Trittin äußerte große Zweifel an der Ehrlichkeit der Pläne von Eon, das bisherige Hauptgeschäft mit Kohle-, Gas- und Atomenergie abzuspalten und sich stärker auf die Erneuerbaren Energien zu konzentrieren. Eon habe vielmehr einen Weg gefunden, eine Gesamthaftung für den Rückbau der Atomanlagen zu umgehen, sagte der frühere Grünen-Fraktionschef im Deutschlandfunk. Er befürchtet, dass die Rückstellungen nun nicht ausreichten, weil profitable Anteile aus dem Unternehmen herausgelöst worden seien. Die Folge könne sein, dass die Abwicklung von den Steuerzahlern übernommen werden müsse.
Der Staat solle nun das Vermögen sichern, was noch vorhanden sei, damit diejenigen, die mit Betrieb von Atomkraftwerken über Jahrzehnte Geld verdient hätten, auch für die Folgen zahlten. Trittin sprach sich erneut dafür aus, die Rückstellungen der Stromkonzerne für die Abwicklung der Kraftwerke an einen öffentlich-rechtlichen Fonds zu übertragen.
Das Interview in voller Länge:
Christine Heuer: Es war ein Überraschungs-Coup. Der Energiekonzern Eon setzt ab jetzt fast ausschließlich auf Erneuerbare Energien. Kohle und Atom werden ausgelagert in eine neue Gesellschaft, die Eon an die Börse bringen möchte, inklusive der vielen Millionen Euro, die der Konzern für den Rückbau seiner Atomkraftwerke zurückgelegt hat.
Am Telefon ist Jürgen Trittin von den Grünen. Er war selbst von 1998 bis 2005 Umweltminister in der rot-grünen Bundesregierung. Guten Morgen, Herr Trittin.
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Heuer.
Heuer: Eon N macht grüne Politik und setzt seine Zukunft ganz auf erneuerbare Energien. Sind die Grünen am Ziel ihrer Träume?
Trittin: Eon hat den Umbau der deutschen Energiewirtschaft über zehn Jahre verschlafen. Sie haben alle Ratschläge, sich anders zu verhalten, in den Wind geschlagen und die Quittung liegt jetzt auf dem Tisch. Ihre Schulden sind explodiert, ihr Unternehmenswert ist halbiert und mit zehn Jahren Verspätung ziehen sie daraus eine Konsequenz, die der Bundeswirtschaftsminister noch nicht begriffen hat, nämlich dass in einer Situation, in der Erneuerbare den Strommarkt definieren, mit fossilen und nuklearen Kraftwerken kein Geld mehr zu verdienen ist. Als Reaktion darauf versuchen sie, die Haftungssumme, mit der sie für die Folgen - das gilt sowohl für die Langzeitfolgen der Braunkohle, aber eben auch für die Frage, wie beenden wir das nukleare Zeitalter - haften, indem sie diese Haftungssumme mal kurzerhand verringern.
Heuer: Also eine rein wirtschaftliche Entscheidung. - Eon wird Kohle und Atom aber auslagern. Die Auslaufmodelle einer grünen Energiepolitik, wer, Herr Trittin, kauft denn diesen Ausschuss?
Trittin: Ja, das ist die große Frage. Wir können gerade sehen an den Bemühungen von Vattenfall, die ostdeutsche Braunkohle los zu werden, wie schwierig das ist, einen Wirtschaftszweig los zu werden, der offensichtlich mit einem, wie es im Haushaltsdeutsch heißt, KW-Vermerk versehen ist, also künftig wegfallend. Das ist etwas, wo ich sehr, sehr skeptisch bin und wo die Absicht im Grunde genommen sich aus den Langzeitkosten, die am Ende bei der Allgemeinheit verbleiben, sowohl bei den Ewigkeitskosten der Braunkohle wie bei der Frage Rückbau von Atomkraftwerken, daraus einen schlanken Fuß zu machen. Die Antwort müsste eigentlich eher sein, dass der Staat jetzt daran geht, das Vermögen zu sichern, was noch vorhanden ist, um dafür Sorge zu tragen, dass tatsächlich diejenigen, die mit dem Betrieb von Atomanlagen, die mit dem Betrieb von Kohlekraftwerken über Jahrzehnte gutes Geld verdient haben, dass diejenigen auch für die Folgen der Nutzung letztendlich aufkommen.
Heuer: Lassen Sie uns trotzdem noch mal bei den Käufern bleiben, Herr Trittin. Was ist, wenn sich keiner findet? Was passiert dann?
Trittin: Dann ist erst mal das Modell gescheitert, auszulagern. Aber ich kann dem natürlich nicht vorweggreifen. Wenn man einfach zusieht, wie die Bundesregierung, nach dem Motto, na ja, wir haben ja die Rückstellungen, von denen hoffen wir, dass sie ausreichen - es gibt daran seriöse Zweifel angesichts der Kosten des Rückbaus der DDR-Kraftwerke -, wenn man das tut, dann ist man letztendlich darauf angewiesen, dass das Verkaufsverfahren von Eon scheitert, damit Eon, wie das mal vorgesehen und übrigens zugesagt gewesen ist, beim Atomausstieg mit seiner gesamten Kapital- und Unternehmenssumme für den Rückbau haftet und nicht nur mit einer Teilmenge, die im Wesentlichen aus abgeschriebenen Atomkraftwerken und Kohlekraftwerken besteht.
Trittin zweifelt an Verkaufschancen
Heuer: Wenn die Rückstellungen nicht ausreichen - das sagen die Grünen ja ständig und Sie wiederholen das heute Morgen -, dann ist Eon raus und der Bürger springt ein?
Trittin: Das wäre die logische Folge. Wenn diese Rückstellungen nicht ausreichen und nicht hinreichend Kapital in diesen Gesellschaften ist, weil man die profitablen Teile aus dem Unternehmen herausgelöst hat, dann wäre die logische Folge, dass nicht nur der Einstieg in die Atomenergie massiv mit Milliarden von Steuergeldern subventioniert worden wäre, sondern auch die Abwicklung der Atomenergie am Ende vom Steuerzahler übernommen wird. In der Zwischenzeit sind dabei einige Unternehmen sehr, sehr reich geworden, und wenn sie nicht so strategisch große Fehler gemacht hätten, wie Eon und RWE seit über zehn Jahren, wären sie auch wahrscheinlich reicher, als sie es heute sind.
Heuer: Und das gleiche, dass der Steuerzahler einspringt, gilt auch, wenn die Rückstellungen, die ja gleich mit verkauft werden, an einen Käufer gehen, der damit vielleicht nicht richtig haushaltet?
Trittin: Die Rückstellungen selber sind wohl kaum angreifbar. Das Entscheidende ist eigentlich eher, dass mit dem Atomausstieg es eine Kontroverse gegeben hat darüber, ob nicht größere Teile und diese Rückstellungen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt werden, also der Verfügungsgewalt der Unternehmen entzogen werden sollen. Das halte ich nach wie vor für überfällig. Nur das Gegenargument war immer gewesen: Ich weiß gar nicht, was Sie haben, im Zweifelsfall haften doch RWE, Eon, Vattenfall und ENBW mit ihrem gesamten Unternehmensvermögen dafür, also da kann doch gar nichts für den Steuerzahler schief gehen. Man sieht jetzt, dass man einen Weg gefunden hat, genau diese Gesamthaftung zu umgehen.
Heuer: Und diese Gesamthaftung würde dann möglicherweise ein Käufer übernehmen, eine Heuschrecke, Spekulanten, die Russen. Begeben wir uns in die Abhängigkeit von solchen Leuten?
Trittin: Wir begeben uns jetzt erst mal in die Abhängigkeit des Kapitalmarkts. Ich bin mir allerdings nicht so sicher, ob auf dem Kapitalmarkt Investoren sind, die sozusagen eine Bad Bank aus abgeschriebenen Altkraftwerken so bereitwillig übernehmen, in dem Wissen, dass mindestens der Kapitalstock der Rückstellungen, der ja bei Eon 14,5 Milliarden betragen soll, dass dieser Kapitalstock am Ende ihnen nicht zur Verfügung steht, weil es dringend gebraucht wird, und auch Zweifelsfall alles weitere, was da noch an Geld da ist, gebraucht wird, um die rechtlichen Verpflichtungen dieser Unternehmen zu erfüllen. Ich sehe nicht besonders optimistisch auf den Plan von Herrn Teyssen, dieses zu verkaufen.
Heuer: Dann haben Sie ja schon gesagt, dann wäre dieses Geschäftsmodell gescheitert. Lassen Sie uns den anderen Fall noch einmal durchspielen. Ich sage jetzt provokant, ein Spekulant kauft diese Eon Bad Bank. Gibt es dann noch sicher Strom für alle zu jeder Zeit, solange wir die Kohle noch brauchen? Ist die Versorgungssicherheit dann gewährleistet?
Trittin: Na ja. Wir haben ja - und das ist ein Teil des Problems von Eon und Vattenfall und auch zeitweise RWE - überhaupt keine Knappheit an Strom. Im Gegenteil! Wir haben ein massives Überangebot von Strom. Das ist der Grund, warum jemand wie Vattenfall heute sagt, das Kraftwerk, was wir jetzt gerade in Kraft, in Betrieb genommen haben, das würden wir heute gar nicht mehr bauen, weil das kommt nie im Leben auf die Auslastungszeiten, die man braucht, um das Geld wieder einzuspielen.
Heuer: Aber noch brauchen wir Kohle für den Übergang.
Trittin: Der Grund, warum wir dort rausgehen, ist, dass es zu viele Kapazitäten auf dem Strommarkt gibt, und Versorgungssicherheit hängt heute schon lange nicht mehr an dem Betrieb von alten Kohlekraftwerken, sondern hängt eigentlich eher daran, dass wir eine zu gering flexible Kraftwerksstruktur haben, und insofern hieße die Sorge, die da ist, würde man massiv Überkapazitäten aus dem Markt rausnehmen, dass am Ende die moderneren Kohlekraftwerke, die moderneren Gaskraftwerke eine größere Chance hätten, und damit wäre gerade in der Übergangsphase auch der Betrieb von solchen Kraftwerken profitabel. Dem verweigert sich die Bundesregierung und als Konsequenz dieser Tatsache sagt Eon nun okay, wenn mit den Dingern kein Geld mehr zu verdienen ist, dann verscheuere ich sie.
Heuer: Okay, Herr Trittin. Sie sehen keine Schwierigkeiten für die Versorgungssicherheit. Wie schaut es aus bei den Sicherheitsrisiken? Die Grünen haben Jahrzehnte gegen Atomkraft demonstriert und auf die Gefahren hingewiesen. Ist es verantwortlich, deutsche AKW an den Meistbietenden zu verkaufen?
Trittin: Nein. Ich glaube, dass sie an der Stelle sehr genau sehen müssen, dass für die Restlaufzeiten bis 2022, die da sind, natürlich, wenn jetzt verkauft wird, diejenigen, die es übernehmen, wahrscheinlich finanztechnisch nicht so stark aufgestellt sind wie die deutschen Unternehmen, und damit wäre in einem Risikofall die Haftungssumme natürlich ebenfalls deutlich gesunken. Die Haftungssumme sinkt nicht nur für den Rückbau, sie sinkt auch für den möglichen Fall eines Unfalles, oder eben für notwendige Ersatzinvestitionen, die man braucht, um den Sicherheitsstandard zu halten. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob solche Ersatzinvestitionen im nennenswerten Umfang überhaupt noch von irgendjemand vorgenommen würden, der ein solches Atomkraftwerk betreibt. Dann würde das wahrscheinlich eher stillgelegt werden.
Heuer: Jürgen Trittin von den Grünen, 98 bis 2005 Bundesumweltminister. Herr Trittin, danke fürs Gespräch.
Trittin: Ich danke Ihnen, Frau Heuer.