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Grünen-Politiker Trittin zu Stephan Weil
"Kein Vorgang, den man kritisieren muss"

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin hat das Vorgehen des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil verteidigt. Er sehe darin keinen Vorgang, den man kritisieren müsse, sagte er im Dlf. Es sei allerdings unnötig gewesen, die Verdienste des damaligen VW-Chefs Martin Winterkorn in seiner Rede hervorzuheben.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Grünen-Politiker Jürgen Trittin beim Landesparteitag in Niedersachsen
    Der niedersächsische Grünen-Politiker Jürgen Trittin forderte im Dlf einen schnellen Ausstieg aus der Diesel-Technologie. (picture alliance/ dpa/ Silas Stein)
    Tobias Armbrüster: Da kommt gerade so einiges zusammen in Hannover: Seit Freitag haben SPD und Grüne keine Regierungsmehrheit mehr. Niedersachsen steht deshalb vor Neuwahlen. Wann die stattfinden, darüber wird an diesem Montagmorgen in Hannover ausführlich beraten. Außerdem steht natürlich Ministerpräsident Stephan Weil wegen der VW-Diesel-Abgasaffäre weiter unter Druck. Der Vorwurf, der da am Wochenende laut geworden ist, lautet: Weil soll vor zwei Jahren eine Regierungserklärung vorab dem VW-Konzern vorgelegt haben. Dort sei das Manuskript dann weich gespült worden – so heißt es von Kritikern. Weil selbst streitet das alles ab.
    Und am Telefon ist jetzt Jürgen Trittin, Grüner Bundestagsabgeordneter aus Niedersachsen. Er war selbst in den 90er-Jahren Minister in seinem Bundesland, damals für Bundes- und Europaangelegenheiten. Schönen guten Morgen, Herr Trittin!
    Jürgen Trittin: Guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Trittin, hat Stephan Weil hier wirklich unredlich gehandelt?
    Trittin: Stephan Weil hat einen Redeentwurf VW zum Gegenlesen vorgelegt, und man muss heute feststellen, die Entscheidung darüber, ob Einwände von Volkswagen übernommen worden sind oder nicht, ist in der Staatskanzlei gefallen. Da sehe ich selber keinen Vorgang drin, den man kritisieren muss, aber wenn man die Rede konsequent liest, dann muss man eben auch feststellen – und das war immer öffentlich nachvollziehbar –, in völlig unnötigerweise wurde zum Beispiel dem Mithauptverantwortlichen für diesen Dieselskandal bei Volkswagen, Herrn Winterkorn, in diesem Redeentwurf noch mal ausdrücklich Verdienste zugesprochen, nicht auf Initiative von Volkswagen, sondern das stand schon ursprünglich in dem Text drinne.
    Armbrüster: Aber hat ein Mann wie Stephan Weil, der ja auch im Aufsichtsrat von VW sitzt traditionell, hat Niedersachsen da ja eine entscheidende Stimme, trägt der nicht auch eine gewisse Verantwortung für VW und muss deshalb auch versuchen, das Unternehmen nicht allzu tief in diese Krise abrutschen zu lassen?
    Trittin: Ich sehe eigentlich eher die Notwendigkeit nach dem Aktienrecht, dass der Vertreter des Landes Niedersachsen, die 20 Prozent an Volkswagen halten, die Interessen des Shareholders, des Anteilseigners Niedersachsen, nachdrücklich vertritt, und hier muss man feststellen, der amtierende Vorstand, der damalige Vorstand, wie übrigens der jetzige Vorstand, haben die Rechte des Anteilseigners des Landes Niedersachsen mit Füßen getreten. Sie haben massiv dazu beigetragen, dass die Anteile Niedersachsens am Volkswagenkonzern weniger wert geworden sind, und sie haben dieses Unternehmen in eine strategische Krisensituation gebracht, und das ist etwas, was ein Aufsichtsrat nicht dulden kann. Da muss dann auch Klartext geredet werden, und dann muss an einer solchen Stelle auch dafür gesorgt werden, dass dies personelle Konsequenzen hat. In diesem Fall gab es diese personellen Konsequenzen.
    Ich hätte mir, nachdem nun bekannt wurde, dass Volkswagen selber behauptet hat, dass sie ein Autokartell gebildet haben, allerdings gewünscht, dass diese nicht erfolgte Unterrichtung des Aufsichtsrates zur Konsequenz hat, dass die dafür verantwortlichen Manager gehen müssen. Da steht ganz vorne zum Beispiel Herr Stadler von Audi auf der Liste.
    "Über die Zukunft des Diesels entscheiden nicht Ingenieure"
    Armbrüster: Aber hätte Herr Weil das tatsächlich alles vor zwei Jahren wissen können?
    Trittin: Nein, ich behaupte nicht, dass er es wissen kann. Ich vermisse in dieser Regierungserklärung – das vermisste ich damals schon – eine klare Ansage, dass nunmehr alles auf den Tisch muss und eine zweite klare Ansage, dass es eine Umorientierung des Konzerns geben muss, damit er auch künftig auf den Märkten der Welt noch Autos verkaufen kann. Wir reden hier darüber, dass zehn Jahre lang bei Volkswagen unter Führung von Herrn Winterkorn und einem Großteil der jetzigen Managementgarde eine Strategie gefahren worden ist, auf den Diesel zu setzen, und über die Zukunft des Diesels entscheiden nicht Ingenieure. Über die Zukunft des Diesels haben die Märkte der Welt entschieden, in China, in Indien, in den USA, in Brasilien. Überall dort ist diese Technologie entschieden abgelehnt worden, und deswegen muss Volkswagen sich jetzt sehr schnell neu aufstellen, wenn nicht das Industrieland und Autoland Niedersachsen in Gefahr geraten will.
    "Man muss den Prozess weg vom Diesel organisieren"
    Armbrüster: Das sagen Sie jetzt als Grünenpolitiker. Ich bin mir sicher, dass viele Wirtschaftspolitiker anderer Parteien da, vor allen Dingen, was die Zukunft von Dieselmotoren- etwas anderer Auffassung sind, aber das Ganze wirft natürlich ...
    Trittin: Das ist keine Frage von Auffassung. Entschuldigen Sie. Wenn Sie damit konfrontiert sind, dass auf den Schlüsselmärkten der Welt der Anteil von Dieselfahrzeugen maximal bei zwei Prozent liegt – das ist in den USA, in allen anderen unter eins –, dann ist diese Frage schlicht und ergreifend entschieden, und dann ist man gut beraten, nicht an den Märkten der Welt vorbei zu produzieren, und man weiß sehr wohl heute, dass nur dort, wo der Diesel wie in Deutschland subventioniert wird, er überhaupt eine Chance hat. Also wenn man künftig noch Autos verkaufen will, dann muss man jetzt umstellen und zwar sehr, sehr zügig auf Elektromobilität und andere Technologien. Jedenfalls man muss den Prozess weg vom Diesel organisieren, und genau das sehe ich bei der deutschen Autoindustrie weder bei Daimler, noch bei BMW, noch Volkswagen.
    Armbrüster: Und zeigt das Ganze in Niedersachsen dann auch, dass das VW-Gesetz eigentlich Geschichte sein sollte, dass diese enge Verflechtung von Landesregierung und VW eigentlich nur zu Problemen führt?
    Trittin: Das VW-Gesetz ist nichts anderes als die Sicherung eines Minderheitenrechts für das Land Niedersachsen. Das ist richtig und wichtig zur Sicherung des Standorts Niedersachsen. Die Mehrheit bei Volkswagen haben nicht das Land Niedersachsen und übrigens auch nicht die IG Metall. Die Mehrheit bei Volkswagen haben die Oligarchenfamilie Piech und Porsche, haben da katarische Staatsfonds, und die Deutsche Bank, und ich finde, dass man solche unternehmerischen Entscheidungen nicht ganz völlig diesen Kräften überlassen sollte. Das ist der wesentliche Vorteil des VW-Gesetzes, aber man muss diese ...
    "Es geht nicht darum, dass VW-Gesetz abzuschaffen"
    Armbrüster: Aber dieses Gesetz sorgt ja auch für einen ständigen Interessenkonflikt, wie wir jetzt gerade offenbar sehen.
    Trittin: Ja, aber man muss dann auch seine Interessen als Anteilseigner von Volkswagen so ernst nehmen, wie es übrigens das Aktiengesetz vorsieht. Ich würde mir wünschen, dass im Aufsichtsrat von Volkswagen die Vertreter des Landes Niedersachsen die gleiche Härte an den Tag legen wie beispielsweise Vertreter von Fonds wie BlackRock in anderen deutschen Unternehmen. Die würden sich ein solches Auf-der-Nase-herumtanzen-Lassen von dem Vorstand, wie es bei VW üblich ist, nicht gefallen lassen. Es geht nicht darum, das VW-Gesetz abzuschaffen, sondern es geht darum, das wirklich mit Härte anzuwenden.
    "Individuelle verletzte Eitelkeit hat keinen Platz in der Politik"
    Armbrüster: Herr Trittin, wir müssen an diesem Montagmorgen natürlich noch etwas über etwas anderes sprechen: Stephan Weil in Niedersachsen steht auch deshalb unter Druck, weil ihm seine Regierungsmehrheit abhandengekommen ist am Freitag. Elke Twesten von Ihrer Partei, von den Grünen, ist übergelaufen zur CDU. Was können wir sagen? Hat Ihre Partei da die Fraktion in Hannover nicht so richtig im Griff?
    Trittin: Die hat die Fraktion hervorragend im Griff, nur wenn in einem Kreisverband entschieden wird, eine Abgeordnete nicht wieder aufzustellen, dann kann daran weder eine Landtagsfraktion noch sonst jemand irgendetwas ändern. Dann ist das so, und dann muss man das akzeptieren, wenn man nicht wieder aufgestellt wird. Wenn man dann mit dieser Begründung zu einer Partei überläuft, die das Gegenteil von dem vertritt, für das man vorher eingetreten ist ... Vorher war Frau Twesten gegen Fracking, jetzt ist sie in einer Partei, die ist für Fracking. Sie war vorher für Gleichstellung in der Fraktion zuständig, jetzt geht sie zur CDU, die gegen die Quote ist. Dann hat das sehr viel mit individueller und verletzter Eitelkeit zu tun, und ich finde, individuelle verletzte Eitelkeit hat keinen Platz in der Politik. Sie darf vor allen Dingen nicht über Mehrheiten entscheiden, und das ist der Grund, warum die Grünen sehr nachdrücklich sagen, diese jetzige Mehrheit im Landtag, die durch den Übertritt entstanden ist, ist nicht legitim, und weil sie nicht legitim ist, bedarf es jetzt der Entscheidung der Wählerinnen und Wähler, wer dieses Land regiert. Wir streben deswegen Neuwahlen an.
    Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk war das Jürgen Trittin von den Grünen. Vielen Dank dafür!
    Trittin: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.