Alfred Grosser: Ich bin gegen Joschka Fischer, zum ersten Mal seit langer Zeit und finde, dass man nicht Nein sagen sollte. Aber jedenfalls weiterhin die Bedingungen härten, wie sie in der letzten Woche gehärtet worden sind. Denn es heißt, man muss auch bedenken, dass die Union nicht von innen zerstört oder geschwächt wird durch einen Beitritt der Türkei. Das wird vernachlässigt. Man sagt: Ist die Türkei so oder so? Man sagt nicht: was wird aus der Union, wenn zum Beispiel im Rat, wenn mit Mehrheit bestimmt werden soll, die Türkei ein solches Gewicht ausübt, dass sie schiedsrichtert, denn man braucht 65 Prozent der Bevölkerung im Rat, damit mit Mehrheit beschlossen werden kann. Wenn die Türkei kommt, genügt es, dass sie einen Verbündeten hat unter den Großen, um zu irgendwas Nein sagen zu können.
Remme: Noch einmal, Herr Grosser, können Sie sich die Türkei als EU-Vollmitglied vorstellen?
Grosser: Vorstellen leider Ja, aber wünschen wirklich Nein. Was ich nicht verstehen kann in Deutschland heute, ist, mein Joschka Fischer, ich sage "mein", weil wir gute Beziehungen hatten, er ist, genau wie bei uns ein Michel Rocard, in meinen Augen in einem völligen intellektuellen Widerspruch. Europa ist weitgehend gescheitert, die Verfassung bringt uns nicht viel weiter, die Vertiefung geht nicht, also: Da es keine gemeinsame Außenpolitik geben kann in diesem nicht-vereinten Europa, machen wir mit der Türkei zusammen eine gemeinsame Außenpolitik im Nahen Osten, wo wir Mitspieler werden. Ich will kein Mitspieler werden im Irak- und Irankonflikt.
Remme: Wie sollten sich also die EU-Staaten auf dem Gipfel Ende nächster Woche entscheiden? Wie sollte der Beschluss lauten?
Grosser: Erstens mal, 1963 ist nichts entschieden worden, nichts versprochen worden. Das einzige wirkliche Versprechen ist 1999 gefallen, dass man Verhandlungen aufnimmt. Ich würde wünschen, dass man im Voraus sagt, es gibt Grenzen in der Verhandlung, die wir nicht überschreiten können und wenn diese Grenzen erreicht sind, dann müssen wir einfach die Verhandlungen abbrechen. Ich weiß, dass das in der Türkei Ärger bringt, aber letzenendes sind wir doch Herr darüber, was die Gemeinschaft stärkt und was die Gemeinschaft nicht stärkt.
Remme: Wo verlaufen diese Grenzen, von denen Sie gesprochen haben?
Grosser: Es geht nicht nur um die Türkei, sagen wir mal auf moralischem Standpunkt. Es geht keineswegs ums Christliche. Es geht unter anderem darum, und das ist für mich sehr wichtig, die Laizität, die staatliche Neutralität ist in der Türkei vorhanden, weil das Militär das Sagen hat. Der Premierminister schickt seine Töchter ins Ausland, weil sie dort einen Schleier tragen dürfen und in der Türkei nicht und lässt seine Frau ständig verschleiert auftreten. Ich bin dagegen, ich finde, dass wir in Frankreich und in Deutschland große Fortschritte gemacht haben, in Frankreich mehr als in Deutschland, um Deutsche zu haben, die Moslems sind, wie Deutsche Katholiken oder Protestanten sind, Franzosen zu haben, die Moslems sind, wie andere Katholiken oder Juden sind. Wenn 60 Millionen Islamangehörige dazukommen, dann verändert sich diese Lage für unseren Islam und den deutschen Islam.
Remme: Herr Grosser, gerade aus Frankreich hört man das Argument, dass man mit dem Beginn von Verhandlungen warten sollte, bis die Referenden über die EU-Verfassung abgeschlossen worden sind. Macht das für Sie Sinn?
Grosser: Ja, denn die Aufnahme soll nachher erfolgen. Jetzt schon zum Beispiel macht einer unserer Ultranationalisten, Philippe de Villiers hat gestern begonnen in einer Erklärung, wir machen zugleich gegen das Ja zum Verfassungsvertrag und Eintritt der Türkei, das ist untrennbar und wir sagen Nein zur Türkei und Nein zum Vertrag. Das kann abertausend Stimmen bringen, weil die bedrückende Mehrheit der Bevölkerung gegen einen zukünftigen Beitritt der Türkei ist. Es trifft leider zusammen mit dem Referendum über das. Wie es in Deutschland gehen wird, das weiß ich ja nicht.
Remme: Die Diskussion über einen Beitritt zur Europäischen Union hat eine lange Vorgeschichte, Sie selbst haben eben schon zwei Daten genannt, die Jahrzehnte zurückliegen. Ist der Vorwurf berechtigt, dass die Europäische Union diesen Prozess bisher verschleppt hat und deswegen selbstverschuldet im Moment in eine etwas, sagen wir, hastige Situation gerät?
Grosser: Ja, so hastig ist es nicht, denn es heißt, die Verhandlung sei eine lange, das drückt in Wirklichkeit einen Wunsch aus, denn ein guter Teil der europäischen Staatsleute, die dafür sind, denken, in zehn Jahren bin ich sowieso nicht mehr da. Bei Chirac, er kann noch zehnmal wiedergewählt werden, weiß ich nicht. Aber das ist, wir werden nicht mehr da sein. Das hieß von Ludwig dem XV. nach mir die Sintflut, " Après moi le deluge ". Wenn man im Voraus sagt, das dauert 10 Jahre, man hat keine Ahnung, es kann auch ein Jahr oder zwei Jahre dauern, bis man in der Lage ist zu sagen, Ja oder Nein. Ein Argument gegen die Verhandlungen ist, dass bisher nie Verhandlungen gescheitert sind.
Remme: Das heißt mit anderen Worten: Ergebnisoffene Verhandlungen hat es bisher nicht gegeben?
Grosser: An sich nicht, denn man hat im Voraus gesagt, wir müssen über Punkte verhandeln, die noch nicht gelöst sind, aber wir wünschen die Lösung. Als die Neuen dazukamen am ersten Mai dieses Jahres, einige Punkte mit einigen waren noch gar nicht gelöst, aber man wollte sie dabei haben. Die Rechtsverdeckung ist immer gewesen, nicht immer gewesen, aber ist gewesen bei Griechenland, Portugal und Spanien, ist gewesen bei acht der zehn neuen, sie sind nun Befreit vom Joch, vom Joch der Diktatur im Süden, vom Joch des Stalinismus in Mittel- und Osteuropa. Warum Zypern dabei ist, das ist griechische Erpressung, warum Malta dabei ist, ich habe neulich in Malta gesagt, dass ich immer noch nicht verstanden habe, warum sie dabei sind.
Remme: Herr Grosser, wir haben ja noch über einen großen Mitspieler nicht gesprochen, der eigentlich gar nicht dabei ist, aber mächtigen Druck ausübt. Wie entscheidend ist die Einflussnahme von Washington?
Grosser: Ich würde als guter Franzose sagen, das ist ein Grund, um zu verschleppen oder um Nein zu sagen, denn es stimmt, die Türkei ist beinahe von Anfang an zusammen mit Griechenland in die NATO aufgenommen worden. Aber die NATO ist nicht Europa und ein, sagen wir mal, noch ein amerikahöriger Staat, Großbritannien ist schon alleine sehr stark auf diesem Gebiet, wird Europa als mögliche Einheit in der Weltdiplomatie noch schwächen. Deswegen finde ich, jeder Druck der Vereinigten Staaten wird in einigen Ländern Europas, darunter Frankreich, Widerstand auslösen.
Remme: Können Sie noch einmal zusammenfassend beschreiben, wie weit ein Beitritt der Türkei aus Ihrer Sicht den Charakter der Union verändern würde?
Grosser: Wir werden Mitspieler in allen Konflikten des Mittleren Ostens, wir werden nicht Beobachter, wir werden nicht Schiedsrichter, wir werden Mitspieler. Das alles, was die drei Kurden betrifft, die Kurden von der Türkei, vom Irak und vom Iran. Wir sind dann Mitspieler im Nahen Osten, es ist ungefähr, wie wenn wir sagen, Russland kommt dazu, obwohl wir dann eine gemeinsam Grenze mit Amerika in Wladiwostok haben.
Remme: Ist die privilegierte Partnerschaft so wie die Union sie will hier in Deutschland, auch ein Ziel, das Sie sich vorstellen können?
Grosser: Unbedingt, aber da müsste die Türkei Ja sagen, was sie tun würde, wenn man es klar sagt. Ich denke die Schweiz, für die Schweiz ist es gar nicht so schlecht, auch eine privilegierte Beziehung zu haben ohne Mitglied zu sein.
Remme: Der französische Publizist Alfred Grosser.
Remme: Noch einmal, Herr Grosser, können Sie sich die Türkei als EU-Vollmitglied vorstellen?
Grosser: Vorstellen leider Ja, aber wünschen wirklich Nein. Was ich nicht verstehen kann in Deutschland heute, ist, mein Joschka Fischer, ich sage "mein", weil wir gute Beziehungen hatten, er ist, genau wie bei uns ein Michel Rocard, in meinen Augen in einem völligen intellektuellen Widerspruch. Europa ist weitgehend gescheitert, die Verfassung bringt uns nicht viel weiter, die Vertiefung geht nicht, also: Da es keine gemeinsame Außenpolitik geben kann in diesem nicht-vereinten Europa, machen wir mit der Türkei zusammen eine gemeinsame Außenpolitik im Nahen Osten, wo wir Mitspieler werden. Ich will kein Mitspieler werden im Irak- und Irankonflikt.
Remme: Wie sollten sich also die EU-Staaten auf dem Gipfel Ende nächster Woche entscheiden? Wie sollte der Beschluss lauten?
Grosser: Erstens mal, 1963 ist nichts entschieden worden, nichts versprochen worden. Das einzige wirkliche Versprechen ist 1999 gefallen, dass man Verhandlungen aufnimmt. Ich würde wünschen, dass man im Voraus sagt, es gibt Grenzen in der Verhandlung, die wir nicht überschreiten können und wenn diese Grenzen erreicht sind, dann müssen wir einfach die Verhandlungen abbrechen. Ich weiß, dass das in der Türkei Ärger bringt, aber letzenendes sind wir doch Herr darüber, was die Gemeinschaft stärkt und was die Gemeinschaft nicht stärkt.
Remme: Wo verlaufen diese Grenzen, von denen Sie gesprochen haben?
Grosser: Es geht nicht nur um die Türkei, sagen wir mal auf moralischem Standpunkt. Es geht keineswegs ums Christliche. Es geht unter anderem darum, und das ist für mich sehr wichtig, die Laizität, die staatliche Neutralität ist in der Türkei vorhanden, weil das Militär das Sagen hat. Der Premierminister schickt seine Töchter ins Ausland, weil sie dort einen Schleier tragen dürfen und in der Türkei nicht und lässt seine Frau ständig verschleiert auftreten. Ich bin dagegen, ich finde, dass wir in Frankreich und in Deutschland große Fortschritte gemacht haben, in Frankreich mehr als in Deutschland, um Deutsche zu haben, die Moslems sind, wie Deutsche Katholiken oder Protestanten sind, Franzosen zu haben, die Moslems sind, wie andere Katholiken oder Juden sind. Wenn 60 Millionen Islamangehörige dazukommen, dann verändert sich diese Lage für unseren Islam und den deutschen Islam.
Remme: Herr Grosser, gerade aus Frankreich hört man das Argument, dass man mit dem Beginn von Verhandlungen warten sollte, bis die Referenden über die EU-Verfassung abgeschlossen worden sind. Macht das für Sie Sinn?
Grosser: Ja, denn die Aufnahme soll nachher erfolgen. Jetzt schon zum Beispiel macht einer unserer Ultranationalisten, Philippe de Villiers hat gestern begonnen in einer Erklärung, wir machen zugleich gegen das Ja zum Verfassungsvertrag und Eintritt der Türkei, das ist untrennbar und wir sagen Nein zur Türkei und Nein zum Vertrag. Das kann abertausend Stimmen bringen, weil die bedrückende Mehrheit der Bevölkerung gegen einen zukünftigen Beitritt der Türkei ist. Es trifft leider zusammen mit dem Referendum über das. Wie es in Deutschland gehen wird, das weiß ich ja nicht.
Remme: Die Diskussion über einen Beitritt zur Europäischen Union hat eine lange Vorgeschichte, Sie selbst haben eben schon zwei Daten genannt, die Jahrzehnte zurückliegen. Ist der Vorwurf berechtigt, dass die Europäische Union diesen Prozess bisher verschleppt hat und deswegen selbstverschuldet im Moment in eine etwas, sagen wir, hastige Situation gerät?
Grosser: Ja, so hastig ist es nicht, denn es heißt, die Verhandlung sei eine lange, das drückt in Wirklichkeit einen Wunsch aus, denn ein guter Teil der europäischen Staatsleute, die dafür sind, denken, in zehn Jahren bin ich sowieso nicht mehr da. Bei Chirac, er kann noch zehnmal wiedergewählt werden, weiß ich nicht. Aber das ist, wir werden nicht mehr da sein. Das hieß von Ludwig dem XV. nach mir die Sintflut, " Après moi le deluge ". Wenn man im Voraus sagt, das dauert 10 Jahre, man hat keine Ahnung, es kann auch ein Jahr oder zwei Jahre dauern, bis man in der Lage ist zu sagen, Ja oder Nein. Ein Argument gegen die Verhandlungen ist, dass bisher nie Verhandlungen gescheitert sind.
Remme: Das heißt mit anderen Worten: Ergebnisoffene Verhandlungen hat es bisher nicht gegeben?
Grosser: An sich nicht, denn man hat im Voraus gesagt, wir müssen über Punkte verhandeln, die noch nicht gelöst sind, aber wir wünschen die Lösung. Als die Neuen dazukamen am ersten Mai dieses Jahres, einige Punkte mit einigen waren noch gar nicht gelöst, aber man wollte sie dabei haben. Die Rechtsverdeckung ist immer gewesen, nicht immer gewesen, aber ist gewesen bei Griechenland, Portugal und Spanien, ist gewesen bei acht der zehn neuen, sie sind nun Befreit vom Joch, vom Joch der Diktatur im Süden, vom Joch des Stalinismus in Mittel- und Osteuropa. Warum Zypern dabei ist, das ist griechische Erpressung, warum Malta dabei ist, ich habe neulich in Malta gesagt, dass ich immer noch nicht verstanden habe, warum sie dabei sind.
Remme: Herr Grosser, wir haben ja noch über einen großen Mitspieler nicht gesprochen, der eigentlich gar nicht dabei ist, aber mächtigen Druck ausübt. Wie entscheidend ist die Einflussnahme von Washington?
Grosser: Ich würde als guter Franzose sagen, das ist ein Grund, um zu verschleppen oder um Nein zu sagen, denn es stimmt, die Türkei ist beinahe von Anfang an zusammen mit Griechenland in die NATO aufgenommen worden. Aber die NATO ist nicht Europa und ein, sagen wir mal, noch ein amerikahöriger Staat, Großbritannien ist schon alleine sehr stark auf diesem Gebiet, wird Europa als mögliche Einheit in der Weltdiplomatie noch schwächen. Deswegen finde ich, jeder Druck der Vereinigten Staaten wird in einigen Ländern Europas, darunter Frankreich, Widerstand auslösen.
Remme: Können Sie noch einmal zusammenfassend beschreiben, wie weit ein Beitritt der Türkei aus Ihrer Sicht den Charakter der Union verändern würde?
Grosser: Wir werden Mitspieler in allen Konflikten des Mittleren Ostens, wir werden nicht Beobachter, wir werden nicht Schiedsrichter, wir werden Mitspieler. Das alles, was die drei Kurden betrifft, die Kurden von der Türkei, vom Irak und vom Iran. Wir sind dann Mitspieler im Nahen Osten, es ist ungefähr, wie wenn wir sagen, Russland kommt dazu, obwohl wir dann eine gemeinsam Grenze mit Amerika in Wladiwostok haben.
Remme: Ist die privilegierte Partnerschaft so wie die Union sie will hier in Deutschland, auch ein Ziel, das Sie sich vorstellen können?
Grosser: Unbedingt, aber da müsste die Türkei Ja sagen, was sie tun würde, wenn man es klar sagt. Ich denke die Schweiz, für die Schweiz ist es gar nicht so schlecht, auch eine privilegierte Beziehung zu haben ohne Mitglied zu sein.
Remme: Der französische Publizist Alfred Grosser.