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Gründliche Entehrung

Über den portugiesischen Komponisten Francisco António de Almedia ist wenig bekannt. Sein Oratorium "La Giuditta" enstand zu einer Zeit, als Opernaufführungen der Kirche ein Dorn im Auge waren. Nun ist das lang vergessene Werk im Bockenheimer Depot der Frankfurter Oper zu sehen.

Von Frieder Reininghaus |
    Der anonyme Text stützt sich auf eine religiöse Romanze, die von den Kirchenvätern aus dem Kanon der Heiligen Schrift entfernt wurde. Sie berichtet von der Belagerung der Stadt Betulia durch Nebukadnezars Feldherrn Holofernes und preist die auf besondere Weise gläubige und mutige jüdische Einzelkämpferin Judith, die den Haudegen verführt und mit dem eigenen Schwert ins Jenseits befördert (die Bezeichnung Betulia ist wohl nicht als Umschreibung Jerusalems zu deuten, sondern entweder literarische Fiktion oder der Name einer heute nicht mehr verortbaren Siedlung). Die vorliegende Version des Mythos reiht sich ein in die gegenreformatorische Dichtung, mit der von Rom aus seit dem späten 16. Jahrhundert Europa zum Glauben an die Römische Kirche, deren Gottes- und Gnadenverständnis beflügelt werden sollte. Der portugiesische Rom-Stipendiat Francisco Antonio de Almeida setzte sie in Musik, die erstmals 1726 in der römischen Chiesa Nuova gegeben wurde, dann aber in der Versenkung verschwand – wie übrigens Almeida selbst.
    Aller Wahrscheinlichkeit nach verschlang auch den Komponisten im Jahr 1755 jenes Erdbeben von Lissabon, das mit der anschließenden Feuersbrunst und der Flutwelle weit über hunderttausend Todesopfer forderte, anschließend weltweit einen theologischen und philosophischen Katastrophendiskurs auslöste: Das Desaster revidierte insbesondere die Vorstellungen von göttlicher Gnade, beförderte Aufklärung und Atheismus kräftig.

    Bevor die legendäre jüdische Freiheitskämpferin Judith aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert die Theaterbühnen zu erobern begann – durch das Drama von Friedrich Hebbel (1840) und wenigstens sieben Opern seither – war der blutrünstige Stoff aus den Apokryphen des Alten Testaments eines der beliebtesten Sujets der geistlichen Oratoriums in Italien. Zu dem halben Dutzend Arbeiten dieses Genres gehört als früheste Repräsentantin Alessandro Melanis "La morte di Oloferne", dann insbesondere die heute noch bekannte "Juditha triumphans" von Antonio Vivaldi. Mit ihr muss sich das ein Jahrzehnt später geschriebene Oratorium Almeidas messen lassen – es schneidet mit seinen vier solistischen Partien und ohne Chor im kompositionstechnischen Vergleich nicht vorteilhaft ab, trotz einiger griffiger Melodien und honigsüßem Streichersatz. Erst recht nicht in der Idealkonkurrenz zu dem, was Georg Friedrich Händel damals schrieb – "Rodelinda" und "Alessandro" – oder gar Bach (der schritt wohl eben zur Matthäus-Passion).
    Welche Teufel die Direktion der Frankfurter Oper geritten haben, ein Werk mit dieser mediokren, im wesentlichen auf Arien mit obligaten Instrumenten verzichtenden Musik und einem gegenreformatorischen Propagandatext minderer Güte aus der Versenkung zu holen, bleibt unergründlich – zumal die eigentliche dramatische Handlung erst im zweiten Teil einsetzt und im ersten Durchgang vornehmlich gepredigt und gebetet wird. Das nahm die Inszenierung zum Anlass, das Stadtoberhaupt von Betulia als katholischen Bischof zu präsentieren, der mit einer gewissen Selbstverliebtheit auch in Zeiten der größten Not seinen Ring poliert und vom Umschlagen der Lage offensichtlich auch wieder profitiert. Wohlweislich wurde jede Anspielung auf die politisch-militärische Lage in jener Region vermieden, in der Betulia, wenn es denn je real existierte, gelegen haben muss (der Westbank).

    Die Mitglieder des Opernorchesters agieren in einer Art Hühnerkäfig (allerdings korrekt in Bodenhaltung). Gespielt wird im Übrigen unter einer als Schallverstärker dienenden Caterpillar-Schaufel, in einer mit automatischer Tür bedachten Schuhschachtel, auf Laufstegen vor und neben dem Orchesterverschlag sowie einer Kanzel ganz vorne links. Die singenden vier Protagonisten imitieren Gesten und Posen von Altarheiligen; die Statik der Personenführung wird durch Pantomime konterkariert. So werden Brenda Rae in der Titelpartie, Julian Prégardien als Assyrerfeldherr, Matthias Rexroth als Haupt der Betulier und Christiane Karg als Feldhauptmann von einer unsäglichen Inszenierung verschlissen. Gründlicher lässt sich Judith nicht entehren, als dass man ihr die Enthauptung des Holofernes nimmt und diese vom Pantomimen ausführen lässt.
    Infos:

    Oper Frankfurt am Main