Er wisse nicht, wofür die CDU genau stehe, so Palmer im DLF. "Mit so einem Partner muss man erst einmal Gespräche führen, um herauszufinden, was er will. Die haben ihre Oppositionsrolle nicht verstanden."
Die Wirtschaftspolitik sei jedenfalls kein Hindernis für ein gemeinsames Bündnis. Die Wähler hätten Ministerpräsident Kretschmann in dieser Frage eine deutlich höhere Kompetenz zugesprochen als dem CDU-Spitzenkandidten Wolf. "Ich sehe keinen Grund, warum die CDU wegen der Wirtschaftspolitik nicht mit uns koalieren könnte," meinte der Grünen-Politiker. Auch mögliche PartSein Landesverband habe in Baden-Württemberg seit 30 Jahren stets einen realpolitischen Kurs vertreten, meinte Palmer mit Blick auf mögliche parteiinterne Differenzen.
Eine mögliche grün-schwarze Koalition in Baden-Württemberg betrachtet Palmer allerdings nicht als Modell für Bund. Das müsse dort gar nicht klappen, so Palmer: "Was wir brauchen ist eine funktionierende Landesregierung."
Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister in Tübingen. Schönen guten Morgen, Herr Palmer.
Boris Palmer: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Palmer, ist Ihre Partei bereit für Grün-Schwarz in Stuttgart?
Palmer: Wir werden eine Koalition bilden müssen und nachdem die Wunschkoalition Grün-Rot jetzt keine Mehrheit hat ist es sicherlich richtig, mit der CDU zu reden. Ich bin aber auch noch nicht der Auffassung, dass die Beschlüsse, die Sie gerade zitiert haben, dazu führen, dass man mit den anderen beiden, mit FDP und SPD, nicht mehr redet. Der Ministerpräsident hat ja gesagt, er wird jetzt erst mal alle einladen. So muss das sein nach so einer Wahl mit so einem schwierigen Ergebnis.
"In den letzten fünf Jahren war die CDU nicht gerade konstruktiv"
Armbrüster: Was müsste denn die Union für Kriterien erfüllen, damit es klappt mit Ihnen beiden?
Palmer: Bei Grün-Schwarz ist das erste Kriterium, das die Union erfüllen muss, dass Herr Wolf seine Aussage zurücknimmt, dass er nur dann bereit wäre, mit den Grünen zu koalieren, wenn die CDU stärker ist als die Grünen. Ich hoffe, dass das nicht gilt, denn dann wären wir ja tatsächlich in einer schwierigen Situation. Dann hätten ja alle die Regierungen ausgeschlossen, außer uns Grünen. Wir wären gesprächsbereit, aber niemand wollte dann mit uns reden. Wenn Herr Wolf diese Aussage zurücknimmt, dann gibt es sicherlich Schwierigkeiten auf der persönlichen Ebene, denn in den letzten fünf Jahren war die CDU nicht gerade konstruktiv im Landtag, sondern das war oft eine ziemliche Mäkelopposition und oft auch auf der persönlichen Ebene. Darüber müssen dann Politiker hinwegkommen zum Wohl des Landes und dann werden wir inhaltliche Fragen diskutieren müssen. Da wissen wir aber noch nicht so genau, welche das sind, denn das müsste die CDU erst mal formulieren.
Armbrüster: Man kann ja sicher schon einige Konflikte voraussehen, beispielsweise in der Wirtschaftspolitik. Da fährt die CDU ja mit Sicherheit einen zum Beispiel autoindustriefreundlicheren Kurs als die Grünen.
Palmer: Und was soll die landespolitische Forderung sein, um die es dabei geht?
Armbrüster: Na ja, eine andere Wirtschaftspolitik, spreche ich jetzt mal so für die Union als Forderung der Union.
Palmer: So, und dann hört es aber auf. Was ist denn die andere Wirtschaftspolitik? Da hört es auf, da gibt es nichts. Ich wüsste nicht, was die andere Wirtschaftspolitik sein sollte. Im Übrigen haben das die Wähler auch erkannt. Die haben nämlich Ministerpräsident Kretschmann eine deutlich höhere Wirtschaftskompetenz als Herrn Wolf zugesprochen in den Umfragen und bei den Wechselgründen für die Grünen gab die Wirtschaftspolitik mehr Leuten einen Grund als die Flüchtlingsfrage. Ich wüsste nicht, was in der Wirtschaftspolitik der Grund sein sollte, warum die CDU nicht mit uns koalieren könnte.
"Die CDU hat ihre Oppositionsrolle nicht verstanden"
Armbrüster: Wo sehen Sie denn sonst Schwierigkeiten inhaltlich?
Palmer: Na gut. Es gab jetzt im Wahlkampf von Herrn Wolf immer wieder Angriffe, die ich auch nur als Mäkelopposition verstehen kann, zum Beispiel in der Asylpolitik, dass die Regierung zu langsam arbeite und er eine Geldkarte aus Zeitgründen jetzt nicht haben möchte für Flüchtlinge, sondern Zettelwirtschaft. Aber an so was wird man sich, glaube ich, nicht aufhängen können, weil an so einer Frage eine Koalition zu verhandeln, das wäre ja so, als ob wir irgendwie den Abteilungsleiter im Innenministerium suchen. Es gab Diskussionen über die Vergangenheit, die sinnlos sind. Winfried Hermann wurde vorgeworfen, er habe in einem einzigen von fünf Jahren 20 Millionen Euro Bundesmittel für Straßenbau nicht abgerufen. Seither ist das nie mehr passiert. Und der Grund, warum das nicht gelungen ist, ist beseitigt. Man hat nämlich die Stellenabbau-Programme der Vorgängerregierung beendet und wieder Planerstellen in der Straßenbauverwaltung eingestellt. Das heißt, was so an Kritikpunkten kam, das ist entweder nicht sehr bedeutsam oder schon erledigt. Ich kann Ihnen nicht so genau sagen, was die CDU in diesen Gesprächen will.
Armbrüster: Das klingt jetzt aber alles so, als sähen Sie das alles relativ unproblematisch. Die CDU müsste nur ein bisschen ihren Tonfall, ihre Sprache ändern und dann klappt das ganz gut mit Grün-Schwarz.
Palmer: Nein, unproblematisch ist es überhaupt nicht. Das Problem ist, dass die CDU in der Opposition keine Konzepte entwickelt hat und ich Ihnen deswegen jetzt nicht sagen kann, was die denn als Forderungen in solche Sondierungsgespräche einbringen werden. Mit so einem Partner muss man erst mal Gespräche führen, um rauszufinden, was der will. Die haben ihre Oppositionsrolle nicht verstanden. Deswegen ist es jetzt schwierig, über so was vorher zu spekulieren.
"Ich hadere schon einige Jahre mit meiner Bundespartei"
Armbrüster: Wenn wir mal den Wahlkampf und das Ergebnis Revue passieren lassen, können Sie dann aus Sicht der Grünen in Baden-Württemberg sagen und möglicherweise auch Ihren Kollegen in anderen Ländern einen Ratschlag geben, es lohnt sich, insgesamt ein bisschen konservativer aufzutreten?
Palmer: Konservativer würde ich nicht sagen. Aber ich glaube schon, dass hier in Baden-Württemberg die Grünen seit ihrer Gründung 30 Jahre lang einen realpolitischen Kurs gefahren haben, bei dem immer klar war, solange man in der Opposition ist, macht man Konzepte, überprüft die finanziell und muss jeden Tag bereit sein, um die Regierung zu übernehmen - der große Unterschied zur CDU jetzt. Und dass sich das ausgezahlt hat, das kann man, glaube ich, am Wahlergebnis schon sehen. Das war vor fünf Jahren schon sichtbar, denn wir waren schon vor Fukushima an die 20 Prozent bei den Umfragen in Baden-Württemberg. Das war einfach keine Sonderkonjunktur, sondern hart erarbeitet. Und ich hadere schon einige Jahre mit meiner Bundespartei, weil sie das einfach nicht so richtig zur Kenntnis nehmen will. Vielleicht gelingt es jetzt.
Armbrüster: Können Sie verstehen, dass da einige vor allen Dingen in der Parteilinken jetzt eher ein bisschen misstrauisch in Richtung Baden-Württemberg blicken, ein bisschen auf einen Landesverband, der die eigentlichen grünen Werte verrät, auch so, wie Sie ja beispielsweise in der Flüchtlingspolitik argumentieren mit einer stärkeren Grenzkontrolle, mit teilweise Obergrenzen? Das stimmt ja nicht alles unbedingt mit dem Kurs der Bundes-Grünen überein.
Palmer: Na ja, das ist natürlich mein Problem, dass ich das nicht so richtig verstehen kann. Warum schaut man misstrauisch auf einen Landesverband, der 30 Prozent der Stimmen bei einer Wahl gewinnt, den Ministerpräsidenten stellt und sehr viel mehr grüne Politik durchsetzen kann als die acht Prozent Bundestagsfraktion, die jetzt als kleinste Oppositionspartei hin und wieder mal versucht, einen Antrag in die Medien zu bringen. Nein, ich verstehe das nicht.
"Vielleicht sind die Gesprächsangebote der FDP auch noch nicht das letzte Wort"
Armbrüster: Möglicherweise wird dieses Misstrauen dadurch verursacht, dass Sie, so könnte man ja sagen, ursprüngliche grüne Werte verraten?
Palmer: Das kann man aber gerade überhaupt gar nicht sagen, sondern was wir machen ist, mit einem klaren Wertekompass - dass Winfried Kretschmann Werte verrät, das kann nun wirklich niemand behaupten - grüne Ziele umsetzen, aber eben im Dialog mit der Bevölkerung, mit der Wirtschaft, nicht gegen die Wirtschaft, weil das nicht erfolgreich ist, und daran jeden Tag arbeiten und sie tatsächlich in die Wirklichkeit umsetzen. Schauen Sie, wir in Tübingen haben unter dieser Landesregierung die Kinderbetreuung zu einem Rekordwert in Westdeutschland ausbauen können, weil sie finanziert wurde. Das geht halt nicht ohne Geld und Steuern. Wir haben den CO2-Ausstoß um 20 Prozent pro Kopf sinken können, weil wieder erlaubt wurde, Windräder in Baden-Württemberg zu bauen. Wir sind schuldenfrei. Das sind doch alles grüne Ziele der Nachhaltigkeit und die gibt es bei uns in der Wirklichkeit und nicht nur auf dem Papier. Das müsste doch eigentlich auch für andere Landesverbände zumindest mal einen Blick wert sein, wie so was funktioniert.
Armbrüster: Ganz kurz zum Schluss noch. Muss dieses Modell Grün-Schwarz in Baden-Württemberg zeigen, dass das auch im Bund klappen kann?
Palmer: Nein, das muss es gar nicht. Was wir brauchen, ist eine funktionierende Landesregierung. Vielleicht sind die Gesprächsangebote der FDP, zumindest mal über die Lage des Landes zu reden, auch noch nicht das letzte Wort. Ich finde, das muss man jetzt erst mal sondieren. Das ist die Pflicht nach so einem schwierigen Wahlergebnis. Und dann machen wir die Koalition, die für Baden-Württemberg die richtige ist. Wenn nur Grün-Schwarz bleibt, eben Grün-Schwarz. Aber daraus folgt jetzt nicht, dass das im Bund nachgemacht werden muss. Da finde ich wichtiger, dass wir Grüne uns miteinander unterhalten, was der Kurs für die Zukunft ist.
Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk war das Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister von Tübingen. Vielen Dank, Herr Palmer, für Ihre Zeit heute Morgen.
Palmer: Danke Ihnen, Herr Armbrüster.
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