Die Digitalbesteuerung sei ganz klar ein Gebot des fairen Wettbewerbs und auch der Steuergerechtigkeit, so Sven Giegold, Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament, Finanzmarktexperte und Spitzenkandidat der Grünen für die Europawahl. "Kleine Unternehmen zahlen normal ihre Steuern, große Konzerne verschieben ihre Gewinne in Steueroasen. Dem kann man nicht tatenlos zusehen."
Allerdings sei die Hoffnung der Bundesregierung, auf globaler Ebene etwas zu erreichen, nicht erfolgreich: "Weil wir mit Amerika schon seit vier Jahren darüber verhandeln." Es ginge folglich darum zu warten und Konflikte zu vermeiden, anstatt europäische Stärke zu zeigen. "So gewinnt man aber auch in Amerika keinen Respekt."
Schwierigkeiten des EU-Steuerrechts
Änderungen im europäischen Steuerrecht können nur einstimmig erfolgen. "Die Steueroasen in Europa wie Luxemburg, Irland, zum Teil auch die Niederlande wehren sich deshalb gegen gemeinsame Regeln", sagte Giegold. Deshalb komme man nicht weiter. Das "Elegante" an der französischen Digitalsteuer sei nun, dass sie Druck ausübe. Denn sie könne auch von den Staaten gemeinsam beschlossen werden. "Deutschland leider verhindert im Rat, dass alle großen Staaten in Europa sich einig sind und sagen, das machen wir jetzt."
"Täglich grüßt das Blockademurmeltier aus Berlin"
Die Große Koalition blockiert nach Ansicht von Giegold einen sinnvollen Vorschlag nach dem anderen. Die Digitalsteuer sei nur ein Beispiel. "Wir haben die Geldwäsche-Schwarze-Liste blockiert, die kühle Reaktion auf die Vorschläge von Macron, die Blockade bei diversen Klimaschutzgesetzen, die Blockade einer stärkeren Finanzaufsicht und - was mich am allermeisten aufregt - die Blockade der Steuertransparenz für Großunternehmen. Täglich grüßt das Blockademurmeltier aus Berlin, das lässt mich die Haare raufen."
Das Interview in voller Länge:
Jürgen Zurheide: Ja, die Franzosen machen es, sie wollen eine Digitalsteuer, und das trifft dann unter anderem "GAFA", haben Sie schon mal von gehört, Google, Amazon, Facebook und Apple unter anderem, 30 Unternehmen insgesamt sind da betroffen. Diese Woche haben die Franzosen das im Kabinett beschlossen, eigentlich sollte das Ganze, wir wissen es ja, europaweit kommen, aber da blockiert so der eine oder andere, unter anderem Deutschland. Darüber wollen wir reden mit Sven Giegold, dem grünen Spitzenkandidaten für die Europawahl. Ist es gut, dass die Franzosen vorpreschen?
Sven Giegold: Ja, das ist natürlich nicht gut, aber es ist besser, als wenn man nichts tut. Die Digitalbesteuerung ist ganz klar ein Gebot des fairen Wettbewerbs und auch der Steuergerechtigkeit, kleine Unternehmen mit lokalen, regional gebundenen Konzepten zahlen normal ihre Steuern, und Großkonzerne im Internet verschieben ihre Gewinne in die Steueroasen, dem kann man nicht tatenlos zusehen. Und die Hoffnung der Bundesregierung, auf globaler Eben etwas zu erreichen, ist durchsichtig, das klappt nicht, weil mit Amerika wir schon seit vier Jahren schon darüber verhandeln. Folglich geht es eigentlich darum, hier statt europäische Stärke zu zeigen, lieber zuzuwarten und Konflikte zu vermeiden. So gewinnt man aber auch in Amerika keinen Respekt. Also, aus meiner Sicht ist das nur folgerichtig, aber es stört natürlich den digitalen Binnenmarkt in Europa.
Mangelnde EU-Einigkeit nährt Europaskepsis
Zurheide: Auf der anderen Seite will ich da jetzt mal einen Moment gegenhalten, Herr Giegold. Was da gemacht wird, ist ja eine Art von Umsatzsteuer, Umsatzsteuer statt Gewinnsteuer. Sie haben gesagt, die Gewinne werden verschoben, jetzt könnte man sagen, dann achten wir darauf, dass die Gewinne nicht mehr verschoben werden können, diese Umsatzsteuer ist am Ende eine Art Zoll. Der Gedanke ist doch auch nicht falsch oder?
Giegold: Na ja, eine Umsatzsteuer ist in dem Sinne kein Zoll, weil es ja die inländischen Hersteller auch betrifft. Ein Zoll betrifft immer nur die Ausländer, eine Umsatzbesteuerung betrifft In- und Ausländer gleichermaßen. Und das ist genau der Punkt: Natürlich wäre es besser, wenn wir in Europa die Gewinnbesteuerung harmonisieren würden, also eine gemeinsame Unternehmenssteuer mit gemeinsamen Regeln, wo wie viele Steuern zu bezahlen sind, was man wo versteuert, damit eben die Gewinne dort bezahlt werden, wo sie wirklich erzielt werden, und gemeinsame Mindeststeuersätze, das wäre eigentlich richtig.
Zurheide: Warum schaffen wir das in Europa nicht? Ich werde häufiger gefragt, auch zuhause am Tisch, da sagt meine Frau zu mir, verdammt noch mal, was ist das für ein Europa, wenn wir so etwas nicht schaffen, entschuldigen Sie bitte, wenn ich das mal so persönlich mache.
Giegold: Das beschäftigt wirklich Millionen von Menschen und ist einer der Gründe, der Europaskepsis nährt, das ist völlig klar. Woran liegt das? Das liegt daran, dass Steuerrecht nach wie vor einstimmig ist – und die Steueroasen in Europa, allen zuvor Luxemburg, Irland, zum Teil auch die Niederlande, wehren sich gegen diese starken gemeinsamen Regeln. Und deshalb kommen wir hier nicht weiter. Das Elegante an der Digitalsteuer ist, dass sie hier Druck ausübt. Sie übt Druck aus, weil sie kann auch von den Staaten gemeinsam beschlossen werden, die das wollen. Und Deutschland leider verhindert eben im Rat, dass alle großen Staaten in Europa sich einig sind und sagen, das machen wir jetzt und wir lassen uns hier auch nicht länger aufhalten. Und dadurch kommt es jetzt zu einer Fragmentierung des digitalen Binnenmarkts mit einem perversen Effekt. Denn ein kleines Digitalunternehmen, das sich als Start-up irgendwo gegründet hat und dann überall in Europa aktiv werden will, findet es natürlich viel schwerer, perspektivisch 27 nationale Digitalsteuern anzuwenden, als eine gemeinsame Steuer, sodass diese komplexen Einzelnationallösungen wiederum zur Stärkung großer Unternehmen führen. Und deshalb brauchen wir endlich ein Ende dieser Blockadepolitik aus Deutschland bei der Digitalbesteuerung, und Olaf Scholz sollte hier den Weg frei machen.
"Keine Anti-amerikanische Steuer"
Zurheide: Nun, das Argument müssen wir natürlich liefern, das lautet, wenn wir damit anfangen, dann werden unsere Autoexporte demnächst auch auf diese Art und Weise zusätzlich besteuert. Ist das Argument falsch?
Giegold: Es kann sein, dass, wenn man selbst Stärke zeigt, dass man dann auch noch weitere Stärke auslöst. Aber ich kann nicht glauben, dass Herr Trump auf diese Weise zu besänftigen ist. Und zweitens hatte ich einen ganz eindrücklichen Besuch mit einer Parlamentsdelegation im Repräsentantenhaus in den USA. Dort erzählten mir republikanische Abgeordnete genau das Gleiche, die sagten aus einer ganz anderen Perspektive, die kleinen Geschäfte in meinem ländlichen Wahlbezirk, die werden ausgeblutet von Amazon, dem können wir nicht länger zusehen, da müssen wir steuerlich handeln. Insofern wir sollten uns da auch mit den wohlmeinenden Personen in den USA zusammenschließen, damit das von Vorneherein nicht als eine antiamerikanische Steuer, sondern als eine gerechte Besteuerung im digitalen Raum wirkt.
"Blockadehaltung lässt mich die Haare raufen"
Zurheide: Ich will jetzt den Fokus etwas aufziehen und fragen, sind wir nicht hier auch wieder bei einem jener Themen, wo im Fokus steht, wie viel Gemeinsamkeit in Europa haben wir auf der einen Seite und wie viele Differenzen können wir zulassen. Ist das richtig, wie Sie sagen, ja, bei Steuern wäre Einheitlichkeit besser, ist aber nicht zu erzielen. Was für ein Bild von Europa haben Sie eigentlich dahinter, wenn Sie sagen, ja, wir müssen das alles gemeinsam machen, und wie viel Differenzierung können wir künftig noch zulassen?
Giegold: Wir haben da ja eigentlich einen guten Maßstab, das Subsidiaritätsprinzip. Da, wo Dinge gemeinsam besser geregelt werden können, machen wir sie gemeinsam, und ansonsten lassen wir so viel wie möglich vor Ort. Da gibt es auch Bereiche, die man vor Ort stärker wieder regeln kann, zum Beispiel bei der ganzen Frage der kommunalen Beschaffung und der kommunalen Daseinsvorsorge. Aber unser Problem in diesen Tagen ist ein anderes: Wir haben vor den Europawahlen nur noch pro-europäische Parteien mit Ausnahme die AfD, aber alle anderen singen ein pro-europäisches Lied. Von der Linkspartei, die plötzlich Sarah Wagenknecht vergessen will, bis hin selbst zur CSU. Und was passiert jetzt? In der Realität, während alle pro-europäisch singen, blockiert die Große Koalition einen sinnvollen Vorschlag aus Europa nach dem anderen. Die Digitalsteuer ist nur ein Beispiel. Wir haben die Geldwäsche schwarze Liste, aus Deutschland mit blockiert, die kühle Reaktion auf die Vorschläge von Macron, die Blockade bei diversen Klimaschutzgesetzen, zuletzt bei den Lkws und dem CO2-Ausstoß, die Blockade einer stärkeren Finanzmarktaufsicht. Und, was mich am allermeisten aufregt, die Blockade der Steuertransparenz für Großunternehmen. Das heißt also, vieles, was wir im Europaparlament gerade auch mit Sozialdemokraten auf den Weg gebracht haben, bekommen wir nicht fertig diese Legislaturperiode, weil es von der Großen Koalition in Brüssel blockiert wird. Täglich grüßt das Blockademurmeltier aus Berlin, das ist die Realität der Zeit. Und das lässt mich die Haare raufen.
"Friedenspolitische Regeln beim Rüstungsexport"
Zurheide: Auf der anderen Seite, jetzt haben Sie gerade Macron angesprochen, dann muss ich noch ein anderes Thema mal adressieren. Zum Beispiel, wir alle sagen ja, gemeinsame Waffenproduktion in Europa, das ist wichtig, das tut man, weil dann möglicherweise auch die Kosten sinken. Nur dann gibt es im Zweifel keine gemeinsamen Regeln für den Export, das sehen die Franzosen nämlich ein bisschen anders als wir. Jetzt stehen wir vor der wunderbaren Frage - und sie als Grüne, man könnte auch sagen, geraten in ein moralisches Dilemma –, gemeinsame Produktion ja, aber dann beim Export sehen die Franzosen das anders. Lassen Sie das zu?
Giegold: Ganz spannender Punkt. Der Punkt ist klar: Wir wollen stärkere Rüstungsbeschaffung gemeinsam in Europa, das setzt voraus, dass man sich auch auf die Rüstungsexportrichtlinien einigt, das stimmt. Wir haben aber schon längst Regeln, das wird immer vergessen. 2008 hat der Rat der Mitgliedsländer beschlossen, dass Rüstungsexporte an starke menschenrechtliche und friedenspolitische Auflagen geknüpft werden. Leider halten sich da viele Staaten nicht dran, nicht nur Frankreich und Großbritannien, auch Deutschland hat bis vor kurzem trotz vieler anderer Sonntagsreden von Herrn Gabriel zum Beispiel weiter Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien gemacht, in ein Kriegsgebiet, in ein Land, das weltweit islamistischen Ideologien Vorschub leistet, um das wenigste Schlimme vielleicht noch zu sagen. Das heißt, das ist nicht einfach nur ein Problem des Auslands, das ist ein Ringen zwischen wirtschaftlichen Interessen auf der einen Seite und Gemeinsamkeit in Europa. Und da ist unsere Linie völlig klar: Wir wollen mehr Zusammenarbeit bei der Rüstungsproduktion, aber das deutsche Gewicht darf man natürlich nicht einfach so einsetzen, dass man sagt, wir stimmen allem zu, was Herr Macron sagt. Sondern gerade in dem Bereich muss gelten, wenn wir viel Geld aus Deutschland in die Hand nehmen, um gemeinsame Beschaffungsprojekte zu starten, dann muss das verknüpft werden mit starken friedenspolitischen und menschenrechtlichen Regeln beim Rüstungsexport.
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