Tobias Armbrüster: Gestern Abend in Berlin – ein Termin, bei dem sich die deutsche Agrarwirtschaft jedes Jahr selbst feiert: Der Beginn der Grünen Woche. Es ist aber auch eine Messe, bei der immer wieder Kritik laut wird, zum Beispiel an der Massentierhaltung und an fehlender Nachhaltigkeit auf deutschen Bauernhöfen.
Ich habe darüber vor etwa einer Stunde mit dem Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes gesprochen, mit Bernhard Krüsken, und ich habe ihn zunächst gefragt, warum sich Deutschland eigentlich so schwertut mit nachhaltiger Landwirtschaft.
Bernhard Krüsken: Oh! Da haben wir, glaube ich, ein ganz unterschiedliches Bild. Weil wir sehen schon, dass wir in weiten Teilen ziemlich nachhaltig unterwegs sind. Landwirtschaft ist ein Entwicklungsprozess. Das Thema von Nachhaltigkeit heißt jeden Tag ein bisschen besser. Wir arbeiten daran. Aber dass wir flächendeckend nicht nachhaltig sind, das kann ich im Moment nicht erkennen.
Armbrüster: Dass Sie daran arbeiten, das habe ich mir gedacht. Massentierhaltung und überdüngte Felder, das ist ja nach wie vor die Regel. Ist das nachhaltig?
Krüsken: Ich würde das nicht auf diese Schlagworte reduzieren. Natürlich haben wir Tierhaltung in einem Maßstab, der ein anderer ist als noch vor 20 Jahren. Wir arbeiten immer mit diesem Begriff Massentierhaltung, aber es geht ja letztendlich darum, Tiere so zu halten, dass man einigermaßen effizient mit den knappen Ressourcen Fläche und Futter umgeht und dass wir gleichzeitig ein Tiergesundheits- und Tierwohl-Niveau haben, das zufriedenstellend ist. Das ist eigentlich auch das Thema dieser Messe. Tierwohl ist das Stichwort, Tierwohl-Label. Wir arbeiten daran, das in die Fläche zu bekommen, können das aber als Landwirtschaft nicht alleine tun, weil dafür sind wir natürlich auf die Kooperation der Marktpartner, des Lebensmittelhandels und der Verbraucher angewiesen.
"Wir müssen in alle Ställe sehen"
Armbrüster: Aber zunächst mal steht da ja der Landwirt. Zunächst mal steht da die Landwirtschaft, die diese Massentierhaltung bereitstellt. Wer einmal Bilder aus so einem Stall gesehen hat, Bilder zum Beispiel von Schweinen, Rindern oder Hühnern, die da auf engstem Raum zusammenleben müssen, wer so was gesehen hat, der steht oft unter Schock. Können Sie das verstehen?
Krüsken: Es kommt auf die Bilder an. Es gibt sicherlich Situationen, die nicht zufriedenstellend sind, die nicht in Ordnung sind, und davon gibt es ja auch Bilder. Aber ich glaube, diese Diskussion dreht sich ins Endlose, wenn wir es immer nur an ein paar Bildern festmachen. Wir müssen im Grunde in alle Ställe sehen. Wir müssen die Parameter anschauen. Wir müssen die Kriterien für Tiergesundheit anschauen. Tiergesundheit, Tierwohl kann man erfassen, kann man abschätzen, und wenn wir uns bei dieser Diskussion, wie entwickeln wir Tierhaltung, immer nur um ein paar Schockfotos drehen, dann kommen wir hier auch nicht wirklich weiter.
Armbrüster: Das heißt, Sie würden sagen, diese Situation, die wir aus unzähligen Beiträgen im Fernsehen kennen und die wir auch immer wieder in der Zeitung sehen von Schweinen, die da zum Beispiel in ihrem eigenen Kot stehen, auf Gitterrosten, über die sie kaum laufen können, das ist die Ausnahme?
Krüsken: Es kommt auf die Bilder an. Wir sehen viele verschiedene Bilder. Wir sehen Bilder von Situationen, die normal sind, die einen gewissen Standard repräsentieren. Wir sehen Bilder von Situationen, die nicht in Ordnung sind. Schauen Sie ins Netz, schauen Sie auf die Videokanäle. Dort finden Sie ziemlich viele verschiedene Situationen. Deshalb tue ich mich so schwer, darüber zu diskutieren.
Fakt ist, dass Tierwohl im Grunde das Trendthema dieser Saison ist, nicht erst seit heute, sondern das geht schon seit mehreren Jahren so. Die Aufgabe, die wir haben, ist, das regalkompatibel zu machen und ins Regal zu bringen. Und was ich sage ist, dass Landwirte unterwegs sind, Landwirte dazu bereit sind, und dass es eine Reihe von Faktoren gibt, die uns noch bremsen auf dem Weg.
"Das Biosegment wächst kontinuierlich"
Armbrüster: Sie sprechen jetzt das Tierwohl-Label an. Da plant jetzt der Handel ein eigenes Label, außerdem die Bundesregierung ebenfalls ein Label, das anzeigen soll, wie das Fleisch, das man da kaufen will, produziert wurde. Können da die Verbraucher noch durchblicken, wenn es da unterschiedliche Bezeichnungen geben soll?
Krüsken: Das ist in der Tat erklärungsbedürftig. Es gibt ja noch einen dritten Punkt, den will ich auch noch sagen. Das ist die Initiative Tierwohl, bei der wir mit den Händlern zusammen ein System etabliert haben, das mittlerweile 20 Prozent der Schweine einbezieht. Aber noch mal zu der Frage zurück: Kann der Verbraucher das erkennen? – Die Systematik, die der Handel hier vorgestellt hat, die deckt das ganze Frischfleischsegment ab. Man kann jetzt über Einzelheiten diskutieren, aber das gibt schon eine grundsätzliche Systematik. Wir selber haben ja vor nicht ganz einem Jahr auch einen Vorschlag gemacht, der in die gleiche Richtung geht wie der des Lebensmittelhandels, nämlich zu sagen, wir brauchen eine umfassende, über das ganze Fleischwarensegment hinweg wirkende Haltungsform und Herkunftskennzeichnung. Beides gehört für uns ein bisschen zusammen und da wäre dem Verbraucher sicherlich auch gedient.
Armbrüster: Jetzt sagen viele Leute, die diesen Streit um dieses Label beobachten, die Verbrauchern sagen, wenn ihr wirkliches Fleisch kaufen wollt, bei dem ihr sicher sein könnt, dass es aus zufriedenstellender Herkunft stammt, dann geht am besten in den Bioladen oder kauft euch ein Stück Fleisch mit dem alt hergebrachten Biosiegel. Das ist am besten, das ist am einfachsten.
Krüsken: Bio hat, was das Thema Haltung angeht, da sicherlich Standards. Aber es ist eben nicht das einzige Segment und nicht das einzige Label mit einem höheren Standard. Es gibt Aktivitäten vom Tierschutzbund. Ich habe gerade schon von der Initiative Tierwohl gesprochen. Der Ansatz von Bio ist ein bisschen anders, weil er sich selbst als sehr umfassend versteht und über die bloße Haltung hinausgeht.
Armbrüster: Aber ist das nicht eigentlich die Zukunft, die die Landwirtschaft braucht?
Krüsken: Im Moment haben wir ungefähr zehn Prozent der Landwirte und der Nutzflächenerzeugung im Biosegment. Das Segment wächst kontinuierlich. Das wächst auch, ich sage mal, einigermaßen organisch und das wird sicherlich so weitergehen, weil der Markt da ist und diese Ware nachgefragt wird.
"Jeder Handwerker hat größeren Umsatz als ein Landwirt"
Armbrüster: Alltag ist allerdings in der deutschen Landwirtschaft nach wie vor die eher industriell orientierte Landwirtschaft. Warum müssen deutsche Landwirte eigentlich so exportorientiert arbeiten, denn auch das ist ja ein Problem, dass viele dieser Produkte ins Ausland gehen, häufig in Länder, zum Beispiel in Afrika, wo sie dann die Märkte dort mit ihren Produkten überschwemmen und die Märkte kaputt machen?
Krüsken: Da muss ich Ihnen leider an zwei Stellen widersprechen, Herr Armbrüster. Das erste ist industriell. Der durchschnittliche Umsatz eines deutschen Landwirts liegt unterhalb von 500.000 Euro, deutlich darunter. Damit hat jeder Handwerker praktisch einen größeren Umsatz als ein Landwirt. Da von industriellen Strukturen zu sprechen, finde ich ein bisschen schwierig.
Was die Exporte angeht, muss man auch ein bisschen genauer hingucken, denn erstens die Exporterstattungen, die früher in den 80ern und 90ern die Ware in die Schwellenländer, in die Entwicklungsländer gebracht haben, die sind seit zehn Jahren Historie. Ziel von Agrarausfuhren, von Exporten sind kaufkräftige Märkte, Japan, Asien. Und dann noch ein ganz wichtiger Punkt, ich mache es mal am Beispiel der Schweine fest: Es gibt keinen Landwirt in Deutschland, der Schweine erzeugt, die nur für den chinesischen Markt bestimmt sind, sondern es werden Teilstücke exportiert, die hier keinen Markt finden. Das erklärt natürlich auch die Exportanteile. Die Pfötchen, die Schweineohren, fettreiche Teilstücke, die der deutsche Verbraucher nicht schätzt, die werden dann auf asiatischen Märkten platziert.
Armbrüster: Und dass das dort für Probleme bei den Landwirten dort sorgt, das ist Ihnen als Verband klar?
Krüsken: Ich möchte sagen, dass das dort nicht für Probleme bei den Landwirten sorgt, denn es gibt auch andere Teilstücke – ich bleibe mal bei dem Beispiel Schwein, weil das so schön griffig ist -, bei denen Deutschland einen Importbedarf hat, weil die 100 Prozent Schwein nicht hier 100 Prozent konsumiert werden, sondern bestimmte Teilstücke auch anderswo nachgefragt werden. Es lohnt sich, da genau hinzugucken und auch mal diesen pauschalen Vorwurf etwas abzuschichten.
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