"Man findet sehr viele Säugetiere, Fische, unzählige Vögel, viele Fledermäuse, Hunderte von Insektenarten und Pflanzenarten. Und alles zusammen ergibt einen Urwald, der in etwa bei 20 Grad Jahresmittel hier existiert hat. Damals war Europa ja noch eine Insel. Nord- und Südpol waren noch nicht vereist, die Alpen haben noch nicht existiert. Und Messel ist ein solches einzigartiges Fenster in die Vergangenheit."
Tummelplatz der Fossilien-Sammler
Stephan Schaal vom Frankfurter Forschungsinstitut Senckenberg hatte allen Grund, stolz zu sein, als er am 8. Dezember 1995 nach einer Sitzung des Welterbe-Komitees der Unesco in Berlin vor die Presse trat. Fast 20 Jahre lang hatten er und seine Kollegen für den Erhalt der Grube Messel gekämpft. Und nun war diese weltweit einzigartige Fossilienlagerstätte in der Nähe von Darmstadt als "Weltnaturerbe" anerkannt und damit unter besonderen Schutz gestellt worden. Dabei hätte diese Geschichte auch ganz anders ausgehen können. Denn wäre es nach dem Willen der hessischen Landesregierung gegangen, dann wäre die rund 65 Meter tiefe, aus einem prähistorischen Vulkansee entstandene Grube, in der man fast 100 Jahre lang Ölschiefer abgebaut hatte, zu einer zentralen Mülldeponie umfunktioniert worden. 1974 wurde das Gelände abgesperrt – ein Schock auch für die vielen privaten Fossilien-Sammler, die aus der Grube Messel schon so manchen Schatz geborgen hatten. Nur den Forschern vom Senckenberg-Institut wurde erlaubt, dort noch eine Zeitlang "Notgrabungen" durchzuführen.
"Dann haben wir mit den Grabungen begonnen, und es dauerte gar nicht lange, da haben wir dann die ersten großen Funde gemacht. Wir haben wirklich großes Glück gehabt mit unserer Grabungskampagne. Es war so, als wenn sich die Fossilien hätten wehren wollen gegen diese Pläne, die da auf sie zukamen. Wir fanden also ein vollständiges Skelett eines Urpferdchens, und dazu auch das vollständige Skelett eines Alligators und einen wunderschönen Vogel mit erhaltener Befiederung und eine kleine Echse, also insgesamt acht Funde", erinnerte sich der Frankfurter Paläontologe Jens Franzen in einem Radiobeitrag an diese aufregende Zeit.
Deponiepläne scheitern an Formfehlern
Einwohner aus Messel gründeten eine Bürgerinitiative, um sich gegen das gigantische Bauprojekt in ihrem beschaulichen Ort zu wehren. Einer von ihnen war der Heimatforscher Karl Wenchel, der später erzählte:
"Also, wir haben demonstriert, haben Transparente gezeigt - und wir haben sehr bald gemerkt, dass damit nichts zu gewinnen ist. Oder nicht viel."
Eine Klage gegen die geplante Müllkippe ging in erster Instanz mit Pauken und Trompeten verloren. Aber die Bürger aus Messel ließen nicht locker. Und Fachanwälte stießen auf Formfehler im Planfeststellungsverfahren. Am 16. Dezember 1987 wurde am Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel über einen Eilantrag gegen die Müllkippe verhandelt. Für Karl Wenchel war es "einer meiner aufregendsten Tage! Mein Herz hat geklopft bis da oben hin. Ja, und dann - kam der erlösende Satz: dass dieser Planfeststellungsbeschluss in hohem Maße fehlerhaft ist, und aus diesem Grund ist er für nichtig erklärt worden."
Nach 48 Millionen Jahren gut in Form
Zwei Jahre dauerte es noch, bis die Politik ihre Pläne für eine Mülldeponie endgültig ad acta legte. 1994 beantragte das Hessische Kultusministerium die Aufnahme der Grube Messel in die Welterbe-Liste der Unesco. Dem Antrag wurde am besagten 8. Dezember 1995 einstimmig stattgegeben. Zur Überraschung von Stephan Schaal, der später bilanzierte:
"Wir haben also viele Kontakte nach Australien, nach China, nach Afrika, auch nach Südamerika. Es gibt über hundert Wissenschaftler, die regelmäßig auch an der Forschung beteiligt sind in Messel. Und das wäre natürlich nicht der Fall, wenn es nicht Unesco-Welterbe wäre."
Versteinerte Nahrungskette gefunden
Was die Forscher aus aller Welt an den Fossilien aus Messel so fasziniert, ist neben dem Alter von rund 48 Millionen Jahren vor allem auch ihr exzellenter Erhaltungszustand, so Stephan Schaal. "Es gibt ein Beispiel in Messel, wo eine Schlange eine Echse gefressen hat, und die Echse hatte vorher ein Insekt gefressen. Und das macht Messel ein bisschen besonders und einzigartig, dass man vollständige Tiere finden kann und eben nicht zerfallene, an denen man nur mit Einzelknochen arbeiten muss." Kaum zu glauben, dass diese fossile Schatzkammer um Haaresbreite mit Bergen von Müll zugeschüttet worden wäre.