Martin Zagatta: Ein ungewöhnliches, ein radikal anmutendes Mittel gegen sprunghaft steigende Mieten – in Berlin soll der Senat mittels eines Volksbegehrens, mittels eines Volksentscheids, dazu gebracht werden, große Immobilienunternehmen zu enteignen, gegen eine Entschädigung. Die Initiative zielt vor allem auf ein Unternehmen, wie Claudia van Laak berichtet.
"Deutsche Wohnen und Co. enteignen", so nennt sich die Initiative, die jetzt 20.000 Unterschriften sammeln muss, um ein Volksbegehren auf den Weg zu bringen mit dem Ziel, Großvermieter in Berlin gegen eine Entschädigung zu enteignen. 20.000 Unterschriften, das sollte kein Problem sein, zumal auch Unterstützung aus dem Berliner Senat kommt.
Die Berliner Linke, die auch die Bausenatorin stellt, unterstützt das Vorhaben, die Wohnbestände von großen Immobilienunternehmen, die über mehr als 3.000 Wohnungen verfügen, in kommunalen Besitz zu nehmen, sprich also gegen eine Entschädigung zu enteignen. Ein umstrittenes Vorgehen. Wie realistisch das ist, das kann ich jetzt Katina Schubert fragen. Sie ist die Landesvorsitzende der Partei Die Linke in Berlin. Guten Morgen, Frau Schubert!
Katina Schubert: Guten Morgen!
Artikel 15: "Ein schlafender Riese in unserer Verfassung"
Zagatta: Frau Schubert, halten Sie das tatsächlich für denkbar, dass der Berliner Senat demnächst Immobilien von Großunternehmen enteignet, also in Beschlag nimmt gegen eine Entschädigung?
Schubert: Die Überlegung des Volksbegehrens ist ja, die Enteignungen auf der Grundlage des Artikels 15 Grundgesetz vorzunehmen, der explizit vorsieht, dass Vergesellschaftungen möglich sind, wenn Unternehmen eine zu große Marktmacht entwickeln. Das ist ein Artikel, der ist noch nie ausprobiert worden, ist sozusagen ein schlafender Riese in unserer Verfassung. Und die Idee dahinter ist, es über diesen Weg zu versuchen. Natürlich nur bei Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin besitzen und damit tatsächlich Marktmacht auf diesem völlig überhitzten und heißen Mietenmarkt zu entwickeln.
Und dadurch, dass das noch nie jemand ausprobiert hat, betreten wir mit diesem Volksbegehren und mit dieser Überlegung tatsächlich Neuland. Und die nächste Aufgabe ist dann, ein Gesetz zu entwickeln, dass dann auch in der Praxis umsetzbar ist.
Zagatta: Halten Sie das rechtlich überhaupt für zu machen? Da gibt es ja große Zweifel.
Schubert: Wenn wir es nicht für möglich hielten, würden wir das nicht anstrengen. Ich weiß natürlich, vor Gericht und auf hoher See, das wissen Sie selber auch, kann man nie sicher sein. Deswegen müssen wir aber alle Wege versuchen, diesen Weg gangbar zu machen. Das ist die Herausforderung.
Ich glaube, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes sich was dabei gedacht haben, als sie diesen Artikel ins Grundgesetz eingebaut haben. Wir haben ein Grundgesetz, das sagt, das private Eigentum ist zu schützen. Gleichzeitig ist Eigentum aber auch Verpflichtung dem Gemeinwohl gegenüber. Und wenn wir Wohnungsunternehmen haben, die dem Gemeinwohl sich überhaupt nicht verpflichtet fühlen, sondern im Gegenteil Mieterinnen und Mieter schlecht behandeln und Wohnungen zu plötzlich nicht mehr bezahlbaren Preisen behandeln, dann haben wir ein erhebliches Problem und auch ein Demokratieproblem.
Denn Wohnen ist ein Grundrecht. Jeder Mensch muss ein Recht auf sein Zuhause haben. Und wenn man das nicht mehr bezahlen kann, dann ist spätestens der Punkt gekommen, wo auch ein Staat, wo auch eine Regierung eingreifen muss.
"Man muss neue Wege ausprobieren"
Zagatta: Aber sehen Sie da überhaupt realistische Möglichkeiten, dass der Senat, dass Ihre Koalitionspartner das mitmachen? Von der SPD heißt es ja zum Beispiel da, es gebe keine Rechtsgrundlage, die Wohnungsbaugesellschaften zum Verkauf ihrer Bestände zu zwingen. Also de facto, das wird wohl nicht kommen.
Schubert: Das weiß ich nicht. Wenn wir ein Volksbegehren haben, das den Senat auffordert, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, dann wird der Senat einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen müssen. Und das heißt, dass alle Rechtsprüfungen, die möglich sind, auch gemacht werden müssen. Und dann heißt das, dass dieser Weg ausprobiert werden muss, über den Artikel 15 Grundgesetz. Und ich sehe das auch durchaus als möglich an.
Ich bin keine Juristin, ich bin aber überzeugt davon, dass man neue Wege ausprobieren muss. Und das ist das Entscheidende. Wir müssen neue Wege ausprobieren. Wir haben eine Bundesregierung, die viel zu wenig tut, um die Mietpreisentwicklung zu dämpfen, obwohl sie es könnte. Sie hat die Regelungskompetenz. Das haben wir auf Landesebene nicht. Das wissen die Mieterinnen und Mieter, und genau deswegen greifen sie jetzt auch zu solchen Mitteln, starten solche Initiativen.
Zagatta: Haben Sie denn eine Vorstellung, diese Enteignungen – da soll ja auch eine Entschädigung gezahlt werden –, haben Sie denn eine Vorstellung, wie viele Milliarden das den Senat kosten würde?
Schubert: Kostenschätzungen sind im Moment schwierig zu machen. Der Trick an der Vergesellschaftung ist, dass nicht zwingend der Verkehrswert entschädigt werden muss, sondern tatsächlich der Wert der Wohnungen, wie sie dastehen. Und damit kommen wir auf deutlich geringere Summen als die, die im Moment in die Debatte gebracht werden. In der Debatte sind ja 30 Milliarden oder Ähnliches. Wenn nicht nach dem Verkehrswert, sondern nach dem realen Wert der Wohnungen entschädigt wird, werden wir deutlich darunterliegen.
Verkauf städtischer Wohnungen 2004 "ein schwerer Fehler"
Zagatta: Aber selbst wenn das die Hälfte wird – wer soll das bezahlen? Berlin ist doch jetzt schon hoch verschuldet. Sollen das dann die Bayern zahlen mit dem Länderfinanzausgleich? Oder wie wollen Sie die Milliarden aufbringen?
Schubert: Wir müssen erst mal abwarten, um wie viele Milliarden es real geht, und dann wird das vermutlich genau so laufen wie bei anderen Bauinvestitionen auch. Wir müssen dann sehen, dass wir das mit den kommunalen Wohnungsunternehmen bestreiten, die in der Lage sind, Kredite auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen und über einen längeren Zeitraum zu strecken, sodass das auch tatsächlich stemmbar ist und auch für unsere kommunalen Wohnungsbaugesellschaft stemmbar ist.
Zagatta: Frau Schubert, solche Enteignungen, wenn sie denn tatsächlich kommen, wäre das auf der anderen Seite auch eine Bankrotterklärung Ihrer bisherigen Politik? Denn Sie haben ja, da waren Sie ja auch mit in der Regierung mit der Linken, die städtischen Wohnungen, um die es jetzt geht, relativ günstig verkauft und müssen Sie jetzt unter Umständen teuer zurückkaufen.
Schubert: Die Situation 2004, als die Wohnungen der GSW verkauft wurden, war eine völlig andere, sowohl auf dem Mietenmarkt als auch vor allem die Haushaltslage des Landes Berlin betreffend. Dennoch sagen wir, und wir waren damals mit in Verantwortung, das war ein ganz schwerer Fehler, dass wir diese Wohnungen verkauft haben, weil damals auch das Land Berlin ein strategisches Mittel aus der Hand gegeben hat, die Mietpreise zu dämpfen, dämpfend auf die Mietpreisentwicklung einzugehen.
Zagatta: Also ein Fehler, den Sie mit zu verantworten haben, das sagen Sie so, ja?
Schubert: Das sagen wir. Das sagen wir aber auch schon seit vielen Jahren. Das war ein großer Fehler. Und bei der zweiten rot-roten Regierung haben wir ja auch in den Koalitionsvertrag reingeschrieben, dass keine Wohnungen mehr privatisiert werden, also 2006 schon. Aber der Fehler war 2004, und es war ein schwerer Fehler.
Es geht darum, Spekulanten abzuschrecken
Zagatta: Wäre dieses Geld, das fragen ja jetzt viele, statt in so umstrittene Enteignungen zu gehen, wäre dieses Geld, diese vielen Milliarden, wären die nicht besser in dem Bau neuer Wohnungen angelegt?
Schubert: Wir brauchen beides. Wir brauchen Ankauf von Wohnungen, um den kommunalen Wohnungsbestand zu erhöhen, und wir brauchen den Neubau. Wir haben die Situation, das vor allen Dingen Mieterinnen und Mieter, die jetzt schon dort wohnen, erhebliche Ängste haben, ob sie ihre Wohnung überhaupt noch bezahlen können, weil die Mietpreisentwicklung auch im Bestand in Berlin dramatisch ist. Und wir brauchen gleichzeitig neue Wohnungen, weil natürlich auch neue Menschen nach Berlin kommen.
Und deswegen müssen wir diese Doppelstrategie oder Dreifachstrategie fahren von Neubau – und es sind in 2017 über 16.000 Wohnungen neu gebaut worden. Wir brauchen Ankauf, um den kommunalen und gemeinwirtschaftlichen Bestand zu erhöhen und bezahlbare Mieten zu sichern. Das ist das Zentrale. Und wir brauchen Nachverdichtung unter Beteiligung der Bevölkerung, um mehr Wohnraum zu schaffen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
Zagatta: Und wenn Sie da Enteignungen planen, da haben Sie keine Angst, dass Sie damit ja private Investoren erst recht abschrecken?
Schubert: Es geht nicht darum, private Investoren abzuschrecken. Aber es geht darum, diejenigen abzuschrecken, die mit den Wohnungen im Land Berlin spekulieren wollen und den schnellen Euro machen wollen.
"Wohnen ist ein Grundbedürfnis, ein Grundrecht"
Wohnen ist ein Grundbedürfnis, es ist ein Grundrecht. Und jede Berlinerin und jeder Berliner muss die Möglichkeit haben, eine Wohnung zu bekommen, die sie sich auch wirklich selbst leisten kann. Wir sind ja jetzt schon in der Situation, dass wir Wohnungen subventionieren, dass sie nur zu 6,50 netto kalt angeboten werden. Und das ist ja auch schon eine Menge Geld, wenn man sich ansieht, wie die Verdienststruktur in Berlin ist. Wenn Sie hören, was die Bauunternehmen sagen, wie sie im Moment bauen, dann ist das nicht unter zehn bis zwölf Euro netto kalt.
Das heißt, die Neubauwohnungen, die nicht subventioniert sind, kommen zu Preisen auf den Markt, die sich NormalverdienerInnen und GeringverdienerInnen in keinem Fall leisten können. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir den kommunalen Wohnungsbestand, die landeseigenen Wohnungen erhöhen, um günstige Wohnungen anbieten zu können.
Zagatta: Sagt Katina Schubert, die Vorsitzende der Partei Die Linke in Berlin. Frau Schubert, ich bedanke mich!
Schubert: Nichts zu danken! Einen schönen Tag noch!
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