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Großfahndung nach EHEC

Öffentliche Gesundheit. - Die Kunden verunsichert und im Käuferstreik, die Händler und Produzenten ratlos, der EHEC-Ausbruch in Norddeutschland hat den Leuten mitten im Frühsommer den Appetit auf Gemüse und Salat verdorben. Die Suche nach der Quelle ist nach wie vor schwierig, vermutlich sogar vergebens.

Von Frank Grotelüschen | 05.06.2011
    Ein Gemüsestand auf einem Wochenmarkt
    Ein Gemüsestand auf einem Wochenmarkt (Jan-Martin Altgeld)
    Der Biomarkt auf dem Spritzenplatz in Ottensen, einem lebendigen Stadtteil in Hamburg. Milchprodukte, Obst, Gemüse – alles aus biologischem Anbau. Das Gemüse am Stand von Florian Schreiter sieht verlockend aus – knackig, frisch, gesund. Doch Schreiter ist frustriert.

    "Es geht fast gar nicht. Salat ist echt dramatisch. Tomaten und Gurken auch, aber primär Salat. Bei Tomaten und Gurken ist es so, dass die Leute die gut waschen können. Und der Salat ist eher so, dass sie Angst haben, dass da Rückstände sind."

    Seit Tagen bleibt Schreiter auf seiner Ware sitzen. Und dass, obwohl sie die Lebensmittelkontrolleure gründlich geprüft haben.

    "Die kommen direkt auf den Betrieb und nehmen Proben auf verschiedene Gemüse. Kurze Zeit später haben wir auch schon Ergebnisse bekommen und konnten entwarnen."

    Aber wo kommt der Erreger her, wo steckt der Infektionsherd? Die Gesundheitsbehörden suchen unter Hochdruck. Ihre Spurensuche beginnt bei den Patienten.

    "Die ersten Symptome waren am vorletzten Wochenende. Am vorletzten Sonntag ging es ganz streng los mit Durchfällen und Bauchschmerzen."

    Am Montag kam Jonas Lang ins Krankenhaus. Bald war klar: Der 28-jährige ist EHEC-positiv. Zehn Tage musste er in der Klinik bleiben. In diesen zehn Tagen hatte er einige Fragen zu beantworten – Fragen, die den Ärzten helfen sollten, den Infektionsherd aufzuspüren.

    "Man hat mich konkret gefragt, ob ich einen Verdacht habe. Man hat mich gefragt, wo ich mich aufgehalten habe. Wobei ich sagen muss, dass ich unsicher bin. Ich bin viel unterwegs gewesen, hab an vielen verschiedenen Orten Nahrung zu mir genommen. Ich bin nicht ganz darüber im Bilde, wo die Infektionsquelle liegen könnte."

    Die Inkubationszeit: bis zu 14 Tagen. Und wer weiß schon, was er wo in den letzten zwei Wochen so alles gegessen hat?

    "Ich esse viel Salat, ich esse aber auch mal Fleisch – ist ganz schwierig."

    Jetzt versuchen es die Experten mit einem neuen Ansatz. Man lässt nichts unversucht.

    "Und zwar haben mich die Ärzte gebeten, ihnen Zugang zu gewähren zu meinen Handydaten. Konkret geht es um ein Bewegungsprofil, was sie erstellen lassen wollen. Dann wollen sie schauen: Gibt es Schnittmengen in den Bewegungsprofilen der Erkrankten?"

    Hatten sich die Erkrankten womöglich alle in einer Region aufgehalten? Vielleicht, so die Hoffnung, können die Handy-Bewegungprofile helfen, die EHEC-Quelle festzunageln.

    Im Bezirksamt Altona, in der Nähe des Bahnhofs, setzt man auf bewährte Methoden. Auf Lebensmittelkontrolleure, die von hier aus ausschwärmen, um den Keim ausfindig zu machen. Normalerweise nehmen sie Gaststätten, Kantinen und Restaurants unter die Lupe. Aber seit einigen Wochen ist alles anders:

    "Es ist jetzt so, dass diese regelhaften Kontrollen erst mal lahm gelegt sind","

    sagt Kerstin Godenschwege vom Bezirksamt Altona,

    ""in den Gesundheitsämtern laufen die Meldungen auf aus den Krankenhäusern, wenn es Verdachtsfälle auf EHEC gibt oder EHEC-Erkrankte. Die Gesundheitsämter nehmen dann die Ermittlungen auf mit den Erkrankten oder deren Familien und versuchen herauszubekommen: Was wurde gegessen? Wo wurde eingekauft? Dann werden unsere Lebensmittelkontrolleure entsprechend eingesetzt."

    Die Kontrolleure nehmen Proben aus den Kühlschränken der Erkrankten, von Supermärkten und Wochenmärkten, wo sie eingekauft haben, aus Restaurants, die sie besucht haben. Die Proben landen im Hamburger Stadtteil Rothenburgsort, im Institut für Hygiene und Umwelt

    "Die Probe wird abgegeben als Ganzes","

    sagt Institutsmitarbeiterin Sinje Köpke,

    ""das heißt, wir bekommen die ganzen Lebensmittel. Die werden zerkleinert und in eine Nährlösung gegeben. Das nennt man Anreicherungs-Bouillon, die über Nacht in den Brutschrank kommt, damit sich die Bakterien, die sich auf oder in dem Lebensmittel befunden haben, weiter vermehren können."

    Die Bouillon sieht aus wie Apfelsaft in Flaschen. Am anderen Morgen können sie die Experten dann analysieren. Es folgt ein sogenannter Elisa-Test, mit dem man bestimmte Toxine nachweisen kann, also die Giftstoffe, die die Keime abgeben. Zusätzlich läuft eine DNA-Analyse. Sie weist die Gene nach, die für die Giftproduktion verantwortlich sind. Köpke:

    "Wenn das beides positiv ist, wissen wir, dass EHEC-Erreger auf den Lebensmitteln drauf sind. Wir wissen dann noch nicht, welche Art Erreger das war."

    Gehört der Keim zum gefährlichen Stamm? Um das zu beantworten, war bislang ein tagelanges Geduldsspiel nötig: Die Fachleute mussten die Bakterienkulturen reinigen und voneinander trennen. Erst dann konnten sie mithilfe eines Serums herausfinden, mit welchem Stamm sie es zu tun haben. Doch das wird ab sofort deutlich fixer gehen – mit einem Schnelltest, der an der Uni Münster entwickelt wurde. Köpke:

    "Den etablieren wir gerade in unserem Institut. Der ist ja ganz neu. Das heißt, man muss sich mit dem Verfahren vertraut machen. Aber das wird sehr schnell geschehen."

    Dann können die Fachleute die Lebensmittelproben effektiver als bislang analysieren. Doch trotz Wochenend-Arbeit und Sonderschichten: Fündig geworden sind sie bislang noch nicht.

    "Das ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen."

    Auch in den Krankenhäusern laufen die Analysen auf Hochtouren – so auch in der Asklepios Klinik Altona.

    "Wie Sie sehen, ist es hier sehr voll im Labor. Normalerweise ist da nur ein Mensch. Jetzt sind da fünf Menschen auf der gleichen Fläche beschäftigt. Hier ist also so ziemlich der Teufel los."

    Laboranten in weißen Kittel und Schutzhandschuhen hantieren mit Reagenzgläsern und Petrischalen. Sie analysieren die Stuhlproben von Patienten, die mit EHEC-Verdacht in die Klinik eingeliefert wurden.

    "Wir haben ja gesehen, von was für Patienten wir die Proben bekommen."

    Professor Hinrik von Wulffen, er leitet den Bereich Mikrobiologie bei Medilys, dem Labor der Asklepios-Kliniken in Hamburg.

    "Und es ist schon sehr auffällig, dass es besonders häufig jüngere Frauen sind. Und kaum Kinder und ziemlich wenig ältere Menschen. Das ist ganz gegen die Erfahrung, die wir sonst mit Darmkeimen haben: Es sind immer die Kinder und die alten Menschen, die hauptsächlich betroffen sind und am schwersten erkranken."

    Nach wie vor das wohl wichtigste Indiz für den Infektionsherd.

    "Es ist nicht die typische Assoziation, die wir von EHEC kennen: dass es entweder die Rohmilch ist oder das nicht ausreichend gegarte Fleisch. Wenn es das Fleisch wäre, würde man vermuten, dass deutlich mehr Männer befallen werden. Wenn es die Rohmilch wäre, würde man auf jeden Fall erwarten, dass deutlich mehr Kinder befallen sind."

    Junge, gesundheitsbewusste Frauen, die viel Rohkost essen, oder auch Mütter, die beim Kochen für die Familie das Gemüse schnippeln. Das ist nach wie vor die gängigste Hypothese für den Verbreitungsweg. Doch könnte der Keim nicht auch übers Trinkwasser kommen?

    "Unser normales Trinkwasser ist mit Sicherheit Koli-frei","

    meint von Wulffen. Er favorisiert eine Alternative:

    ""Man kann sich vorstellen – und das würde dazu passen, dass hier in Norddeutschland unser Frühjahr ausgesprochen trocken war – dass viel künstlich bewässert worden ist. Wenn ein Bauer ein Feld künstlich bewässert, bedient er sich nicht unbedingt von Wasser aus dem städtischen Wasserwerk, sondern er legt vielleicht eine Pumpe in einen Teich. Das wäre vorstellbar, dass so ein Binnengewässer vorübergehend mal kontaminiert ist mit solchen Kolibakterien – aus dem Darm von Kühen, Schafen oder Ziegen."

    Doch trotz aller Bemühungen mit Lebensmittelkontrollen, Schnelltests und Handydaten: Ist es wirklich wahrscheinlich, das man den Infektionsherd findet? Von Wulffen ist skeptisch.

    "Es gestaltet sich als schwierig, und es hat sich leider auch in der Vergangenheit häufig erwiesen, dass die Quelle nicht gefunden wurde."

    Zurück auf dem Biomarkt in Hamburg-Ottensen. Immer noch wartet Gemüseverkäufer Florian Schreiter auf Käufer für seinen Salat. Und er dürfte nicht der einzige sein, der zutiefst erleichtert wäre, würde der Infektionsherd doch noch entdeckt – und zwar möglichst bald.

    "Zumindest wenn erstmal klar ist, was es ist, wo es herkommt. So ist es irgendwie ein Blindflug. Keiner weiß, wo es hingeht. Und alle stochern im Nebel. Wir haben Einbußen beim Salat ohne Ende. Und das ist halt schon schwierig damit umzugehen."