchen. Bei ihrem Eintritt in die Atmosphäre erhitzen sich die Gesteinsbrocken aus dem All fast immer so stark, dass sie in großer Höhe zerplatzen. Seit die ersten Detektoren Daten in die Zentrale nach Wien schicken, haben sie hunderte solcher Ereignisse registriert. Aufgrund ihres akustischen Fingerabdrucks lassen sie sich normalerweise ziemlich leicht von einem Atomwaffentest unterscheiden. Es gab aber auch schon mal Ausnahmen, erinnert sich Douglas Revelle vom militärischen US-Forschungslabor in Los Alamos.
" Die größte Explosion, die wir bislang beobachtet haben, war am 1. Februar 1994. Damals wurde US-Präsident Bill Clinton mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen und man sagte ihm, es habe da eine unerklärliche Explosion über den Marshall-Inseln gegeben - mit einer Sprengkraft von rund 200 Kilotonnen."
200 Kilotonnen - das ist mehr als das zehnfache der Hiroshima-Bombe. Zum Glück konnten die Forscher damals bald Entwarnung geben. Ein Meteorit hatte die heftige Explosion verursacht.
" Mit Hilfe des IMS-Netzwerkes können wir in Zukunft viel besser abschätzen, wie häufig verschiedene Klassen von Meteoriten auf die Erde stürzen. Und das ist natürlich sehr wichtig. Denken sie nur an das Aussterben der Saurier vor rund 60 Millionen Jahren - das wurde durch einen großen Meteoriten ausgelöst. Wir wüssten gern, wie häufig so etwas vorkommt. Doch bis vor kurzem konnten wir keine klare Antwort geben. Verschiedene Verfahren lieferten Vorhersagen, die sich um einen Faktor 1000 unterschieden. Mit den Infraschalldaten konnten wir diese Unsicherheit jetzt auf einen Faktor drei reduzieren. Und wir versuchen noch besser zu werden."
Auch der Geophysiker Lars Ceranna bei der BGR in Hannover interessiert sich für die Infraschallsignale von Meteoriten. Bei bekannter Flugbahn lassen sie sich nämlich - wie einst die Concorde - verwenden, um die Peilverfahren zur Lokalisierung einer Infraschallquelle zu optimieren.
Der Meteorit, der am 6. April 2002 in der Nähe des Schlosses Neuschwanstein im Allgäu auf die Erde stürzte, war in dieser Hinsicht ein Glücksfall. Die Infraschallantenne im bayrischen Wald detektierte den Absturz aus 250 Kilometern Entfernung. Und das europäische Feuerkugelnetzwerk fotografierte die Bahn des Geschosses.
Vergleichbares Glück hatten zuletzt nur französische Kollegen von Lars Ceranna. Gerade einmal 35 Kilometer war der Gesteinsbrocken von ihrem Horchposten auf Tahiti entfernt, als er in 25 Kilometern Höhe explodierte.
" Die Signale kommen in umgekehrter Reihenfolge zu ihrer Erzeugung an. das Signal vom Eindringen, das heißt, das erste Signal, wenn der Meteorit wirklich anfängt, in die Atmosphäre einzudringen, ist das Signal, was man als letztes bekommt und das, wenn er auseinander bricht, bekommt man als erstes - weil förmlich der Meteorit seinen eigenen Schall überholt. Weil er ja sich mit 14-facher Schallgeschwindigkeit bewegt, ist er schneller als sein eigenes Schallsignal."
600 Megabyte Daten senden die weltweit verteilten Infraschallstationen des Netzwerkes zu Überwachung des Atomwaffenteststopp-Abkommens täglich nach Wien. Hinweise auf Kernwaffenexplosionen fanden sich bislang keine. Im Fall der Fälle würden die Detektoren aber sofort Alarm schlagen. Solange das nicht passiert, nutzen die Forscher die Fülle an Daten, um den Pulsschlag der Atmosphäre besser zu verstehen.
" Es gibt Beispiele von Hurrikanen, die haben eine Infraschallsignatur erzeugt, die deutlich zu sehen war, bevor das Satellitenbild einen klaren Hurrikan gezeigt hat."
Welche der möglichen Anwendungen der Infraschalltechnik am Ende tatsächlich Wirklichkeit werden wird, ist derzeit nicht abzusehen. Die Disziplin erlebt eine Renaissance und steckt doch noch in den Kinderschuhen. Bei vielen der tiefen Töne, die ihre Richtantennen auffangen, haben die Wissenschaftler noch keine Ahnung, woher sie eigentlich kommen. Klar ist nur eins: Das Potenzial ist groß. Oder anders gesagt: Im Infraschall ist Musik drin.