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Grünen-Politikerin fordert klare politische Signale an die Ukraine

Die UEFA habe es versäumt, vor der Fußball-EM Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine anzuprangern, sagt Viola von Cramon. Insofern sei es für einen Boykott zu spät, so die sportpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Von der Bundeskanzlerin erwarte sie jetzt ein deutliches Zeichen an die ukrainische Regierung.

Viola von Cramon im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Selbst Moskau hat Beschwerde eingelegt bei der Regierung in Kiew, obwohl diese als prorussisch gilt. Die Aufforderung aus dem Kreml heißt klipp und klar: "Behandeln Sie Julia Timoschenko human." Auch der Europarat und auch die Europäische Union haben ihren Protest weitergeleitet, verlangen von Präsident Janukowitsch, rechtstaatlich zu handeln. Die frühere Regierungschefin ist weiterhin im Hungerstreik.

    Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit der Ukraine gibt es seit Jahren, auch schon unter der Regierungsverantwortung von Julia Timoschenko, die als Ikone der demokratisch gesinnten orangenen Revolution gilt. Trotz dieser Zweifel: die UEFA, der europäische Fußballverband, hat der Ukraine den Zuschlag gegeben für die Europameisterschaft, die in gut sechs Wochen beginnt. Polen ist Gastgeber, aber eben auch die Ukraine. Darüber sprechen wollen wir nun mit der Grünen-Bundestagsabgeordneten Viola von Cramon. Sie sitzt für ihre Fraktion im Sportausschuss und kennt auch das Land sehr gut. Guten Tag!

    Viola von Cramon: Ja guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Frau Cramon, werden Sie die Fußball-EM anschauen?

    von Cramon: Da habe ich mich noch nicht hundertprozentig festgelegt. Angesichts der Dramatik, die jetzt das Geschehen in der Ukraine aufgenommen hat, würde ich jetzt erst mal sagen, dass wir aus Deutschland, aus Europa heraus massiven Druck ausüben müssen: erstens natürlich auf die Bundesregierung, aber auch auf den Deutschen Fußballverband, auf die UEFA insbesondere, dass sie sich ganz klar positioniert und viel, viel deutlichere politische Signale auch abgibt, als sie das in der Vergangenheit getan hat. Und dann müssten wir, wenn wir als Politiker uns in den Stadien zeigen, natürlich auch dieses verbinden mit Besuchen im Gefängnis, in Krankenhäusern, wo ehemalige Regierungsmitglieder im Moment sitzen oder liegen.

    Müller: Das heißt also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, es geht beides: Man kann dort hinfahren, man darf ins Stadion gehen, man kann sich das Fußballspiel anschauen, man muss aber hinterher auch die Oppositionsparteien besuchen.

    von Cramon: Nein, man sollte das vorher tun und man sollte sich vor allen Dingen auch politisch ganz klar positionieren. Das fehlt mir im Moment insbesondere bei der UEFA und das fehlt mir bislang auch noch beim DFB. Ich denke zum Beispiel, dass die Bundeskanzlerin ein klares Signal oder ein klares Zeichen setzen könnte, indem sie sagt, ich möchte mit dem Präsidenten der Ukraine auf keinen Fall auf der Tribüne gesehen werden, und dass sie sagt, solange die ehemaligen Regierungsmitglieder inhaftiert sind, werde ich mich nicht zu einer Reise entschließen – unabhängig davon, wie gut die Mannschaft spielt.

    Müller: Könnte ein Boykott eine politische Alternative sein?

    von Cramon: Ich hätte mir gewünscht, dass man diese Chance, die Ukraine an die Europäische Union heranzuführen, genutzt hätte an ganz vielen Stellen und dass man der Ukraine aufgezeigt hätte, diese systematischen Menschenrechtsverletzungen, die seit der Wahl von Janukowitsch absehbar waren, die eingetreten sind, wenn die nicht nachlassen, dann werden wir uns überlegen, einen anderen Austragungsort zu wählen, und das hätte man klar verhandeln müssen, das hätte man klar kommunizieren müssen. Das hat die UEFA versäumt, das haben aber auch die Nationalstaaten und die Nationalverbände versäumt. Daher bin ich jetzt so ein bisschen an dem Punkt, wo ich sage, es ist jetzt eigentlich schon zu spät. Jetzt einen kompletten Boykott zu organisieren, ich halte das für das falsche Signal. Ich würde mir wünschen, dass man anders jetzt mit der Ukraine umgeht.

    Müller: Sie sitzen für die Grünen-Fraktion ja im Sportausschuss. Also für Sie ist das ausgemachte Sache, dass der Sport auch politisch ist und auch politisch agieren muss?

    von Cramon: Ja selbstverständlich, insbesondere wenn man einem ehemaliges Ostblockland, wie das in der Ukraine der Fall ist, den Zuschlag gibt. Das war eine Wette auf die Zukunft, das war ein Risiko, und dessen war sich die UEFA auch bewusst, und dann hat man auch eine andere Verantwortung, als wenn man das in den klassischen Austragungsländern in Westeuropa organisiert. Und da muss man einfach auch der UEFA wirklich den Vorwurf machen, dass sie dieser Verantwortung nicht gerecht geworden ist.

    Müller: Nun gibt es ja das Argument, der Sport kann alles ein bisschen besser machen. Es gab Olympische Spiele in China, viele erinnern sich noch an die Fußballweltmeisterschaft in Argentinien 1978, es gab jetzt die Formel eins in Bahrain. Hat der Sport nicht auch die Möglichkeit, ohne auf Konfrontation zu setzen, für Veränderung zu sorgen, zumindest im Bewusstsein?

    von Cramon: Wenn man das eng begleitet hätte. Am Beispiel der Ukraine würde ich jetzt sagen, das ist auf jeden Fall nicht gelungen. Die Ukraine sitzt auf einem Riesenberg Schulden, sie werden eine zweistellige Inflation sehen, sie werden eine Verelendung der Durchschnittsbevölkerung sehen und ich glaube, dass das, was man hätte erreichen können, indem das ja eine gemeinsame Euro war mit Polen und der Ukraine: man hätte gemeinsame Projekte, man hätte grenzübergreifende, vielleicht auch kulturelle Projekte mit erarbeiten können. All das ist ja nicht geschehen. Im Grunde sind es ja zwei nationale Austragungsorte geworden. Polen und die Ukraine kooperieren im Grunde miteinander gar nicht. Daher würde ich sagen, an der Stelle hat man eine Chance vergeben und verpasst.

    Müller: Also für den Boykott ist es zu spät, sagen Sie. Inwieweit war das Thema denn auch beispielsweise im Sportausschuss ein Thema? Hat man dort versucht, mit dem DFB, eventuell auch mit Vertretern der UEFA zu sprechen?

    von Cramon: Wir haben ja heute das Thema erst auf der Tagesordnung im Sportausschuss und wir tagen ja leider hinter verschlossenen Türen erst heute mit einem Vertreter der UEFA, mit einem Vertreter des DFB, der ukrainischen Botschaft, der polnischen Botschaft und jemandem von der Stiftung Wissenschaft und Politik genau über dieses Thema, und da werden wir natürlich genau diese kritischen Fragen stellen. Aber bislang war im Sportausschuss überhaupt gar kein Interesse an der Ukraine, und das ist, glaube ich, auch das große Problem. Die Ukraine steht in Deutschland immer erst auf der Tagesordnung, wenn beispielsweise der Gastransport Richtung Westeuropa nicht mehr gesichert ist. Aber so im großen und ganzen ist das tägliche Geschäft, was in der Ukraine abläuft, hier eigentlich nicht von wirklichem Interesse.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk die Grünen-Bundestagspolitikerin Viola von Cramon, sportpolitische Sprecherin Ihrer Fraktion im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    von Cramon: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.