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Kommentar zur grünen Asyl-Abstimmung
Diese Debatte wird Folgen haben

Im Bestreben staatstragende Mitte zu sein, verlieren die Grünen Grundpfeiler ihrer Stabilität, kommentiert Ann-Kathrin Büüsker. Es gebe einen Bedarf an ökologischer, gerechter und solidarischer Politik. Die Grünen erfüllten ihn nicht.

Ein Kommentar von Ann-Kathrin Büüsker |
    Omid Nouripour (l-r), Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, und Terry Reintke, Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied des Europäischen Parlaments, nehmen am Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen teil. Die Bundesdelegiertenkonferenz dauerte bis zum 26.11.2023.
    Die Grünen-Führungskräfte mussten beim Parteitag um eine Mehrheit für ihren Asylkurs kämpfen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Drei Tage lang diskutierten die Grünen bereits – teils bis tief in die Nacht. Die Augen rot, die Gesichter grau vor Müdigkeit, da brach etwas auf. Die Debatte über die Asyl- und Migrationspolitik am Samstagabend wurde zu einem Ventil. Ein Ventil für viele jüngere und linke Parteimitglieder um ihren tief sitzenden Frust zu entladen.
    Selbst die Grünen, so der Vorwurf, redeten in der Asylpolitik nun den Rechten nach dem Mund, stimmten Scheinlösungen zu, die die Probleme nicht lösten, aber das Leben der individuellen Flüchtlinge teils drastisch verschlechtern würden. Mehrere Delegierte mit eigener Fluchtgeschichte schilderten auf der Bühne, wie sie über Jahre hinweg Angst vor Abschiebung hatten – Angst vor einem System, das jetzt noch verschärft werden soll.

    Enorme Nervosität

    Mandatsträgerinnen reagierten darauf teilweise überraschend dünnhäutig, die Parteispitze musste mit Habeck, Baerbock und Lang fast die komplette erste Reihe der Partei aufbieten, um dem Änderungsantrag der Grünen Jugend etwas entgegenzusetzen. Wenn die Parteiführung zur Gegenrede antritt, ist die Nervosität enorm. Der Antrag konnte sich nicht durchsetzen, aber diese Debatte wird Folgen haben. Die Parteiführung muss erkennen, dass es in dieser Frage rote Linien der Basis gibt. Sie zu überschreiten, kann zu einer Implosion führen. Erneut.
    Angesichts der Weltlage ist fast schon vergessen, dass die Grünen eine solche rote Linie vor gar nicht allzu langer Zeit mit Anlauf übersprungen haben. Die Linie hieß Lützerath. Das Symbol der Klimaschutzbewegung – preisgegeben von Robert Habeck, mit Unterstützung der grünen Delegierten beim Bonner Parteitag. Das hat einen Riss verursacht zwischen der grünen Partei und der Klimabewegung. Die aktuell eher enttäuschenden Umfragewerte müssen auch unter diesem Aspekt gelesen werden.
    Nicht nur das Heizungsgesetz hat Menschen von den Grünen entfremdet – auch die geplante Abschwächung des Klimaschutzgesetzes führt zur Entfremdung. Und es ist bei weitem nicht der einzige Riss. Auch viele Naturschützerinnen und Naturschützer reiben sich mit Blick auf die Politik der Grünen die Augen. Autobahnen können jetzt noch schneller gebaut werden ohne dass Umweltbelange relevant wären, Artenschutzbestimmungen wurden für die Erneuerbaren geschliffen, Glyphosat bleibt zugelassen – am Ende dominieren für die Grünen immer Wirtschaftsinteressen. Unter den Sponsoren im Foyer des Parteitags – Glyphosathersteller Bayer.

    Es passt nicht zusammen

    Die Nähe zu Wirtschaftsunternehmen, deren Geschäftsmodelle den Schutz der Lebensgrundlagen aufs Spiel setzen, schadet der Glaubwürdigkeit. Auch dass Parteichefin Ricarda Lang für die Grünen in Anspruch nimmt, eine soziale Partei zu sein und dann Amazon mit seinen katastrophalen Arbeitsbedingungen unter den Parteitagsausstellern ist – es passt nicht zusammen.
    Die Grünen setzen durch diese Widersprüche und politische Entscheidungen, die sie mittragen, den Schulterschluss mit den politischen Bewegungen nicht mehr länger nur aufs Spiel – sie verlieren ihn ganz konkret. Jetzt eben auch mit den Flüchtlingsorganisationen, mit den Ehrenamtlichen in den Kommunen, mit den Seenotretterinnen und Seenotrettern. In ihrem Bestreben staatstragende Mitte zu sein, verlieren die Grünen Grundpfeiler ihrer eigenen Stabilität.
    Noch haben die Grünen den Vorteil, dass es in diesen Fragen keine schlagfertige Alternative gibt. Das aber könnte sich ändern. Gelingt es der Linkspartei – um ihre nationalistischen Querschläger rund um Wagenknecht erleichtert – sich als progressive linke Kraft aufzustellen und den Schulterschluss mit politischen Bewegungen zu etablieren – dann könnte es für die Grünen unangenehm werden. Es gibt einen Bedarf an ökologischer, gerechter und solidarischer Politik. Die Grünen aber erfüllen ihn nicht.