Rund 1.700 Großveranstaltungen gibt es in Italien allein in den nächsten Wochen über den Sommer. Das hat das Innenministerium in Rom ermittelt. Und bei jedem Konzert, jedem Festival könnte Ähnliches passieren, wie am Samstagabend in Turin, beim Public Viewing des Champions League-Finales. 1527 Verletzte hat es dort gegeben, aus Panik, wie dieser Augenzeuge noch am Abend berichtete:
"Es ist ein Feuerwerkskörper explodiert, entweder da drüben oder hier. Und da hat die Panik begonnen und die Menschenmenge ist vom Platz geströmt, wobei Menschen niedergetrampelt wurden. Die meisten Verletzungen gab es wegen der Scherben von Glasflaschen, die am Boden lagen."
Politisches Kapital aus Terrorangst
Es gibt jetzt in Italien natürlich die, die Profit schlagen wollen aus dem, was in Turin passiert ist. Immerhin finden am nächsten Wochenende in über 1.000 italienischen Gemeinden Kommunalwahlen statt. Nicht in Turin, aber Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega Nord fordert dort trotzdem politische Konsequenzen:
"Das Problem waren nicht die fünf Irren auf dem Platz. Das Problem ist, 30.000 wie die Sardinen auf einen Platz zu quetschen ohne Fluchtweg, dass man den Verkauf von hunderten Bierflaschen aus Glas, die für die Verletzungen gesorgt haben, nicht verhindert hat. Sie müssen das wissen, aber Bürgermeisterin, Präfekt, Quästor, einer von denen muss seinen Hut nehmen, wenn das hier ein normales Land ist. Denn das wäre fast ein Blutbad geworden."
Chiara Appendino, die erst 32jährige Bürgermeisterin von Turin, von der Fünf-Sterne-Bewegung, hat bislang die Stadt relativ geräuschlos regiert. Nun musste sie sich rechtfertigen wegen den Folgen der Massenpanik auf der Piazza San Carlo im Zentrum.
"Es gibt ein wachsendes Klima der Angst seit dem 11. September und vor allem nach den Attentaten von Paris, Nizza, Berlin und London, um nur einige zu nennen. Aber wir dürfen der Angst nicht nachgeben, uns nicht von der Nervosität angesichts des Terrors besiegen lassen, den wir an vielen Orten erleben mussten. Und das muss zusammen gehen mit Regelungen, die zwar seit einiger Zeit erwünscht sind, aber bis heute nicht angewandt wurden."
Ängste ernst nehmen
Dafür will auch Innenminister Marco Minniti sorgen. Gleich nach dem Anschlag von London hatte er mit seinen Sicherheitsexperten zusammengesessen. Und seit Turin weiß man: es gibt zwei Dimensionen der Gefahr: die eine ganz reale eines möglichen Terroranschlags auch in Italien. Und dann die Angst der Menschen, die man mittlerweile bei Großveranstaltungen wie in Turin einberechnen muss.
"Ganz offensichtlich hat etwas nicht funktioniert. Vor allem in diesem weltweiten Klima, mit Terroranschlägen ohne Hemmschwelle, war das Ziel auf möglichst brutale Art größtmögliche Angst zu verbreiten. Sowas kann passieren, entweder weil es einen Anschlag gibt, oder weil es eine Veranstaltung gibt, bei der es einen Anschlag geben könnte, wie es in Turin der Fall war."
Große Veranstaltungen müssen Sicherheitsstandards erfüllen
Die rund 1.700 Großveranstaltungen in diesem Sommer sollen wie geplant stattfinden, sagt der Innenminister. Aber nur mit entsprechenden Sicherheitsauflagen. So soll zum Beispiel vorher genau untersucht werden, ob ein Gelände geeignet ist, ob es Fluchtwege gibt, ob genügend Hilfskräfte eingesetzt werden, die bei einer Massenpanik reagieren können.
"Wir arbeiten, damit die allerhöchsten Sicherheitsstandards garantiert werden. Und wenn eine Veranstaltung das nicht zusichern kann, dann könnte die Veranstaltung abgesagt werden."
Man müsse verhindern, so wörtlich, das das Land dicht gemacht wird, hat Minniti auch gesagt. Dabei ist offenkundig, dass es auch in Italien zurzeit keine Normalität gibt. Die Terrorwarnstufe ist weiterhin hoch. Und zusätzlich zur Gefahr durch Anschläge müssen die Behörden ihre Rechnung jetzt auch noch mit der Angst vor diesen Anschlägen machen. Dass die Angst allein schlimme Folgen haben kann, hat man in Turin gesehen, am Samstagabend, der eigentlich nur ein fröhliches Fußballfest sein sollte.