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Großer Tunnel, kurze Fahrradwege

Tschechien ist eines der ersten Länder im ehemaligen Ostblock, in dem die Grünen im Parlament vertreten und sogar als Juniorpartner an der Regierung beteiligt sind. Wie schwer aber grüne Themen im politischen Alltag durchzusetzen sind, das zeigt die Diskussion zwischen Fahrrad- und Autofahrern in Prag. Dort wird derzeit eine fragwürdige Straßenbau-Planung verfolgt. Antje Buchholz berichtet.

    "Los geht’s, es lebe das Radfahren!" - Für 2500 Radfahrer war dies vergangenen Samstag das Startsignal für eine Tour durch die Prager Innenstadt. Lauter Zweiräder dort, wo sonst Autos Stoßstange an Stoßstange stehen. Ein ungewohntes Bild, denn Radfahrer sieht man in Prag sonst nur äußerst selten. Kein Wunder, sagt der Urbanistik-Student Tomáš Cach, ein begeisterter Radler und einer der Demonstranten.

    "Wer in Prag radfahren will, muss ziemlich erfahren sein. Wer sich hier von einem Tag auf den anderen aufs Rad schwingt und in den normalen Verkehr stürzt, riskiert wirklich seine Gesundheit und gefährdet gleichzeitig viele andere Menschen. Hier gibt es einfach keine Infrastruktur für Radfahrer, und die Autofahrer rechnen nicht mit Radlern."

    30 Demonstranten trugen weiße Overalls mit aufgedruckten Reifenspuren – eine drastische Art der Erinnerung an die Radfahrer, die in den vergangenen Jahren bei Unfällen in Prag ums Leben kamen. Radwege gibt es höchstens in den Prager Außenbezirken, im Zentrum aber kaum. Ein Wegenetz mit 450 Kilometern hat der Magistrat zwar versprochen, aber nur 21 davon wurden in den vergangenen fünf Jahren fertiggestellt.

    "Es stimmt, das Tempo beim Ausbau sollte höher sein, räumt der für Verkehr zuständige Stadtrat Radovan Šteiner ein. Aber man muss sich auch bewusst machen, dass Prag nicht Amsterdam oder Kopenhagen ist. Ob es den Aktivisten nun gefällt oder nicht, Prag ist ziemlich hügelig."

    Wenn es um den Individualverkehr geht, setzt man im Magistrat eher auf Autos. Und deren Anzahl wächst stetig. Kaum eine andere europäische Großstadt weist eine ähnlich hohe Autodichte vor, wie Prag. Mehr als jeder zweite besitzt einen Pkw. Hinzu kommen zehntausende Pendler, die Tag für Tag mit dem Wagen in die Stadt fahren. Die Folge: Staus von morgens bis abends.

    Grüne Welle – so heißt ironischerweise der Verkehrsfunk, der regelmäßig über Staus im Zentrum informiert. Aber weder Staus noch steigende Benzinpreise haben die motorisierten Prager bisher zu einem Umstieg auf das Fahrrad oder auf das hervorragende Straßenbahn- oder Metronetz motivieren können. Der öffentliche Nahverkehr wird von vielen abfällig als "Socka" bezeichnet, was, salopp gesagt, soviel wie Unterschichten-Verkehrsmittel bedeutet. Wer etwas auf sich hält, fährt Auto. Und für die lässt der Magistrat nun zwei Umgehungsstraßen bauen. Der innere Ring ist zur Hälfte schon fertig, bis 2014 sollen die Bauarbeiten ganz abgeschlossen sein. Ein aufwändiges System aus Tunneln und gigantischen Kreuzungen. Nach Ansicht von Stadtrat Šteiner ein perfektes Rezept gegen die Verstopfung der Innenstadt. Zwar rechnet auch er damit, dass größere Straßenkapazitäten zu noch mehr Verkehr führen werden. Letztendlich sei dies aber umweltfreundlich, so seine Behauptung.

    "In dem Umgehungstunnel wird der Verkehr fließen, die Autos müssen nicht mehr an Kreuzungen halten oder an Ampeln wieder anfahren, sie können durchgängig mit 50 oder 70km/h fahren. Damit wird die Gesamtemission, die der Verkehr in die Umgebung ausstößt, deutlich zurückgehen."

    Mehr Autos, weniger Emissionen. Šteiner ist überzeugt, dass diese Rechnung aufgeht. Umgerechnet rund 1,3 Milliarden Euro lässt sich der Magistrat das Projekt kosten – das entspricht dem halben Jahresetat der Stadt. Tomáš Cach und die anderen Fahrraddemonstranten halten die kostenspielegen Tunnelpläne dagegen für eine völlig verfehlte Verkehrspolitik.

    "Indem eine Schnellstraße inmitten des Stadtzentrums entsteht, wird das Autofahren für die Menschen noch attraktiver gemacht. Und dort, wo die Leute in den Tunnel hinein- und herausfahren, entsteht eine riesige Verkehrsbelastung."

    Das räumt auch Šteiner ein. Aber so sei nun einmal die Demokratie.

    "Eine Mehrheit der Bürger setzt sich hier durch – teilweise auf Kosten Einzelner, deren Situation sich verschlechtert."

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