Michael Borgers: Martin Fuchs, Sie beraten Politiker, wie sie am besten in der digitalen Welt kommunizieren. Und Sie schreiben: Bleib, lieber Robert! Warum? Warum sollte Habeck Twitter nicht verlassen?
Martin Fuchs: Ich glaube, zum einen natürlich, weil es eine Impulsentscheidung war, die er über Nacht gefällt hat und die jetzt in seiner aktuellen Situation auch sehr nachvollziehbar ist, ihm und der Grünen-Partei aber langfristig auch schaden wird.
Borgers: Impulsentscheidung – er hat einen Fehler gemacht, und der spricht davon, dass der Datenklau ihn auch betroffen hat.
Fuchs: Genau. Es sind gerade zwei Phänomene, die ihn innerhalb der letzten 48 Stunden betroffen haben: ein Hack der Politikerdaten und das Zweite, sein Video, das er über Twitter hat senden lassen für den Wahlkampf der Grünen in Thüringen. Und da hat er, glaube ich, auch erstmals überhaupt erfahren, wie es sein kann, wenn ihn viel negative Kritik innerhalb kürzester Zeit erreicht hat. Bisher war er Everybody's Darling, auch auf Twitter. Er schwebt, und auch die Grünen, auf einer Zustimmungswelle auch. Und jetzt so harten Gegenwind zu kriegen, das ist hart, das einmal zu erleben. Aber es ist, glaube ich, ganz wichtig, dass jeder das mal erlebt, weil es Teil der Medienbildung ist im digitalen Raum.
"Twitter ist das wichtigste Instrument für die politische Kommunikation"
Borgers: Und Sie sagen: Das hätte er jetzt durchstehen müssen?
Fuchs: Das muss man durchstehen. Und es ist kein schöner Moment. Und ich wünsche es auch niemandem, auch keinem Spitzenpolitiker an der Stelle. Aber: Das muss man durchstehen an der Stelle. Weil es natürlich ein sehr naiver Glaube ist, zu sagen: Ich bin jetzt draußen auf Twitter und Facebook, und ich werde jetzt nicht mehr beeinflusst von dieser digitalen Welt. Das kann man ja auch nicht sagen, wenn man an der Werkbank arbeitet und sagt: Ich bin jeden Tag an der Werkbank und das beeinflusst mein Leben auch. Da muss man trotzdem jeden Tag zur Arbeit hingehen. Oder wenn man Werbeanzeigen sieht an der Straße oder Radiosendungen sieht, da kann man ja auch nicht sagen: Ich höre kein Radio mehr.
Borgers: Aber, da wird man nicht beschimpft, an der Werkbank. Welche Vorteile bringt es denn, als Politiker in sozialen Netzwerken aktiv zu sein?
Fuchs: Sehr, sehr viele Vorteile. Zum einen natürlich, meine These, Twitter ist das wichtigste Instrument für die politische Kommunikation in Deutschland, jedenfalls auf bundespolitischer Ebene. Weil man dort einfach Themen setzen kann; mitbekommt, wie der politische Gegner auch Themen hochzieht und darauf reagieren kann; aber natürlich auch Teil eines Diskurses, einer Diskurskultur ist, wenn man durch klassische Medien wahrgenommen wird, wenn man durch andere Politiker anderer Parteien wahrgenommen wird. Und das geht mit keinem anderen Instrument besser als mit Twitter. Und das Zweite, was gerne vergessen wird: Dieser Informationsgehalt, den Twitter hat, diese Dichte auch von Informationen, klar kann man auch sagen, dass man das nicht braucht, dass man sich da zurückzieht, kann man machen. Aber für viele ist es ein sehr, sehr großer Gewinn. Auch für mich zum Beispiel, mich tagesaktuell besser zu informieren, als das ein klassisches Medium könnte.
"Der Diskurs wird weiterhin auch sehr, sehr böse über ihn sein"
Borgers: Ja, das ist der Vorteil von Twitter. Es gibt aber auch Gegentendenzen aktuell auch. Habeck gehört dazu, es gibt auch erste Medien, die sich verabschieden. Habeck könnte künftig auch in seinem Blog weiterschreiben, er könnte weiterhin digital kommunizieren. Ist das nicht grundsätzlich eine gute Entwicklung, wenn die digitale Kommunikation wieder ein bisschen kleinteiliger wird?
Fuchs: Prinzipiell muss ich sagen, ist das ein extrem mutiger Schritt, das zu probieren. Und ich bin sehr gespannt auch das Experiment, dass erstmals in Deutschland ein Parteivorsitzender, der Social Media genutzt hat, es auch wieder verlässt. Das gab es bisher nicht. Ich habe auch keine Ahnung, was das mit der Kommunikation eines Parteivorsitzenden macht und mit einer Partei macht. Aber prinzipiell würde ich sagen, er verbaut sich da eine Chance, weil er jetzt nur noch Reagierender sein kann und nicht mehr Agierender. Das heißt, das Netz wird weiterhin über ihn reden, der Diskurs wird weiterhin auch sehr, sehr böse über ihn sein von anderen Menschen. Er sieht es vielleicht nicht mehr, aber all seine Mitarbeiter in seiner Parteizentrale sehen es, seine Mitvorsitzende wird es weiterhin sehen, und alle weiteren Menschen, die Diskurs treiben - Medienschaffende, Feuilletonisten, wer auch immer - sehen es auch.
Nur weil er es nicht mehr sieht, heißt das ja nicht, das das einfach weg ist. Und jetzt kann er vielleicht noch maximal den Account seiner Partei nutzen, um darauf zu reagieren, der Grünen-Partei in diesem Fall, aber er kann nicht mehr selbst Akzente setzen. Er kann nicht mehr selbst quasi aktiv den Diskurs um eine positive Diskurskultur mitführen, weil er nicht mehr Teil davon ist. Und das ist natürlich sehr, sehr traurig an dieser Stelle.
"Erwarte nicht viele Nachahmer"
Borgers: Sie sagen, ein radikaler Schritt ist das. Erwarten Sie Nachahmer?
Fuchs: Ich habe schon das Gefühl, dass gerade unter Spitzenpolitikern sehr, sehr viele Leute in den letzten Wochen und Monaten sehr, sehr aktiv darüber nachgedacht haben, ob sie es tun sollen oder nicht. In der Praxis ist es immer ein bisschen schwierig, weil doch viele ein süchtig sind davon, was Robert Habeck in seinem Blog ja auch beschreibt: Dieses ständige Nachgucken, wie komme ich eigentlich an? Wie war die Talkshow jetzt, wie habe ich dort performt? Das ist vielen doch, glaube ich, sehr wichtig.
Und zum Zweiten haben viele Politiker über Jahre jetzt sehr viel investiert - Zeit, Grips, vielleicht auch Geld - diese Kanäle auch aufzubauen. Und da fällt es einem doch schwer, diesen Schritt zu gehen. Von daher ist es ein konsequent mutiger Schritt gewesen. Ich glaube allerdings nicht, dass es sehr viele Nachahmer geben wird. Zumal auch die mediale Aufmerksamkeit dieses Schrittes jetzt auch weg ist, weil Robert Habeck es auch schon getan hat. Das heißt, jeder, der es jetzt machen würde, würde vielleicht gar nicht mehr so eine Wahrnehmung kriegen für seine Anlässe, für seine Aussage, die er vielleicht da loslassen möchte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.