Dirk-Oliver Heckmann: Ursula von der Leyen hat Finanzminister Schäuble ja bereits davon überzeugt, dass der Wehretat kräftig steigen muss. Vor wenigen Wochen stellte sie ein Programm zur Sanierung der veralteten Bundeswehrausrüstung vor. Jetzt macht sie nach 25 Jahren Schluss mit der Schrumpfkur der Bundeswehr. Ist es nicht an der Zeit, der Verteidigungsministerin dafür Respekt zu zollen? Das habe ich vor dieser Sendung Tobias Lindner gefragt. Er gehört Bündnis 90/Die Grünen an und ist Mitglied des Verteidigungsausschusses und Obmann im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages.
Tobias Lindner: Ursula von der Leyen doktert hier an verschiedenen, ich will es mal bildlich nennen, Fronten herum, die sie in ihrem Fachbereich hat, aber das passt nicht alles so wirklich zusammen. Auf der einen Seite bekommt sie mehr Geld, dann will sie mehr Ausrüstung haben, dann will sie mehr Personal haben, obwohl die bestehenden Stellen bei der Bundeswehr schon nicht besetzt werden können. Meine Befürchtung ist, dass, wenn man das alles zusammennimmt, am Ende wieder eine Bundeswehr steht, wo der Auftrag und die Ausstattung und die Finanzmittel erneut nicht zusammenpassen.
Heckmann: Aber das ist ja gerade das Ziel, mehr Geld in die Hand zu nehmen, um auch für mehr Personal zu sorgen.
!Lindner:!! Aber wenn Sie sich natürlich angucken, was Ursula von der Leyen an Geld bekommen hat und was sie davon machen will, dann passt das nicht zusammen. Das wird bei weitem nicht ausreichen. Sie muss aus den Steigerungen, die sie erhalten hat, jetzt allein erst mal die Lohnerhöhungen, die den Soldatinnen und Soldaten zurecht zustehen, finanzieren. Dann hat sie laufende Rüstungsvorhaben, die teurer und teurer werden. Dann will sie mehr Personal kaufen und will das Personal besser bezahlen und möchte auch noch mehr Personal. Ich kann Ursula von der Leyen nur raten, ihre Wunschliste, die sie hat, endlich in Einklang zu bringen mit dem, was ihr zur Verfügung steht, vor allem an Geldmitteln, und das heißt natürlich am Ende auch, dass sie Schwerpunkte und Prioritäten setzen muss. Das macht sie im Moment nicht.
"Benennen, was verzichtbar ist"
Heckmann: Das heißt, sie sollte kleinere Brötchen backen?
Lindner: Sie sollte vor allem mal identifizieren, was bei der Bundeswehr auch verzichtbar ist. Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass es Bereiche gibt, wo Nachholbedarf besteht. Es gibt verheerende Zustände, was den Klarstand von Material betrifft auf der einen Seite. Auf der anderen Seite leistet sich natürlich auch die Bundeswehr ein Fähigkeitsspektrum - der Fachbegriff ist Breite vor Tiefe -, das ihr einfach teuer zu stehen kommt. Das heißt, sie sollte auf der einen Seite benennen, auf was können wir verzichten - mir als Grünem fällt da nukleare Teilhabe zum Beispiel ein -, um auf der anderen Seite dann Geld und Personal und auch Materialkapazitäten zu haben, damit man die Aufgaben, die die Bundeswehr erfüllen muss, auch richtig machen kann.
Heckmann: Herr Lindner, 7000 zusätzliche Soldaten sollen ja geschaffen werden durch die Verschiebung der Pensionsgrenze, durch die Weiterverpflichtung von Zeitsoldaten und auch durch Neueinstellungen und 5000 Soldaten durch interne Verschiebungen. Ist das eine realistische Annahme, oder steckt dahinter ein gewaltiger Taschenspielertrick?
Lindner: Ich persönlich habe große Zweifel, ob das überhaupt Realität werden wird. Die Zahlen sind uns ja heute präsentiert worden. Das Ministerium hat bisher noch überhaupt nicht darlegen können, wie haben sich denn überhaupt die Zahlen errechnet. Aber vor allem ist interessant, dass das meiste natürlich weit in der Zukunft, vor allem in der nächsten Wahlperiode des Bundestages liegen wird, wenn es denn Realität werden sollte. Ich glaube, da wird Ursula von der Leyen schon längst nach dem nächsten Ressort irgendwie Ausschau genommen haben und ihr Nachfolger oder ihre Nachfolgerin wird dann mit diesen Ankündigungen sitzen gelassen werden.
Heckmann: Aber langfristig zu planen, ist sicherlich auch kein Fehler, gerade bei einer solchen Entwicklung. Die Ministerin sagt ja, wir brauchen mehr Soldaten, weil sich die Bedrohungslage geändert hat, und da sind die Stichworte der sogenannte Islamische Staat, die Ukraine-Krise, die osteuropäischen Staaten, die sich durch Russland bedroht fühlen, mehr und mehr Auslandseinsätze, dann auch die Hilfe der Bundeswehr in der Flüchtlingskrise. Würden Sie denn bestreiten, dass es diesen Bedarf überhaupt gibt?
Lindner: Ich bestreite nicht, dass die Bundeswehr im Moment eine Menge zu tun hat und an vielen Stellen gefordert ist. Sie haben ja die wichtigen Stichworte wie Auslandseinsätze genannt. Auf der anderen Seite muss man sich klar machen: eine neue Bedrohungslage wie in der Ukraine, die wird man nicht lösen können mit den Rezepten von gestern und von vorgestern aus dem Kalten Krieg. Das sagt selbst der Amtskollege von Frau von der Leyen, der amerikanische Verteidigungsminister. Ich glaube, wenn man wirklich analysiert, was ist diese neue Bedrohungslage, wie muss man sich gegenüber Russland verhalten, dann wären die Antworten eher im Bereich, dass man zum Beispiel Aufklärungsfähigkeiten stärken muss und nicht 100 neue Panzer kaufen sollte.
"Viele Waffensysteme sind überhaupt nicht funktionsfähig"
Heckmann: Na ja. Die osteuropäischen Staaten, die verlangen das ja, dass mehr Soldaten der NATO in ihren Ländern stationiert werden.
Lindner: Ich war jetzt selbst mehrfach in Osteuropa und so wie ich dort die Gesprächspartner wahrnehme, haben die natürlich eine ganz andere Bedrohungswahrnehmung, ein ganz anderes Bedürfnis nach Sicherheit. Die kommen dann nicht unbedingt sofort mit dem Spruch, ihr müsst mehr Panzer kaufen oder ihr müsst mehr das und jenes machen; die wollen vor allem sichergestellt wissen, dass das, was Bündnispartner vor allem in Westeuropa können, dass das tatsächlich funktioniert, und da sind wir natürlich wieder beim Stichwort, dass zum Beispiel in der Bundeswehr viele Waffensysteme überhaupt nicht funktionsfähig sind. Wenn Ursula von der Leyen das Problem angehen will, dann muss sie vor allem Geld in Wartung und Instandhaltung stecken, statt einfach neue Waffen kaufen zu wollen und neue Rüstungsgroßvorhaben anstoßen zu wollen.
Heckmann: Herr Lindner, Frau von der Leyen wischt ja mit ihren Plänen so ziemlich alle Reformen ihrer Vorgänger zu Guttenberg und de Maizière vom Tisch. Ist das nicht aber verständlich, angesichts einer geänderten Bedrohungslage?
Lindner: Was richtig ist, dass die Bundeswehrreform, wie sie von zu Guttenberg aufgestellt und dann durch de Maizière fortgeführt wurde, an vielen Stellen offene Fragen gelassen hat, inkonsistent war und dass man an einigen Stellen auch was verändern muss. Was ich bei von der Leyen vermisse ist, dass sie immer einzelne Rädchen dreht, Material, Personal, Finanzen, aber überhaupt kein kohärentes Gesamtkonzept vorlegt, in welche Richtung sich die Bundeswehr denn entwickeln soll. Es kann nicht angehen, dass sie jetzt quasi im Wochenrhythmus neue Ankündigungen macht und gleichzeitig kein neues Weißbuch vorgelegt hat. Sie hat ja diesen Weißbuchprozess, der beschreiben soll, was soll die Bundeswehr leisten können, welche Aufgabe hat sie in unserer Gesellschaft, angestoßen. Da ist jetzt ein Papier auch in der Abstimmung innerhalb der Bundesregierung. Bevor da überhaupt Ergebnisse vorliegen, schafft Ursula von der Leyen an einzelnen Stellen Fakten. Das ist für mich das Gegenteil von einer Reform, das Gegenteil von planerischem Vorgehen.
Heckmann: Der bündnis-grüne Verteidigungsexperte Tobias Lindner war das hier im Deutschlandfunk. Herr Lindner, ich danke Ihnen für Ihre Zeit!
Lindner: Danke Ihnen! Auf Wiederhören!
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