Christine Heuer: Über die möglichen Fahrverbote für Diesel-Autos möchte ich jetzt auch sprechen mit Anton Hofreiter, dem Fraktionschef der Grünen im Deutschen Bundestag. Guten Morgen!
Anton Hofreiter: Guten Morgen!
Heuer: Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg, verzichtet vorerst auf Fahrverbote für Diesel-Autos. Halten Sie das für einen Fehler, Herr Hofreiter?
Hofreiter: Ich glaube, die Frage wird nicht mehr sein, ob dafür verantwortliche Politiker verzichten, sondern die Frage wird über kurz oder lang sein, und zwar eher über kurz, ob die Gerichte das richtig anordnen. Nämlich es handelt sich hier um das Schutzgut körperlicher Unversehrtheit und das können Sie vor Gericht nicht gegen ökonomische Interessen, um die es sich im rechtlichen Sinne handelt, wenn Sie in eine Stadt rein wollen, abwägen. Deshalb wird nicht mehr die Frage sein, ob Herr Dobrindt oder Herr Kretschmann oder auch Herr Reiter von München darauf verzichten wollen oder nicht, sondern es wird per Gericht angeordnet, wenn keine andere Lösung gefunden wird, das heißt eine Nachrüstung, die wirklich funktioniert, und im Moment sehe ich nicht, dass eine Nachrüstung wirklich funktioniert.
"Es wird keine politischen Mehrheiten dafür geben"
Heuer: Herr Hofreiter! Aber um bei diesem politischen Teil kurz zu bleiben: Ich verstehe Sie richtig, es braucht in Deutschland Gerichte, um die Politik eines grünen Ministerpräsidenten zu korrigieren?
Hofreiter: Ich fürchte, dass es am Ende Gerichte brauchen wird, nämlich man hat in Stuttgart gesehen, da haben die Grünen das eingebracht, und sie haben zwar den grünen Oberbürgermeister, aber sie haben leider keine absolute Mehrheit im Stuttgarter Stadtrat. Alle anderen oder die Mehrheit hat es dann abgelehnt, sodass es zu diesen Fahrverboten nicht gekommen ist, und diese Fahrverbote sind eine letzte Notmaßnahme, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. Aber wie gesagt, ich glaube, sie werden kommen, weil die Autoindustrie nicht in der Lage sein wird, eine vernünftige Nachrüstung zu machen. Aber ich fürchte, es wird keine politischen Mehrheiten dafür geben, so wie man es in Stuttgart bei der Abstimmung gesehen hat.
Heuer: Nun haben aber, Herr Hofreiter, die Hersteller, BMW zum Beispiel und Audi in Bayern, Daimler in Baden-Württemberg, gerade gestern Abend noch alle angekündigt, dass sie einen Teil wenigstens ihrer Diesel-Flotte freiwillig und kostenlos für die Autofahrer nachrüsten. Also es läuft doch etwas.
Hofreiter: Ja, es läuft etwas. Deswegen habe ich ja auch gesagt, dass es keine ausreichende Nachrüstung geben wird, weil nämlich was sie bis jetzt angekündigt haben sind vor allem Nachrüstungen mit Software. Das hat man bei VW gesehen, wie diese Nachrüstung mit Software funktioniert, nämlich nicht besonders gut, und die Schadstoffwerte danach sind alles andere als überzeugend, nämlich weiterhin viel zu hoch.
"Die deutsche Autoindustrie macht die ganze Zeit Schmu"
Heuer: Also alles Schmu? Legt die deutsche Autoindustrie die Verbraucher gerade rein und die Politiker dann auch?
Hofreiter: Ich glaube, sie legen sie sowieso die ganze Zeit rein. Deswegen sind ja die Schadstoffwerte vollkommen überhöht. Es wird immer darüber gestritten, ob alle betrogen haben oder ob nur ein Teil betrogen hat, aber worüber nicht mehr gestritten wird durch Untersuchungen vom UBA, vom KBA, von der Deutschen Umwelthilfe, dass nahezu kein Fahrzeug bis auf zwei ganz neue Motorentypen die Grenzwerte einhält, sondern selbst Euro-sechs-Fahrzeuge halten die Grenzwerte nicht ein, sondern überschreiten sie um den Faktor sechs laut Umweltbundesamt. Da sehen Sie, dass die deutsche Autoindustrie die ganze Zeit Schmu macht, und ich fürchte, dass bei dieser Nachrüstung auch am Ende insbesondere mit Software nicht besonders viel rauskommt. Bei vielen Fahrzeugen meines technischen Wissens genügt eine Nachrüstung mit Software nicht, sondern da muss man mit Hardware nachrüsten.
Heuer: Ihr Parteifreund Winfried Kretschmann, der fällt gerade darauf rein?
Hofreiter: Ich glaube, Winfried Kretschmann hat schlichtweg das Problem, dass er mit der CDU regiert und dass ihm die Autoindustrie im Nacken sitzt, und er hat das Beispiel der verlorenen Abstimmung in Stuttgart vor Augen. Nämlich da hat man genau das beantragt und hat keine Mehrheit dafür gefunden, weil am Ende nur die Grünen und wenige andere Stadträte für die Fahrverbote gestimmt haben.
Heuer: Also ist er als Ministerpräsident zu schwach?
Hofreiter: Nein, er ist als Ministerpräsident nicht zu schwach, sondern er hat als Ministerpräsident schlichtweg keine absolute Mehrheit, und das ist jetzt auch keine neue Erkenntnis. Er versucht jetzt erst mal für das, wo er eine Mehrheit hat, auszuloten. Aber ich glaube, dass die Fahrverbote am Ende vor Gericht kommen, und die Hauptursache – das darf man ja nicht vergessen – ist Herr Dobrindt. Nämlich das Ganze ist ja alles Bundesrecht und alles Bundesangelegenheit. Dass Baden-Württemberg da einen Diesel-Gipfel abhält und mit der Autoindustrie versucht, die Probleme zu lösen, das ist ja nur eine Art Ersatzvornahme, weil zuständig …
Heuer: Das wird alles bundesweit geregelt. Wir haben ja auch einen Gipfel am 2. August, wo das Thema dann bundesweit besprochen werden soll.
Hofreiter: Ja, am 2. August haben wir einen Gipfel auf Bundesebene. Das ist zum Ende der Legislaturperiode. Da gibt es keine Bundestagssitzung mehr. Der Diesel-Skandal ist jetzt Jahre alt. Das ist ja auch eine Geschwindigkeit, mit der die Bundespolitik da agiert von Herrn Dobrindt - das ist ja ganz erstaunlich. Nach zwei Jahren haben wir schon eine erste Behandlung und nach einem Untersuchungsausschuss der Bundesregierung dieses Problems. Das ist doch absurd.
Nachrüstung: "Es würde teuer für die Autoindustrie"
Heuer: Sie haben gesagt, Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, der muss auch Rücksicht nehmen auf die Automobilindustrie, oder dass die ihm im Nacken sitzt. Mag sein. Nun wäre es aber doch für alle Beteiligten gut, man bekäme eine gemeinsame Lösung hin. Sie, Herr Hofreiter, sagen, diese Software-Nachrüstung, die reicht nicht aus. Was müsste die Industrie liefern, dass der Grüne Anton Hofreiter sagt, okay, damit kann Deutschland leben?
Hofreiter: Die Industrie müsste erstens Autos liefern und zweitens die bereits ausgelieferten Autos so umbauen, die Abgasnachrüstung, dass sie schlichtweg die Grenzwerte einhalten, und zwar nicht nur abstrakt auf einem Rollenprüfstand, sondern in der Realität. Davon sind von wenigen, ganz wenigen Ausnahmen, die völlig anders konstruiert sind, ich glaube, ein Mercedes und ein Audi ist durchgekommen bei der DUH, sind nahezu alle Diesel-Modelle weit entfernt. Und nach dem, was ich technisch weiß, genügt eine Nachrüstung mit Software nicht, sondern mindestens bei vielen bräuchte man auch eine Nachrüstung, eine Hardware-Nachrüstung im Bereich der Abgasbehandlung. Bei einigen ist es wohl schlichtweg auch so, dass weder Hardware, noch Software ausreicht. Das sind allerdings wenige Modelle.
Heuer: Das heißt aber unterm Strich, es würde sehr teuer für die Autoindustrie.
Hofreiter: Ja, es würde sehr teuer für die Autoindustrie. Aber die Autoindustrie hat schlichtweg auch die Kunden betrogen und die Menschen betrogen, die in den Städten leben, und deren Gesundheit gefährdet. Man darf ja eins nicht vergessen: Es wird immer so getan, als wenn man da irgendwie die Autoindustrie ärgern will oder die Autofahrer ärgern will oder die Gerichte böse sind oder die Deutsche Umwelthilfe böse ist. Es geht immerhin darum, dass mehrere tausend Menschen in Deutschland, die an hoch belasteten Straßen leben, vorzeitig sterben. Das ist mal eine ganz harte Verletzung deren Rechte. Und das sind insbesondere Menschen mit geringerem Einkommen, weil nämlich an den Straßen mit schlechter Luft Menschen mit geringerem Einkommen leben im Schnitt, weil nämlich da die Mieten niedriger sind.
Umstieg auf emissionsfreie Fahrzeuge muss gelingen
Heuer: Herr Hofreiter, nun ist es aber auch so, dass an dieser Autoindustrie in Deutschland ja besonders viele Arbeitsplätze hängen. Es geht auch um eine ganz, ganz entscheidende Standortfrage. Die Grünen gelten als sehr kompetent in Umweltfragen. Wir haben Ihr entschiedenes Plädoyer heute Morgen wieder gehört. Würden Sie sich nicht einen Gefallen tun, wenn Sie ein bisschen kompromissbereiter im Dialog wären, was den Wirtschaftsstandort angeht, auch im Wahlkampf? Das ist ja, was Winfried Kretschmann Ihnen, Herr Hofreiter, ganz persönlich auch mal abgefordert hat.
Hofreiter: Ich wollte gerade sagen. Gerade vorher haben Sie mir vorgeworfen, dass wir Grünen in Gestalt von Winfried Kretschmann zu kompromissbereit sind. Aber das ist eine andere Frage. Der Punkt bei der Autoindustrie ist nicht, und ich glaube, das ist das, was viele nicht erkennen, insbesondere die Autoindustrie, aber auch CDU, CSU und SPD. Gelingt es, in Deutschland einen Schutzzaun bei dieser globalisierten Industrie um die deutsche Autoindustrie zu bauen, damit die weiterhin ihre, die Grenzwerte nicht einhaltenden Diesel-Autos bauen können, oder gelingt es den Grünen und damit Arbeitsplätze zu gefährden, Null-Emissions-Autos zu bauen. Nein, die Frage ist längst: Gelingt uns rechtzeitig der Umstieg auf moderne emissionsfreie Fahrzeuge, oder gelingt uns das nicht, und dann sind die Arbeitsplätze alle weg. Das ist die Frage. Nämlich Tesla hört ja nicht auf, plötzlich Autos zu bauen auf Null-Emissions-Basis, nur weil Deutschland die technische Entwicklung verschläft, oder die chinesischen Hersteller, oder Toyota.
Heuer: Herr Hofreiter, wir müssen Schluss machen. Wir sagen immer an der Stelle, es kommen leider die Nachrichten. – Anton Hofreiter, der Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Danke sehr.
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