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Großer Lauschangriff

Am 24. September 1996 wurde bei der UNO in New York der Vertrag über das umfassende Verbot von Kernwaffentests zur Unterzeichnung vorgelegt. Das Abkommen verbietet alle Atomwaffenversuche, egal ob zu Lande, unter Wasser oder in der Atmosphäre. Weil die USA und andere Unterzeichnerstaaten den Vertrag bis heute nicht ratifiziert haben, ist er zehn Jahre danach immer noch nicht in Kraft, trotz breiter internationaler Zustimmung.

Eine Sendung von Ralf Krauter |
    CTBTO, so heißt die 1996 gegründete Unterorganisation der UNO: Comprehensive test-ban-treaty organization. Auf deutsch: Organisation zur Überwachung des umfassenden Kernwaffenteststopp-Abkommens. Ihre Mitarbeiter sind Profis für das Belauschen des Planeten und sitzen im Zentrum eines weltumspannenden Sensornetzes. Egal ob sich über dem Atlantik ein Wirbelsturm zusammenbraut, über Feuerland ein Meteorit in die Atmospäre eintaucht oder in Südchina in einem Steinbruch gesprengt wird: Die Nuklear-Detektive sehen es auf ihren Monitoren.

    Der Exekutiv-Sekretär der CTBTO ist Ungar und gerade auf Reisen. Aber seine rechte Hand ist da: Bernhard Wrabetz, ein österreichischer Diplomat.

    "CTBT ist nach den Worten des Friedensnobelpreisträgers El Bahradei das Kronjuwel in der internationalen Vertragsarchitektur in Sachen Abrüstung und Nonproliferation."

    CTBT: Das ist der "Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen", der heute vor 10 Jahren zur Unterschrift freigegeben wurde: Am 24. September 1996.

    "Das Ziel des Vertrages ist ganz einfach und klar: Das Ende aller nuklearen Testexplosionen und aller anderen Nuklearexplosionen. Das ist Artikel 1 des Vertrages. Die restlichen 120 Seiten des Vertrages kümmern sich dann darum, wie man das umsetzen und überprüfen kann."

    Das Abkommen verbietet Kernwaffenexplosionen zu Lande, in der Luft und unter Wasser. Damit Staaten, die es ratifiziert haben, sich auch daran halten, verlangt der Vertrag ein Sensornetz, das Verstöße gegen die Auflagen registriert. Internationales Monitoring-System, kurz IMS heißt das im Aufbau befindliche Konglomerat von 321 Horchposten. Es ist das größte und komplexeste System dieser Art, das je installiert wurde. Es aufzubauen und am Laufen zu halten, ist die Aufgabe der CTBTO in Wien.

    Politische Bühne, erster Akt. Ort des Geschehens: Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York. Datum: 10. September 1996.

    Die Stimmung bei der 50. UN-Vollversammlung ist feierlich. Die Nationenvertreter beschließen das Abkommen zum umfassenden Verbot aller Kernwaffentests. Der Vertrag ist das Ergebnis jahrzehntelanger Bemühungen, das atomare Wettrüsten zu stoppen. Er gilt als Meilenstein für die nukleare Abrüstung und die Nicht-Verbreitung von Atomwaffen.

    Absatz 1: Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, keine Versuchsexplosion von Kernwaffen und keine andere nukleare Explosion durchzuführen und solche nuklearen Explosionen an jedem Ort unter seiner Hoheitsgewalt oder Kontrolle zu verbieten und zu verhindern.

    Absatz 2: Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich ferner, die Durchführung einer Versuchsexplosion von Kernwaffen oder einer anderen nuklearen Explosion weder zu veranlassen noch zu fördern noch sich in irgendeiner Weise daran zu beteiligen.


    Die Idee hinter dem Abkommen ist simpel. Wer heimlich neuartige Atom-, Wasserstoff- oder Neutronenbomben entwickelt, muss sie irgendwann testen, um sicher sein zu können, dass sie funktionieren. Eine weltweite Ächtung solcher Versuche bewirkt deshalb zweierlei. Sie verhindert, dass die bereits existierenden Kernwaffen weiter verbessert werden. Und sie bewirkt, dass Staaten, die bislang über keine solchen Waffen verfügen, nicht doch noch in die Liga der Atommächte aufsteigen.

    Um die Zementierung des nuklearen Status Quo zu überwachen, beschreibt der Vertragstext minutiös die Einrichtung eines globalen Überwachungsregimes.

    "Was wir versuchen, ist erst mal: Wir wollen eine Nuklearexplosion erkennen."

    Der deutsche Physiker Thomas Hoffmann zählt bei der CTBTO in Wien zur Gruppe der Spurensicherer.

    "Das heißt, wir gehen erst einmal davon aus, wenn irgendwas explodiert und das eine ziemlich große Explosion ist, dass auf alle Fälle irgendwelche akustischen Wellen erzeugt werden. Und zwar je nachdem wo die Explosion stattfindet, also in der Luft im Wasser, oder im Boden, werden eben diese Wellen in dem jeweiligen Medium ausgelöst und die breiten sich dann aus, eben als seismische Wellen oder als Luftschallwellen oder als Wellen im Wasser, also hydroakustische Wellen."

    Thomas Hoffmann ist Experte für die Ausbreitung von Schallwellen. Sein Job: Aufbau und Betrieb der akustischen Horchposten des internationalen Monitoring-Systems.

    "Das heißt, wir haben drei Technologien. Eben eine Technologie: Seismologie, sehr bekannt, benutzt für viele andere Dinge. Dann die hydroakustische Technologie, also mehr oder weniger Mikrofone im Wasser - Hydrophone heißen die dort. Und dann haben wir noch eine akustische Technologie für die Schallausbreitung in der Atmosphäre, die sich speziell auf sehr niedrige Frequenzen limitiert. Und das nennt sich Infraschall."

    170 seismische, 11 hydroakustische und 60 Infraschall-Messstationen soll das Netzwerk einmal besitzen - verteilt möglichst gleichmäßig rund um den Globus. Von Alaska bis in die Antarktis, von Hawaii bis Hokaido wurden bereits Messfühler installiert.

    "Wenn eine chemische Explosion irgendwo passiert oder ein Vulkan explodiert, dann haben wir auch eine Explosion und wir werden das auch sehen auf unseren akustischen Technologien. Aber wir wollen ja sehen, ob's eine Nuklearexplosion war. Und deshalb brauchen wir noch eine Technologie. Diese letzte, vierte Technologie ist eben die Radionuklidtechnologie, wo die Luft wie durch Staubsauger angesaugt wird und durch Filter gepresst und dann diese Filter auf Partikel ausgewertet und geschaut, ob da irgendwelche radioaktiven Elemente festgestellt werden."

    80 Radionuklid-Messstationen komplettieren das technische Arsenal der Spurensicherer. Eine davon - laut Vertragstext die Nummer 33 - steht zum Beispiel auf dem Schauinsland bei Freiburg. Mit der hat Thomas Hoffmann aber selten zu tun. Sein Spezialgebiet sind Unterwasser-Mikrofone und Infraschall-Antennen. Vor einigen Tagen kam er aus Djibuti zurück, wo gerade eine Infraschall-Station aufgebaut wird.

    "Wir fahren dahin und haben dann die interessante Aufgabe, auf ganz verschiedenen Ebenen zu arbeiten, nämlich eigentlich in Djibuti zum Beispiel von den höchsten Politikern, also da spricht man wirklich mit dem Vizepräsidenten, bis hin zu irgendeinem Nomaden, der in der Wüste dann auf unsere Gerätschaft aufpasst - dem wir dann Wasser mitbringen müssen und herausfinden, was der am liebsten mag, damit er gut auf unsere Gerätschaft aufpasst."

    Knapp eine Million Euro kostet der Aufbau einer Infraschall-Messstation - Satellitenantenne für die Datenübertragung nach Wien inklusive. Um eine Richtungspeilung der Schallquelle zu ermöglichen, bestehen die Antennen für tiefe Töne aus mehreren Sensoren im Abstand von einigen 100 Metern. Ihr Herzstück sind Luftdruckfühler, die so empfindlich sind, dass sie noch den Druckunterschied zwischen der Ober- und Unterseite eines Blattes registrieren. Damit nicht jeder Windhauch ein Störsignal erzeugt, werden spezielle Filter eingesetzt: Perforierte Stahl- oder Plastikrohre, rund 20 Meter lang, die wie die Speichen eines Rades auf Messfühler zulaufen. Durch die weit auseinander liegenden Lufteinlässe, mitteln sich Windgeräusche aus dem Signal. Ein deutscher Detektor dieser Art befindet sich auf dem Sulzberg im bayrischen Wald. Doch auch anderswo wird längst dem Grummeln der Atmosphäre gelauscht - zum Beispiel in der Südsee, sagt Thomas Hoffmann.

    "Dann bin ich zwei Tage lang mit einer Nussschale über den Pazifik gegaukelt. Und dann kommt man auf eine Insel, auf der 1000 Leute leben. Die haben keinen Kontakt zur Außenwelt, außer einmal ein Schiff jeden Monat. Und da ist man dann natürlich ein Außerirdischer, der dann auch noch irgendwas aufbaut. Ich hatte da eine große Kiste dabei. Aus meiner Wunderkiste kam dann meine ganze Gerätschaft heraus. Ich habe dann erst mal eine Mini-Infraschall-Anlage aufgebaut, um zu schauen, wie der Wind dort ist. Und alle waren ganz neugierig und wollten alles wissen. Und waren ganz stolz, wie ich ihnen gezeigt habe, dass diese kleine Insel vielleicht irgendwann mal auf der Karte mit den 321 Stationen drauf sein wird - mit Namen. Und das war natürlich das Größte. Und so was ist natürlich ein tolles Erlebnis."

    Politische Bühne, zweiter Akt. Ort des Geschehens: Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York. Datum: 24. September 1996.

    Zwei Wochen nach seiner Verabschiedung wird der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen zur Unterschrift freigegeben. Ein historischer Moment. US-Präsident Bill Clinton unterzeichnet als Erster - mit einem Füllfederhalter John F. Kennedys. Es folgen die Repräsentanten vieler anderer Nationen: Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Mexiko, Russland und andere unterschreiben noch am selben Tag. Um für künftige Computersimulationen von Kernsprengungen genügend Daten zu haben, hatten sowohl Frankreich als auch China kurz zuvor noch letzte Atomwaffentests durchgeführt.

    Bis heute haben 176 Staaten das Dokument unterschrieben, 134 haben es ratifiziert. In Kraft getreten ist das Abkommen noch nicht, weil bis dato 10 wichtige Länder die Ratifizierung verweigern - darunter Iran und China, Nordkorea, Israel, Indien und Pakistan. Und die USA. Offiziell darf sich die Überwachungsorganisation in Wien deshalb nur Vorbereitungskommission nennen. Politische Konsequenzen hat ihr großer Lauschangriff bislang nicht.

    Die Nuklear-Detektive an der Donau sind also Ermittler ohne Mandat. Nichtsdestotrotz bereiten sie sich gewissenhaft auf ihren Einsatz vor. 70 Prozent der 321 Messstationen liefern bereits kontinuierlich Daten nach Wien, in zwei Jahren sollen es 90 Prozent sein. Erdbeben und Explosionen, Vulkanausbrüche und kalbende Eisberge - die weltweiten Horchposten messen den Puls des Planeten genauer als je zuvor. Ihre verschlüsselten Daten werden per Satellit in das Datenzentrum übermittelt, wo sie Analysten nach verräterischen Spuren durchforsten.

    "We have 10 analysts that review all of the waveform-data that's transmitted by the global satellite network. And they look at it all week long."

    Der kanadische Geologe Robert Horner ist Rasterfahnder im Dienste der Rüstungskontrolle. Der Seismologe kam 1999 zur CTBTO und leitet ein Team von 10 Analysten. Sein Arbeitsplatz, das sind zwei große Flachbildschirme. Das Bild darauf erinnert an eine komplexe Partitur. Gut 20 gezackte rote Linien sind da untereinander angeordnet. Verrauschte Signale vom Ende der Welt, die interpretiert sein wollen.

    "Die Analyse ist ziemlich kompliziert, denn wir müssen in den verrauschten Daten, die sie da sehen, nach auffälligen Ereignissen suchen, von denen wir zunächst einmal gar nicht wissen: War das jetzt vielleicht ein Erdbeben oder eine Explosion oder sonst irgendwas? Um das herauszufinden, suchen wir nach charakteristischen Mustern im Datenstrom. Die Grobfilterung läuft automatisch, mit speziellen Algorithmen. Ungefähr 100 auffällige Ereignisse pro Tag nehmen wir dann persönlich genauer unter die Lupe."

    Der unterirdische Test einer kleinen Atombombe mit einer Sprengkraft von einer Kilotonne verursacht lokal ein schwaches Erdbeben der Stärke 3 bis 4 auf der Richterskala. Auffällige Ereignisse, das sind für Robert Horner deshalb alle Beben der Magnitude drei und mehr. Davon gibt es weltweit jeden Tag etwa hundert, nach einem starken Beben aber auch mal deutlich mehr - weshalb Robert Horner heute allerhand zu tun hat. Nach dem Seebeben vor der indonesischen Insel Java, das Mitte Juli 2006 meterhohe Flutwellen verursachte, haben die Detektoren eine Reihe von Nachbeben aufgezeichnet. Die Partitur auf dem Bildschirm ist eins davon.

    "Dieses Ereignis hat etwa die Stärke 4 bis 5 auf der Richterskala. Ich habe die Informationen aller Seismometer und Unterwassermikrofone, die dieses Nachbeben registriert haben, untereinander gelegt und zeitlich korreliert, und zwar unter Berücksichtigung ihrer Entfernung vom Erdbebenherd."

    Die ersten drei Stimmen der rot gezackten Partitur stammen von Unterwassermikrofonen im indischen Ozean. Darunter sind die verschiedenen Seismometer-Signale aufgereiht: Primärwellen, Sekundärwellen und so weiter. 14 Gigabyte Daten senden die Stationen des Überwachungssystems täglich in die Wiener Zentrale. In der Datenflut verdächtige Explosionen auszumachen, gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Um sie zu finden, tragen die UNO-Detektive den Haufen Schritt für Schritt ab, indem sie möglichst viele der auffälligen Signale einem bekannten Ereignis zuordnen.

    Bei der Interpretation der seismischen Daten profitieren die Analysten von jahrzehntelanger Expertise. Während des kalten Krieges haben militärische Seismiknetze hunderte Kernwaffentests aufgezeichnet. Seitdem weiß man, dass unterirdische Sprengungen andere Bodenschwingungen anregen als tektonische Beben. Ein weiteres Kriterium ist die Tiefe des Herdes.

    "Wenn der Herd 20, 30 oder sogar 500 Kilometer tief liegt, können wir einen Kernwaffentest ausschließen - denn so tief würde niemand bohren, um eine Atombombe zu zünden. Deshalb halten wir nach bestimmten Erdbebenwellen Ausschau, die uns die Tiefe des Herdes verraten. "

    Ein tägliches Bulletin informiert die Unterzeichnerstaaten über die rund 100 Beben der Stärke 3 und größer. Bei Verdacht auf einen Atomwaffentest, müsste ein politisches Gremium weitere Untersuchungen einleiten.

    "Was Kernwaffentests angeht, haben wir bis jetzt nur die in Indien und Pakistan registriert, im Mai 1998 war das. Die konnten wir mit dem rudimentären System, das wir damals hatten, bereits auf 30 Kilometer genau lokalisieren. Das Entscheidende ist aber: Wir versuchen, die Daten möglichst unvoreingenommen zu analysieren. Vor ein paar Jahren zum Beispiel, da berichteten Medien von einer mutmaßlichen Testexplosion in Nordkorea. Aber wir würden sowas am liebsten gar nicht wissen, denn es könnte die Unabhängigkeit unseres Urteils trüben und das wäre fatal für unseren Ruf. Wir müssen frei von Vorurteilen sein und Verfahren entwickeln, mit denen uns kein Kernwaffentest durch die Lappen geht."

    Politische Bühne, dritter Akt. Ort des Geschehens: Das Kapitol in Washington DC. Datum: 13. September 1999.

    Der US-Senat stimmt gegen die Ratifizierung des Vertrages über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen - ein herber Rückschlag für US-Präsident Bill Clinton und die nukleare Abrüstung, denn die Ratifizierung durch die Vereinigten Staaten hätte weltweit Signalwirkung gehabt. Die USA haben bis 1992 insgesamt 1032 Kernwaffen zu Testzwecken gezündet. Seitdem hält man sich an ein selbst verkündetes Moratorium. Als Begründung dafür, den Teststoppvertrag nicht zu ratifizieren, führen die Kritiker 1999 an, die Einhaltung des Abkommens sei nicht verifizierbar.

    Ein Argument, das der Diplomat Bernhard Wrabetz in der CTBTO-Chefetage in Wien so nicht stehen lassen kann.

    "Die Verifizierbarkeit und Überwachbarkeit des Vertrages ist unser zentrales Argument für die Ratifizierung. "

    Die Wahrscheinlichkeit, dass den Nuklear-Detektiven der UNO tatsächlich etwas entgeht, sei minimal, sagt Wrabetz.

    "Es gibt Szenarien, und die lassen sich kaum ausschließen, wo man mit unglaublichem technischem Aufwand eine Nuklearexplosion kleinsten Ausmaßes an uns vorbei schummeln könnte. Das ist allerdings ein Szenario, das wahrscheinlich für den Waffenentwickler auch vollkommen sinnlos und sehr kostenintensiv wäre. Die amerikanische Akademie der Wissenschaften hat vor zwei Jahren eine Studie zu diesem Thema gemacht und ist zu dem Schluss gekommen, dass diese Evasions-Szenarien extrem unwahrscheinlich sind und strategisch-militärisch keinen Sinn machen würden - und von daher kaum relevant sind für die Entscheidungsfindung, ob man unterschreiben soll oder nicht."

    Auch Robert Horner, der Chef des Rasterfahnder-Teams, ist sich sicher, die vertraglichen Zielvorgaben in den allermeisten Fällen zu erreichen. Das heißt: Explosionen mit einer Sprengkraft von einer Kilotonne TNT-Equivalent nicht nur detektieren, sondern auch rund um den Globus lokalisieren zu können. Und zwar auf 1000 Quadratkilometern genau - eine Fläche doppelt so groß wie der Bodensee.

    "Die Daten der Seismometer erlauben präzise Ortspeilungen. Da eine unterirdische Explosion Schockwellen verursacht, die sich wie Erdbebenwellen rund um den Globus ausbreiten, können wir sie genau lokalisieren. Aber auch die Unterwassermikrofone sind sehr hilfreich. Die zeichnen zum Beispiel noch relativ kleine Sprengungen im indischen Ozean auf - ein paar Kilogramm Sprengstoff genügen. Wenn irgendein Dynamit-Fischer ein paar Stangen Sprengstoff ins Wasser wirft, erkennen wir das hier und können zurückverfolgen, wo sich sein Boot ungefähr befand."

    Mit den Infraschall-Signalen aus der Atmosphäre tun sich die Forscher zwar noch schwerer, weil die Technologie noch nicht so ausgereift ist. Aber da in Wien die Daten aller Sensortechniken zusammen fließen, ist die Botschaft für nukleare Hazardeure klar: Das Risiko, erwischt zu werden, ist sehr groß.

    Sollte sich nach Inkrafttreten des Vertrages ein Verdacht erhärten, beginnt ein wochenlanges multilaterales Prozedere, in dessen Verlauf die Vertragsstaaten eine Vor-Ort-Inspektion beantragen können. On-site-inspection heißt das im Diplomaten-Slang. Dazu werden maximal 40 UN-Kontrolleure in das Gebiet entsandt, in dem der mutmaßliche Kernwaffentest stattfand. Das Ziel des Sondereinsatzkommandos: Den rauchenden Colt zu finden, um den Übeltäter überführen und international an den Pranger stellen zu können.

    Der Franzose Patrick Dewez leitet die Methodensektion der On-Site-Inspektoren.

    "Im Zielgebiet angekommen, installieren wir ein Netzwerk seismischer Sensoren, um die Nachbeben der unterirdischen Sprengung zu detektieren. Da die Explosion dann bereits Wochen zurückliegt, sind diese Nachbeben nur noch extrem schwach, etwa in der Größenordung minus zwei auf der Richterskala. Das entspricht der Erschütterung, die entsteht, wenn sie in ein paar Kilometern Entfernung einen 5 Kilogramm schweren Stein aus 6 Metern Höhe zu Boden fallen lassen. Solche Erdstöße müssen wir messen."

    Mit den gängigen Seismometern ist das praktisch nicht zu schaffen. So das Ergebnis eines Feldversuchs, 2004 in der Slowakei, bei dem auch der Geophysiker Manfred Joswig von der Universität Stuttgart dabei war.

    "Und der hat gezeigt, dass mit den klassischen Methoden ich das maximal etwa 500 Meter weit erfassen kann. Das würde heißen, dass ich, um diese 1000 Quadratkilometer abzudecken - weil ich ja im vorhinein nicht weiß, wo diese Nachbeben sind - bräuchte ich 400 Stationen. Und das ist logistisch, vom Personal her, von den Kosten, vom Zeitrahmen her nicht realistisch."

    Mit einem neuen Konzept, das Manfred Joswig maßgeblich mitentwickelt hat, aber schon. Dabei werden je vier der gängigen Seismometer mit Kabeln so zusammengeschaltet, dass ihre räumliche Anordnung eine Ortspeilung ermöglicht. Eine spezielle Software macht diese Sensorarrays zehnmal empfindlicher als alle bisherigen Systeme. Die aufgezeichneten Daten verraten Entfernung, Richtung und Stärke kleinster Nachbeben. Kombiniert man mehrere dieser Messstationen, lässt sich der Ort der unterirdischen Sprengung ermitteln.

    "Wenn man jetzt diese fortgeschrittenen Techniken einsetzt, dann sind die einzelnen Stationen um soviel empfindlicher, dass sie einen wesentlich größeren Überwachungsradius haben - typisch 2-3 Kilometer. Und dann reicht eine Anzahl von etwa 35 Stationen, um diese geforderten 1000 Quadratkilometer so überdecken zu können, dass sie sagen können: Wenn irgendwo hier solch ein Magnitude minus 2 Nachbeben passiert, dann werde ich es mitbekommen."

    Die verbesserten Erschütterungsfühler könnten den UN-Inspektoren also im Ernstfall helfen, den Explosionsort zu lokalisieren. Ob dort tatsächlich eine Atombombe gezündet wurde, würden Radioaktivitätsmessungen, Überflüge mit dem Helikopter und gegebenenfalls Bohrungen verraten. Wirklich schwierig wird die Detektivarbeit der Inspektoren vor allem dann, wenn auf Seiten der Bösewichte Profis am Werk sind, sagt Patrick Dewez.

    "Das schlimmste Szenario wäre folgendes: Ein Staat, der bereits über gute Expertise in der Nukleartechnologie verfügt, zündet in einer Höhle tief unter der Erde eine sehr kleine Atombombe. Die zuständigen Wissenschaftler wissen genau, wie sie die Freisetzung verräterischer Edelgase verhindern und sie haben die Sprengkraft klein genug und den Sprengort so tief gewählt, dass sich an der Oberfläche nichts bewegt."

    Politische Bühne, vierter Akt. Ort des Geschehens: Das weiße Haus in Washington DC. Datum: 20. Januar 2001.

    George W. Bush wird als US-Präsident vereidigt. Der neue Mann im weißen Haus macht keinen Hehl daraus, dass er nicht viel von internationalen Verträgen hält, die seine Handlungsfreiheit einschränken. Die Ratifizierung des Kernwaffenteststopp-Abkommens lehnt er ab.

    Politische Bühne, fünfter Akt. Ort des Geschehens: USA, Washington DC. Datum: Nach dem 11. September 2001.

    Nach den Anschlägen von New York ruft George W. Bush den Krieg gegen den Terrorismus aus. Im Gefolge des Kampfes gegen die Taliban in Afghanistan wird in den USA an bunkerbrechenden Mini-Atombomben geforscht. Da es sich um konzeptionell völlig neue strategische Waffen handelt, gilt die Aussagekraft von Computersimulationen als begrenzt. 2005 beantragt die Regierung deshalb zusätzliche Mittel, um die Vorbereitungszeit für künftige Kernwaffentests von 24 auf 18 Monate zu verkürzen. Doch der Kongress verweigert die Zustimmung.

    Weil ohne die Ratifizierung durch die USA nichts geht, sind die Chancen gering, dass der Atomwaffenteststoppvertrag in absehbarer Zeit in Kraft tritt. Das weiß auch Bernhard Wrabetz von der CTBTO in Wien.

    "Wir sind tatsächlich im Moment in einem konjunkturellen Tal, würde ich einmal sagen. Die Diskussion ist nicht wahnsinnig dynamisch, vor allem in den USA und China, was die Ratifizierung des Vertrages betrifft."

    Knapp 100 Millionen Euro bezahlen die Unterzeichnerstaaten jährlich, für den Aufbau des Überwachungsregimes. Viel Geld für ein globales Horchpostennetz, dessen Betreiber bis auf weiteres ein zahnloser Tiger ist. Doch Bernhard Wrabetz ist überzeugt, dass es gut angelegt ist.

    "Das Verifikationssystem von CTBTO hat einen gewaltigen Vorteil gegenüber allen anderen bestehenden Überwachungssystemen. Wir sind global, wir sind konsistent - das heißt die Daten haben dieselbe Qualität, egal von welcher Station sie kommen - und wir haben ein Kommunikationssystem, das diese Datenübertragung sehr schnell macht."

    Um den einzigartigen Datenschatz in Wien sinnvoll zu nutzen, wollen die Nuklear-Detektive künftig vermehrt auch Wissenschaftler dafür sensibilisieren, was ihr großer Lauschangriff so alles hörbar macht.

    "Es ist unbestritten, dass man mit unseren Daten viele Dinge machen kann, die mit unserem Vertragszweck nichts zu tun haben. Das geht von Tsunami-Warnsystemen, wo wir bereits teilnehmen im Testverfahren, über rein wissenschaftliche Forschung im geophysischen Bereich bis zur Klimaforschung - es ginge im Prinzip sogar, dass wir Walgesänge aufnähmen und damit die Migrationsbewegungen der Wale überprüfen. Das sind Dinge, die weitgehend unerforscht sind von der Wissenschaftswelt und da versuchen wir jetzt auszuloten, was dieses Potenzial ist."

    So wären etwa auch Warnungen vor Vulkanausbrüchen oder Wirbelstürmen denkbar. Auch die verraten sich teils frühzeitig durch charakteristische Muster im Pulsschlag des Planeten. Der Seismologe Robert Horner jedenfalls, der den Aufbau des Sensornetzes von Anfang an begleitet hat, ist begeistert von den wissenschaftlichen Einblicken, die es ermöglicht.

    "Solch ein globalen Sensornetz hat es in dieser Komplexität noch nie gegeben. Das heißt, wir entdecken Dinge, die wir nie zuvor gesehen haben. Es ist richtig aufregend, die Daten auszuwerten, weil wir viel darüber lernen, wie sich Schallwellen in der Erde, im Wasser und in der Luft ausbreiten, wie sie entstehen und so weiter."

    Doch trotz aller Faszination: Den eigentlichen Zweck ihrer Arbeit, sagt Robert Horner, hätten er und seine Kollegen immer auf dem Schirm.

    "Wir hoffen alle, dass der Vertrag tatsächlich einmal ratifiziert wird. Dann könnten wir hier wirklich loslegen - mit dem Ziel, die Erde zu einem sichereren Ort zu machen."