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Großkonzerne entflechten
Die Renaissance einer alten Idee

Energie, Rohstoffe, Digitales: In vielen Bereichen geben einige wenige große Konzerne den Ton an. Die Konkurrenz bleibt auf der Strecke. Aktivisten und Wettbewerbshüter wollen gegensteuern, zum Beispiel mit dem Instrument der Entflechtung von Unternehmen.

Von Caspar Dohmen | 17.08.2021
Ein geknotetes Seil vor blauem Hintergrund.
Bislang steht die sogenannte Entflechtung von Unternehmen den deutschen Kartellbehörden nicht als Werkzeug zur Verfügung ( picture alliance / Zoonar | Maksim Lashcheuski)
"Die Demonstration geht hier links vom Saturn auf die Alexanderstraße, biegt dann rechts ab die Karl-Marx-Allee, … wo diese elendige Immobilienmesse derzeit stattfindet."
Berlin Alexanderplatz. April 2019. Auftaktveranstaltung für das Volksbegehren "Spekulation bekämpfen – Deutsche Wohnen & Co enteignen".
Weil in der Folge genügend Menschen den Aufruf unterschreiben, stimmen in diesem September Berlins Bürgerinnen und Bürger darüber ab, ob Konzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen gegen eine Entschädigung enteignet werden sollen. Der Ausgang ist offen.
Mit einem anderen Instrument wiederum will ein Bündnis von 30 Nichtregierungsorganisationen die Macht großer Konzerne beschneiden. Im Juni dieses Jahres forderten sie deshalb von der Politik: "Übermächtige Konzerne entflechten!". Geht es nach ihnen, sollen die deutsche und die europäische Kartellbehörde das scharfe Instrument der Entflechtung erhalten, das ihre Kollegen in den USA schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts besitzen – sie können Unternehmen unabhängig von einem konkreten Kartellrechtsverstoß entflechten, das heißt entweder eine organisatorische Trennung von Geschäftsbereichen innerhalb eines Konzerns anordnen oder ihn zum Verkauf von Unternehmensteilen an neue Eigentümer verpflichten, um auf diese Weise den Wettbewerb zu stärken.
"Wir wollten mit diesem Aufruf deutlich machen, dass das Grundproblem der Macht von Konzernen nicht gelöst wird, solange es kein Entflechtungsinstrument gibt", sagt Marita Wiggerthale von der Entwicklungshilfeorganisation Oxfam.
"Die Marktkonzentration ist wirklich eine wesentliche Hürde für die soziale und ökologische Transformation. Die marktmächtigen Konzerne, ihre Eigentümer und Investoren nutzen ihre Marktmacht und ihr Geld, das in politische Macht umzumünzen. Das ist ein einziger Teufelskreis, der nicht nur unserer Demokratie schadet. Er führt auch dazu, dass Gesetze zum Klima- und Umweltschutz oder im Bereich von Menschenrechten und Arbeitsrechten sich nur sehr schwer durchsetzen lassen."

In vielen Branchen hat die Machtballung in den Händen weniger Konzerne zugenommen, in den Bereichen Energie, Rohstoffe, Nahrung, Finanzen und ganz besonders in der Digitalbranche. Die Entwicklung geht ziemlich ungehindert weiter. Unternehmen kaufen auch regelmäßig Firmen auf, wodurch Wettbewerber vom Markt verschwinden. Mehr als 1.000 Unternehmen haben alleine Google, Facebook, Amazon, Apple und Microsoft in den vergangenen 20 Jahren geschluckt. Wie reagierten die nationalen und supranationalen Wettbewerbshüter der EU?
"Null haben sie blockiert, weltweit."
Der Ökonom und Wettbewerbsexperte Tommaso Valleti kennt sich mit der Materie aus. Von 2016 bis 2019 war er Chefökonom bei der EU-Wettbewerbskommission. Heute lehrt der Italiener an der Imperial College Business School in London und der Universität Rom Tor Vergata.
Was hält er von einer kartellrechtlichen Entflechtungsmöglichkeit für Konzerne, so wie sie die Aktivisten fordern?
"Ja, es gibt Umstände, unter denen eine Entflechtung sehr sinnvoll ist."
Valleti verweist auf Beispiele aus der Vergangenheit.
"Wir haben dies in anderen Industriezweigen und zu anderen Zeiten getan. Vor mehr als einem Jahrhundert war Standard Oil der erste größere Kartellfall, Standard Oil war zu groß und wurde in kleinere Unternehmen aufgeteilt. In den frühen 80er-Jahren haben wir AT&T aufgespalten - wiederum, weil AT&T gigantisch groß geworden war."
Die zehn größten Unternehmen der Welt nach ihrem Marktwert in Milliarden US-Dollar (Stand: Mai 2021)
Die zehn größten Unternehmen der Welt nach ihrem Marktwert in Milliarden US-Dollar (Stand: Mai 2021) (Statista.de/Forbes/Unternehmensangaben)

Beispiel früher Konzernentflechtung: britische Brauereien

In einigen europäischen Ländern wie etwa Großbritannien können Wettbewerbsbehörden bereits Konzerne entflechten, unabhängig davon, ob ein Kartellverstoß vorliegt. Wie im Falle der britischen Brauereien 1989. Auf Geheiß der Wettbewerbsbehörden mussten Brauereien einen Teil ihrer Pubs verkaufen, weil ihnen drei Viertel aller Pubs in Großbritannien gehörten. 2009 musste sich der Flughafenbetreiber British Airport Authority von einigen Flughäfen trennen. Die meisten Erfahrungen sammelten aber die Vereinigten Staaten mit dem Instrument der Entflechtung. Sie wandten es auch erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts an und reagierten damit auf immense Schäden, die damals marktbeherrschende Konzerne anrichteten, die als Räuberbarone in die Geschichtsbücher eingingen. Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe von der Frankfurter Goethe Universität.
"1907 kommt es zu einer schweren Finanzkrise, die ganz stark mit diesen Strukturen zusammenhängt und von daher ist bereits in der Ära Roosevelt vor dem Ersten Weltkrieg in den USA die Zerschlagung von Konzernen aus Gründen des Machtcontainments ganz üblich."
Es geht also um die Eindämmung von Macht.
"Das erste und bedeutendste war die Standard Oil, die dann aufgelöst wird in unterschiedliche, immer noch gewaltige Teilunternehmen".
Standard Oil – gegründet von John Rockefeller – beherrschte den kompletten US-Markt und kontrollierte Anfang des 20. Jahrhunderts sage und schreibe 70 Prozent des globalen Ölmarktes. Wie andere Großkonzerne und Monopolisten erzielte er Traumrenditen. Den Preis dafür zahlten Arbeitende, die häufig in Slums auf engem Raum ohne Wasseranschluss oder Strom lebten, und Verbraucher, die überhöhte Preise zahlten.
"Es setzt sich in den USA generell die Vorstellung durch, dass man verhindern muss, dass zu starke Marktmacht entsteht."
Geschah dies trotzdem, behielt sich der Staat fortan vor, solche Unternehmen zu entflechten. Das machten die Alliierten auf Drängen der USA dann auch in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, wo damals Großkonzerne und Kartelle in diversen Branchen dominierten.
Ein Schild weist auf den Eingang zum Bundeskartellamt hin.
Das Bundeskartellamt in Bonn (picture alliance/dpa | Henning Kaiser)

Mancher wünschte sich damals bereits hierzulande eine gesetzliche Entflechtungsmöglichkeit nach US-Vorbild. Dazu zählte der Nationalökonom und Ministerialbeamte Paul Josten, der namensgebend wurde für den Entwurf eines solchen westdeutschen Wettbewerbsgesetzes. Aber dafür gab es keine politische Mehrheit, dafür starken Widerstand der Industrie. Dem Bundesverband der Deutschen Industrie BDI war in den 1950er-Jahren bereits der vergleichsweise zahme Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen viel zu radikal. Daran erinnert der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt:
"Dass damals schon so Sätze fielen, freier Wettbewerb ist das Ende des freien Unternehmertums, das war damals die offizielle BDI-Haltung."
Monopolkommission: Zerschlagung als letzter Weg
Man beobachte "leider" eine zunehmende Monopolbildung auf digitalen Märkten, sagte Jürgen Kühling, Vorsitzender der Monopolkommission, im Dlf. Eine Zerschlagung der Techriesen sei aber die "Ultima Ratio".
Wirtschaftsminister Ludwig Erhard beschränkte die Eingriffsmöglichkeiten des neu geschaffenen Kartellamts 1958 schließlich auf die Kartell- und Missbrauchsaufsicht. Aber die Frage nach der Möglichkeit einer Entflechtung flammte mehrfach wieder auf, vor allem auf Betreiben der FDP. So forderte die Partei 1977 in ihren Kieler Thesen die "Prüfung der Möglichkeiten zur Entflechtung von Großunternehmen" und war 2010 der Treiber für einen Gesetzentwurf der schwarz-gelben Koalition, den damals auch Bundeskartellamt und Monopolkommission unterstützten. Anlass war die Konzentration in der Energiewirtschaft. Aber der Anlauf scheiterte.
"Also nach meiner Kenntnis hat es Widerstand aus der Union gegeben", sagt Reinhard Houben, wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, und verweist auf die Haltung des damaligen Bundeswirtschaftsministers aus den Reihen der FDP.
"Weil Rainer Brüderle seinerzeit gesagt hat, okay, natürlich ist die Zerschlagung Ultima Ratio, aber am Ende muss das Bundeskartellamt die Möglichkeit haben, auch auf diese letzte Möglichkeit der Regulierung zurückzugreifen und die Konfliktlinie nach meiner Kenntnis war halt die Frage, ob man einen Missbrauch der Marktmacht nachweisen muss."

Wirken und Nicht-Wirken von Entflechtungen

Allerdings erfüllten die Entflechtungen nicht immer ihren Zweck. Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe zieht mit Blick auf das entsprechende Handeln der Alliierten im Nachkriegsdeutschland eine gemischte Bilanz.
"Nur macht man damit die Erfahrung, dass gerade im Wiederaufbau, im Wirtschaftswunder, diese Strukturen nicht wirklich gut funktionieren."
Funktioniert habe es zwar im Bereich der chemischen Industrie, so Plumpe. Aber:
"In der Schwerindustrie, die ja in den 50er-Jahren dann sehr schnell in die Strukturkrise gerät, funktioniert es nicht. Und da ist man 1960 etwa wieder da, wo man vor dem Krieg auch gewesen ist. Und im Bereich der Banken ist es ganz ähnlich, auch da ist ein Finanzierungsinstrument, so wie es die Enteigner sich vorstellen, nicht möglich. Das ist die deutsche Tradition, seitdem ist es eigentlich still geworden in diesen Fragen. Es gibt immer wieder mal kartellrechtliche Eingriffe, die sind aber nicht von wirklich großer Bedeutung."
Eine große Rolle spiele die Dauer der Verfahren, die sich in Rechtsstaaten regelmäßig jahrelang hinzögen, wenn Unternehmen sich auf juristischem Weg wehrten. Gaben Richter grünes Licht für die Entflechtung, hatte sich das Problem bisweilen bereits erledigt. Wie im Falle von IBM in den 1950er-Jahren, als die Wettbewerbshüter verlangten, das Unternehmen müsse sich von Teilen seiner Pressen für Lochkarten trennen, die damals für die halbautomatische Datenverarbeitung gebraucht wurden.
"Als das Ganze wirksam wurde, gab es, glaube ich, gar keine Lochmaschinen mehr."
Denn IBM konzentrierte sich mittlerweile auf die elektronische Datenverarbeitung. Bundeskartellamtspräsident Andreas Mundt:
"Sicherlich einen begrenzten Erfolg hat AT&T gebracht, 1984."
Denn nach der Aufteilung des US-Telekommunikationsmonopolisten hätten sich regionale Telekommunikationsunternehmen besser behaupten können, so Mundt.
Trotz der durchwachsenen Bilanz hätte Mundt das Instrument einer missbrauchsunabhängigen Entflechtung gerne im Werkzeugkasten seiner Behörde.
"Man sollte das nicht ausschließen als Wettbewerbsrechtler, aber es kann wirklich immer nur Ultima Ratio sein."

Die wirtschaftspolitischen Einflüsse der Chicago-School

Allerdings haben es diejenigen Kartellbehörden, die über dieses Instrument verfügen, mehrere Jahrzehnte kaum genutzt.
"Weil nämlich ab den 1980er-Jahren sich die Chicago-School im Wettbewerbsrecht durchgesetzt hat", sagt Oxfam-Aktivistin Marita Wiggerthale. Die an der Universität Chicago beheimatete Denkschule habe später auch die Europäische Wettbewerbskommission beeinflusst. Die Idee der Chicago School beschreibt der britische Soziologe Colin Crouch in seinem Buch "Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus" als neue Wirtschaftstheorie. Im Falle des Wettbewerbsrechts entwickelten die Wissenschaftler einen anderen Maßstab für die Bewertung von Konzernen. Zuvor sei es Wettbewerbshütern darum gegangen, den Wettbewerb aufrecht zu erhalten, damit Kunden eine möglichst große Wahlfreiheit hätten, schreibt Crouch. Nun ging es darum, unter welchen Umständen Verbraucher die größten Wahlmöglichkeiten hätten. Dies sei – so die Theoretiker der Chicago School – der Fall, wenn die Volkswirtschaft am stärksten wachse, was wiederum der Fall sei, wenn sich die starken Unternehmen durchsetzten und die schwachen Firmen vom Markt verschwänden. Colin Crouch schreibt:
"Diese Theorie bevorteilt das Großunternehmen; ihren Kern bildet das Argument, dass Unternehmenszusammenschlüsse und Fusionen, aus denen Großkonzerne hervorgehen, die gesamtwirtschaftliche Effizienz stets vermehren."
Wie dieser Gewinn konkret in einer Gesellschaft verteilt wird, kümmerte die Anhänger der Chicago-School nicht. Ebenso wenig wie die Empirie. Denn laut Studien vernichten eine Menge Fusionen ökonomischen Wert. Aber die damals neue Theorie hatte großen Einfluss, besonders in den USA. Ökonom Tommaso Valleti.

Die US-Kartellbehörde und ihr plötzlicher Gesinnungswandel

"Im Grunde haben die Vereinigten Staaten 20 Jahre lang nichts unternommen, vor allem, wenn es um Kartellrecht im digitalen Bereich geht. Ich würde sagen, dass Europa trotz aller Unzulänglichkeiten eine glücklichere Ausgangsposition hat. Die Europäische Kommission hat viele Fälle im Technologiebereich bearbeitet."
Allerdings gibt es in jüngster Zeit in den USA eine Rückbesinnung der Kartellbehörde.
Die USA hätten sich mit einer bemerkenswerten Geschwindigkeit gewandelt, so Valleti. Bestes Beispiel ist Facebook. Nach Ansicht der Kartellbehörde besitzt das Unternehmen ein Monopol bei sozialen Medien und soll deswegen den Messenger-Dienst Whatsapp und die Bild- und Videoplattform Instagram verkaufen. Aber in den Augen des zuständigen Gerichts belegte das Kartellamt seine Ansicht unzureichend, weshalb es das Ansinnen in diesem Juni ablehnte, aber der Behörde ermöglichte, entsprechende Belege zu präsentieren, was diese im August beabsichtigt. Wie sehr sich unter Präsident Joe Biden die Haltung zu Wettbewerbsfragen verändert hat, zeigt auch eine Spitzenpersonalie: Neuerdings leitet die progressive Juristin Lina Khan die US-Kartellbehörde. Sie hatte als Wissenschaftlerin in Fachkreisen 2017 für Aufsehen gesorgt, als sie sich in einem Aufsatz dem sogenannten Amazon-Paradox widmete. Zwar mache der Onlinehändler kaum Gewinn, er sei aber trotzdem sehr mächtig, Wettbewerbsbehörden hätten dagegen keine Handhabe. Der deutsche Kartellamtschef Andreas Mundt reagiert jedoch verhalten auf die Offensive seiner US-Kollegen:
"Merkwürdig ist ja, in den USA ist in den letzten Jahren mit dem Wettbewerbsrecht sehr wenig passiert, da springt man also heute direkt zur dritten Stufe, zum Thema Entflechtung."
Viel Potenzial böten Mundt zufolge die ersten beiden Stufen: die Wettbewerbskontrolle und die Regulierung.
So habe seine Behörde etwa durchgesetzt, dass Amazon auf dem sogenannten "Market place" gegenüber den Händlern hafte und Kündigungsfristen einhalten müsse. Andreas Mundt:
"Last but not least, ganz wichtig, die Händler auf dem Amazon Market Place können seitdem gegen Amazon in Deutschland vor deutschen Gerichten klagen, was sie auch fleißig tun. Also wir haben den Weg geöffnet für eine zivilrechtliche Auseinandersetzung und die Händler, die müssen nicht mehr nach luxemburgischen Recht in französischer Sprache nach Luxemburg."
Bundeskartellamt - Bonn gegen das Silicon Valley
Internetgiganten wie Google und Amazon rufen immer wieder das Bundeskartellamt auf den Plan. Wenn Geschäftsmodelle gegen das Gesetz verstoßen, schreitet die Behörde ein. Ein Schlüsselelement im Digitalmarkt ist der Zugang zu Daten.
Die Wettbewerbshüter kippten auch die Bestpreisgarantie des Buchungsportals Booking.com – nun entscheiden die Hotels wieder selbst über ihre Preise. Die EU-Kommission hat ebenfalls diverse Verfahren gegen Google, Facebook oder Amazon eröffnet. Aber den ständigen Machtzuwachs der Digitalkonzerne haben die Wettbewerbshüter damit nicht gestoppt. Das liegt auch daran, dass Wettbewerbshüter digitale Unternehmen nur schwer greifen können mit ihren herkömmlichen ökonomischen Standardmodellen, die sich an Preisen orientieren.
"Wenn es um die Digitalisierung geht, sind die ökonomischen Modelle ungeeignet. Es sind Null-Preis-Märkte, weil wir Google und Facebook mit unseren Daten bezahlen."
Um beispielsweise Übernahmen zu unterbinden, müssen Wettbewerbshüter nachweisen, dass daraus Nachteile für Verbraucher entstehen. Sie müssen dafür den relevanten Markt definieren und dann die Marktanteile und Preise berechnen. Was im Falle von traditionellen Industrieunternehmen gut funktioniere, scheitere bei Digitalunternehmen und führe teilweise zu absurden Ergebnissen. Als beispielsweise Facebook seinen Konkurrenten Instagram übernehmen wollte, hätten die Wettbewerbshüter als relevanten Markt den der Online-Kamera-Apps identifiziert. Der Forscher beschreibt eine weitere Hürde für Kartellämter bei der Bewertung der Marktmacht von Digitalkonzernen.
"Es gibt eine Menge Daten. Aber sie befinden sich in den Händen von Google, Facebook, Amazon und anderen. Sie haben unabhängigen Wissenschaftlern aber nie Zugang zu diesen Daten gewährt. Deswegen ist auch die Forschung ins Hintertreffen geraten."
Ökonom Valleti würde den Spieß gerne umdrehen. Künftig sollten systemisch wichtige Konzerne bei Übernahmevorhaben gegenüber den Wettbewerbshütern belegen, dass sie die gleichen Funktionen nicht selbst entwickeln können und die geplante Übernahme gut für die Verbraucher sei.
"Wenn Sie nicht beweisen können, dass das erwartete Endergebnis gut für die Verbraucher ist, würde ich es blockieren."
Einen umfassenden Ansatz gegen die Macht der Konzerne fordert Gerhard Schick, Leiter der NGO Finanzwende.
"Es braucht eine systematische wettbewerbspolitische Ausrichtung, die sicherstellt, dass uns einzelne Unternehmen nicht über den Kopf wachsen."
Gerhard Schick - „Deutschland hat das Thema Geldwäsche viele Jahre ignoriert“ Geldwäsche galt lange als Kavaliersdelikt, kritisiert Gerhard Schick von der Organisation "Finanzwende". Dabei werde dadurch überhaupt erst sichergestellt, dass sich kriminelle Aktivitäten lohnen.
Deswegen hat die Organisation Finanzwende den Aufruf zur Entflechtung von Konzernen mitinitiiert. Schon als finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag hatte Gerhard Schick vor der Machtkonzentration in Händen einiger weniger Großkonzerne gewarnt. Er glaubt:
"Im Grundsatz spürt man auch in Deutschland, dass es eigentlich eine ordnungspolitische Denktradition gibt, dass der Staat für einen freien Wettbewerb sorgen muss und sicherstellen muss, dass auch kleine Unternehmen eine Chance haben. Dafür gibt es eigentlich grundsätzlich Resonanz in allen Parteien."
Aber der Wille zum praktischen Handeln sei nicht gerade stark.
"Diese Bereitschaft, sich auch mit den ökonomisch starken Firmen auseinanderzusetzen, die ist in den einzelnen Parteien sehr gering ausgeprägt."