Auf ihrem Bundesparteitag in Bielefeld haben die Grünen unter anderem vorgeschlagen, dass ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden dürfen. Das sei ein Beispiel für ein Verbot, sagte Habeck. "Nur sollte man aufhören, Angst vor diesem Wort zu haben." Es handele sich dabei nicht um einen Eingriff ins Private. "Wir wollen nur der Industrie vorschreiben, welche Motoren zu welchem Zeitpunkt nicht mehr produziert werden dürfen." Derartige Verbote gebe es in Deutschland überall - von der Straßenverkehrsordnung bis zum Briefgeheimnis. Sie sorgten dafür, dass nicht das Recht des Stärkeren gelte. "Das ist die Bedingung für Freiheit", so Habeck.
Das Interview in voller Länge:
Tobias Armbrüster: Die Grünen wollen in die nächste Bundesregierung und sie wollen nicht rein als nur reine Ökopartei, sondern sie wollen mehr sein. So lässt sich vermutlich zusammenfassen, was auf dem Parteitag in Bielefeld am Wochenende diskutiert wurde.
Ich habe den Grünen-Co-Chef Robert Habeck vor etwa einer Stunde gefragt, welche Verbote genau die Grünen denn eigentlich planen.
Robert Habeck: Wenn man alles über Preise regelt, dann wird es sehr, sehr teuer, und das bedeutet, dass am Ende sich nur sehr wohlhabende Menschen noch alles leisten können. Eine reine Preissteuerung ist kein besonders soziales Instrument. Wir brauchen Preise, bei CO2 beispielsweise, aber nicht alles über die Preise regeln. Das heißt, wir brauchen auch Verbote und Ordnungsrecht, dass die Gesellschaft zusammen bleibt.
Ich kann mal ein paar Beispiele nennen. Wenn man Quoten einführt, beispielsweise für Stahl, der CO2-produziert wird, sorgt das dafür, dass die Unternehmen, die Bauunternehmen, aber auch die Automobilindustrie alle gleichbehandelt werden. Wenn man dem Verbrennungsmotor ein Enddatum gibt und sagt, ab 2030, so ja unser Vorschlag, werden keine Verbrennungsmotoren mehr zugelassen – alle dürfen natürlich ihre Autos weiterfahren, aber die Zulassung endet dann -, ähnlich wie mit der Glühbirne damals, dann sorgt man dafür, dass alle gleichbehandelt werden.
Das sind natürlich Beispiele für Verbote. Nur sollte man aufhören, Angst vor diesem Wort zu haben. Verbote sind dann sehr unsympathisch, wenn sie ins Private eingreifen: Ich sage Ihnen, Sie dürfen so und so viele Schritte am Tag gehen, so und so häufig Ihr Handy aufladen oder so und so viele Kalorien essen. Das ist ganz fürchterlich und das darf auch nicht sein.
"Straßenverkehrsordnung ist ein einziges Sammelsurium von Verboten"
Armbrüster: Herr Habeck! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. Wenn Sie den Deutschen vorschreiben wollen, welchen Typ Auto sie fahren dürfen, dann ist das doch ein Eingriff ins Privatleben, in eine sehr private Entscheidung.
Habeck: Nein, überhaupt nicht. Wir wollen doch nur der Industrie dann vorschreiben, welche Motoren zu welchem Zeitpunkt nicht mehr produziert werden. Die Automarken sind völlig frei. Die Autogrößen sind völlig frei. Die Kraft der Motoren (die Geschwindigkeit würden wir gerne regulieren) ist völlig frei. Auf der Allgemeinebene, auf einer politischen Ebene eine Ordnung herzustellen, das ist doch das normale System in der Demokratie. Sehen Sie, wir haben überall Verbote. Das ist die Bedingung für Freiheit. Ladendiebstahl ist verboten. Dass man nicht Briefe öffnen darf, ist verboten. Die Straßenverkehrsordnung ist ein einziges Sammelsurium von Verboten, die dafür sorgt, dass sich alle gleich bewegen, dass nicht das Recht des Stärkeren auf der Straße gilt. So hat Annalena es gemeint, so sage ich es auch und so kennen wir es die ganze Zeit. Unsympathisch und schlecht sind Verbote, wenn sie immer in das Private reinregulieren, wenn man versucht, bessere Menschen zu machen statt bessere Politik. Aber bessere Politik brauchen wir.
Armbrüster: Aber haben Sie nicht den Eindruck, dass viele Menschen in Deutschland sagen, wir haben schon viel zu viele Verbote?
Habeck: Das weiß ich nicht genau. Die Bundesregierung redet doch gerade darüber, den Kohleausstieg umzusetzen. Das tut sie zwar nicht, aber sie redet darüber, das ist ein Verbot von Kohle. Wir haben den Atomausstieg hinbekommen. Das heißt, das ist ein Verbot von Atomkraft. Da laufen zwar noch ein paar Dinge, aber es ist ein Verbot von Atomkraft. Wir haben FCKS in Kühlschränken und Spraydosen verboten – ein riesen Bohei damals, hat super geholfen, das Ozonloch schließt sich wieder, waren alles Verbote. Wir haben Blei im Benzin aus dem Verkehr genommen, waren alles Verbote. Ich glaube, die meisten Menschen haben gesagt, auf der Ebene, wo Politik steuern kann, wo sich Industrie umstellt, sind Verbote richtig. Wenn wir dafür sorgen, dass Mikroplastik aus Zahnpasta verschwindet, das kann man von mir aus gerne verbieten. Ich glaube, die Menschheit braucht das nicht. – Welche Verbote fallen Ihnen ein, die wir zu viel haben?
Armbrüster: Na ja. Viele Leute regen sich zum Beispiel auf über die Glühbirne. Sie haben das Thema angesprochen, was die EU damals verboten hat. Das hat für viel Aufruhr gesorgt und sorgt es auch nach wie vor.
Habeck: Ich habe von damals in Erinnerung, dass die FDP-Abgeordnete im Europaparlament Silvana Koch-Mehrin gesagt hat, die Glühbirne ist mein Symbol für Freiheit. – Na ja, da muss ich sagen, das ist ein ziemlich erkläglicher Begriff von Freiheit. Ich glaube, immer wenn was Neues eingeführt wird, gibt es diese Debatte, auf die Sie mich jetzt ansprechen. Aber wenn wir ehrlich sind wissen wir, dass eine Gesellschaft genau so funktioniert.
Politik hat im Kern drei Instrumente. Sie kann fördern, sie kann steuern über Steuern und sie kann verbieten oder erlauben. Wenn sie was Neues auf den Markt bringen will, wenn sich Techniken mehrheitsfähig durchgesetzt haben, dann muss sie auch andere Techniken vom Markt nehmen. Das gibt dann zwar immer ein bisschen Geknirsche im Gebälk, aber so funktioniert eine Gesellschaft. So funktioniert auch eine Wirtschaft irgendwann. Stellen Sie sich vor, wir würden keine sozialen Verbote haben, Kinderarbeit wäre erlaubt – nee, ist verboten. Sozialdumping wäre erlaubt – nee, ist verboten. Aber immer gab es natürlich ein riesen Bohei. Als der Mindestlohn eingeführt wurde, gab es großen Widerspruch. Selbst als die Kinderarbeit verboten wurde, haben die Eltern damals gesagt und die Bauern, wer soll die ganzen Kartoffeln ernten. Das ist alles verboten worden.
"Heute haben wir entschuldete Haushalte und negative Zinsen"
Armbrüster: Herr Habeck! Ich glaube, wir haben diesen Punkt verstanden. Wir müssen auch nicht zurückgehen ins 19. Jahrhundert.
Habeck: Aber Sie fragen ja immer wieder danach. Sie fragen ja sehr grundsätzlich danach; dann muss ich es auch einmal grundsätzlich erläutern.
Armbrüster: Und wir haben es verstanden. – Ich würde gerne – die Zeit drängt etwas – noch über einen anderen Punkt mit Ihnen sprechen. Wir haben das auch am Wochenende gelernt, dass die Grünen die Schuldenbremse lockern wollen. Heißt das, mit Ihrer Partei würden die Schulden wieder wachsen?
Habeck: Wir wollen sie zeitgemäß reformieren.
Armbrüster: Das ist jetzt schön ausgedrückt.
Habeck: Ja, genau. Es entspricht aber eher der Wirklichkeit. Die Schuldenbremse ist damals eingeführt worden und ich habe das selber als sehr wohltuend erlebt, weil ich damals Minister war und man sich politisch gar nicht bewegen konnte, weil die Schulden alles aufgefressen hatten – in einer Zeit, wo die Zinsen sehr hoch waren für die Kredite, die der Staat aufgenommen hat, und die Haushalte tief verschuldet waren. Heute haben wir entschuldete Haushalte und negative Zinsen. Geldgeber zahlen dem Staat dafür, dass sie ihm Geld leihen dürfen. Wir zahlen weniger zurück als wir aufnehmen dürfen. Gleichzeitig haben wir einen immensen Investitionsbedarf, nicht nur bei Umweltschutztechnologien, Ausbau von Schienen- und Ladeinfrastrukturen, sondern auch bei der normalen Daseinsvorsorge, Schulen, Bibliotheken, Schwimmbäder, Sporthallen und so weiter und so fort. Da macht es Sinn zu investieren.
Gleichzeitig haben wir eine aufkommende Wirtschaftsschwäche, möglicherweise eine Krise, und wir müssen dagegen aninvestieren, sagen alle Wirtschaftsweisen, sagt die deutsche Industrie, sagen wir jetzt auch. Deswegen ist es richtig, die Schuldenbremse so zu reformieren, wie es die europäischen Regeln wollen. Wir sind strenger als die europäischen Regeln und das macht keinen Sinn. Sonst haben wir am Ende eine schwarze Null im Haushalt, aber ein schwarzes Loch in Europa.
Einigkeit in der Partei ermöglicht es, kontroverse Debatten zu führen
Armbrüster: Herr Habeck! Da wissen Sie jetzt schon, dass der Bundeshaushalt mit seinen insgesamt über 360 Milliarden Euro nicht ausreichen wird?
Habeck: Ja, man kann das relativ setzen. Im Vergleich zu Europa hat Deutschland in den letzten zehn Jahren ungefähr 18 Milliarden zu wenig investiert. Das europäische Ausland um uns herum investiert prozentual gesehen mehr, als wir es tun. Das merkt man überall, dass die Bildungs- und die Forschungsinvestitionen in Deutschland zurückgehen. Das heißt, es ist auch tatsächlich der Vergleich zum europäischen Ausland, der zeigt, wir haben zwar sanierte Haushalte, aber wir fallen im Internet, in der Forschung, in den Startup-Unternehmen, aber auch in den Bildungsausgaben insgesamt immer weiter zurück. Das ist dumm, das ist nicht schlau, das so zu tun. Alles spricht dafür, jetzt diese Phase zu nehmen, um gegen die drohende Wirtschaftsschwäche anzuinvestieren und damit gleichzeitig Europa ein bisschen zusammenzuhalten.
Armbrüster: Herr Habeck! Das war am Wochenende alles ziemlich harmonisch und geschlossen bei Ihrem Parteitag in Bielefeld. Wird Ihnen das manchmal unheimlich?
Habeck: Nein. Warum soll das unheimlich sein? Das heißt geschlossen. Was passiert ist, ist, dass wir es geschafft haben, Sachfragen nicht zu Personenfragen zu machen. Das heißt: Ob einer eine Abstimmung gewinnt oder nicht, ist nicht eine Frage, ob die Person jetzt beschädigt ist oder nicht, sondern die Sachfrage wird entschieden. So wird diskutiert. Das scheint vielleicht manchmal so, als wäre es harmonisch, weil man nicht danach gleich Rücktrittsforderungen oder auf der Skala der Beliebtheit einen hoch oder einen runter geht. Aber in Wahrheit ist es so, dass die Einigung in der Partei oder die Geschlossenheit es ermöglicht, kontroverse Debatten zu führen, und die haben wir ja geführt und Annalena und ich haben da reihenweise Kampfabstimmungen machen müssen. Von harmonisch im Sinne von Friede, Freude, Eierkuchen ist ja gar keine Rede, aber von harmonisch im Sinne von, dass wir Sachfragen sachlich klären. Das ist wohl so und das ist mir überhaupt nicht unwohl, sondern genau so stelle ich mir eine Partei vor.
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