Sandra Schulz: 35 Euro pro Tonne CO2-Emissionen ab dem nächsten Jahr beim Heizen und beim Autofahren, dann im Laufe des Jahrzehnts eine Steigerung auf 180 Euro. Unter anderem dieser Vorschlag, der kam in der vergangenen Woche von den Gutachtern, die Umweltministerin Svenja Schulze um Rat gefragt hatte. Abgemildert werden soll die Bepreisung allerdings durch eine sogenannte Klimaprämie.
Auf den Aufschlag der SPD-Politikerin sagte Unions-Fraktionsvize Jung danach hier bei uns im Deutschlandfunk, jetzt wolle man erst mal hören, was die Wirtschaftsweisen denn zum Thema CO2-Bepreisung sagen. Das Gutachten hat der Vorsitzende Christoph Schmidt heute Morgen vorgestellt.
Mitgehört hat Sylvia Kotting-Uhl von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag und jetzt am Telefon. Schönen guten Tag!
Sylvia Kotting-Uhl: Guten Tag, Frau Schulz!
Schulz: Macht die schwarz-rote Koalition sich jetzt auf den Weg beim Klimaschutz?
Kotting-Uhl: Das hoffe ich! Es ist höchste Zeit, dass sie sich auf den Weg macht. Und wenn dieses neue Gutachten jetzt noch mal ein bisschen Anschub bringt, dann ist es in Ordnung, obwohl ich mit dem Gutachten durchaus nicht einverstanden bin.
Schulz: Was ist Ihre Kritik?
Kotting-Uhl: Ich habe drei Kritikpunkte vor allem. Zum einen die Annahme, es dürfte niemandem weh tun. Zum zweiten, es sei egal, wo das CO2 eingespart wird. Und zum dritten, der Markt wird es richten. Das sind drei Annahmen, die erst mal sehr überzeugend klingen, die aber meiner Meinung nach alle drei falsch sind.
Zum einen wird eine wirkliche Erreichung von Klimaschutzzielen und eine Reduktion von CO2 nicht möglich sein, wenn wir nicht Teile unseres Lebensstils ändern. Veränderungen tun erst mal weh. Das muss man ausgleichen, das muss man abfedern. Aber zu versuchen, es ohne Einschnitte fertigzubringen, die CO2-Ziele zu erreichen, das ist eine Fehlannahme.
"Ich bin auch dafür, dass der Einstiegspreis etwas höher ist"
Schulz: Aber ist das nicht auch eine Verkürzung, Frau Kotting-Uhl? Wir hören ja auch das Plädoyer oder zumindest die Bezifferung und die Forderung der Experten des Sachverständigenrates, die sagen, wir müssten einsteigen bei einem Preis von 25 bis 50 Euro pro Tonne, und je niedriger der Einstiegspreis, desto schroffer müsste dann der Anstieg ausfallen.
Kotting-Uhl: Ja, ich bin auch dafür, dass der Einstiegspreis etwas höher ist. Ich bin für mindestens 40 Euro, denn wir müssen auf die 180 Euro kommen. Anders entfalten wir die notwendige Lenkungswirkung nicht.
Aber ich würde Ihnen gerne noch die beiden anderen Punkte darlegen. Es sei egal, wo das CO2 eingespart wird. Ja, selbstverständlich! Der Atmosphäre ist es egal, wo das CO2 eingespart wird, aber nicht der Welt, nicht den Ländern. Wir brauchen eine Solidarität in dieser Frage. Sonst werden wir diese ambitionierten Ziele für 2050 nicht erreichen.
Wenn wir weitermachen mit Prinzip Emissionshandel, weltweit ausgedehnt – nur dann würde er tatsächlich funktionieren am Ende -, dann wird es so sein, dass die reichen Länder sich freikaufen, weil es immer billiger sein wird, in anderen Ländern einzusparen oder in anderen Bereichen einzusparen, und das schafft keine Solidarität.
Schulz: Kann Deutschland das denn, Frau Kotting-Uhl, alleine entscheiden, ob es bei dieser Frage Solidarität gibt, Deutschland als Emittent ja nur eines Bruchteils der CO2-Emissionen weltweit?
Kotting-Uhl: Nein, das kann es nicht alleine entscheiden. Nein, da haben Sie völlig recht. Natürlich kann man das nicht entscheiden. Aber zum einen zu der Frage Bruchteil CO2-Emissionen: Eine gerechte Messung von CO2 kann immer nur pro Kopf erfolgen, und da sind wir relativ hoch in Deutschland, auch innerhalb der EU relativ hoch und weit über dem, was global verträglich wäre. Wir können uns da nicht aus der Verantwortung stehlen als viertstärkste Wirtschaftskraft der Welt.
Aber zum anderen, Sie haben natürlich völlig recht: Deutschland kann das nicht alleine. Aber Deutschland kann ein gutes Vorbild sein. Gerade weil wir so eine starke Wirtschaftsmacht sind, müssen wir zeigen, dass wir auch die Einsparungen selbst bewerkstelligen. Sonst werden andere Länder das nicht nachmachen. Ich kann nicht von anderen Ländern fordern, weil es bei ihnen vielleicht einfacher ist einzusparen, und genau mit dem Argument dann sie vielleicht kurzfristig auch etwas daran verdienen lassen, aber am Ende wir mit unserem Lebensstil fortfahren, mehr oder weniger ungehindert. Das wird am Ende nicht dazu führen, dass wir gemeinsam die Klimaschutzziele erreichen, sondern wird zu Verwerfungen zwischen Nord und Süd führen.
"Sozialpolitik ersetzen kann ein CO2-Preis nicht"
Schulz: Und die Lenkungswirkung, die Sie ja auch gerade ansprechen, und diese Forderung, das muss jetzt auch weh tun, das muss jetzt was kosten, da wird ja immer gesagt, na ja, wem das weh tun wird, das wissen wir jetzt schon, nämlich den Leuten, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen. Was ist Ihre Antwort darauf?
Kotting-Uhl: Deshalb muss man das, wie es ja auch Svenja Schulze vorgeschlagen hat, auch tatsächlich zurückgeben. Diese CO2-Abgabe oder der CO2-Preis oder Steuer, wie immer man es am Ende nennen will, darf natürlich nicht im Haushalt verschwinden, obwohl es immer gute Möglichkeiten gibt, das gewinnbringend auszugeben, sondern das muss tatsächlich an die Bevölkerung zum größten Teil zurückgegeben werden und pro Kopf. Ich bin sehr dafür, das pro Kopf zu machen, auch anders als es in dem Gutachten empfohlen wird, weil dann genau diese Lenkungswirkung auch eintritt, dass nicht diejenigen, die eh schon wirtschaftlich schlechter gestellt sind, wieder draufzahlen, sondern die werden dabei vermutlich gewinnen. Denn die Menschen, die mehr Geld auszugeben haben, mehr konsumieren können, größere Wohnflächen bewohnen und so weiter, größere Autos fahren oder überhaupt Autos fahren, die stoßen auch mehr CO2 aus als die Menschen mit geringem Einkommen, und insofern würde da auch ein bisschen eine soziale Umverteilung stattfinden, wobei ich immer der Meinung bin, dass man ökologische Lenkungsinstrumente jetzt nicht dazu nutzen darf, verfehlte Sozialpolitik ausgleichen zu wollen. Das kann nur bis zu einem gewissen Maß geschehen. Es soll nicht weitere soziale Ungerechtigkeiten produzieren, aber Sozialpolitik ersetzen kann ein CO2-Preis nicht.
Schulz: Jetzt lassen Sie uns noch mal auf die Werbung schauen, die der Sachverständigenrat heute ja auch macht, bei dem Thema verstärkt auf den Emissionshandel zu setzen – allerdings angesichts des Umstandes, dass das alles von heute Morgen in Europa nicht so schnell zu verabreden sein wird mit diesem zeitlichen Puffer bis 2030. Was ist denn an dem Ansatz falsch zu sagen, wir lösen das gesamtheitlich, das wird so schnell nicht gehen? Wir haben ja auch schon Erfahrungen mit Emissionshandel. Warum kann man aus diesen Erfahrungen nicht lernen und es dann in einer neuen Verabredung besser machen?
Kotting-Uhl: Sie haben es selbst angesprochen. Es geht darum, dass wir jetzt kurzfristig Maßnahmen ergreifen müssen. Wir müssen kurzfristig zu einem Erfolg kommen. Und wenn man sich den Emissionshandel anschaut: Acht Jahre Verhandlungen, bevor das überhaupt losging. 14 Jahre haben wir jetzt den Emissionshandel. Das ist eine lange Zeit für den Erfolg, den der bisher gebracht hat, und in dem Tempo können wir nicht weitermachen.
Ich halte den CO2-Preis für kurzfristiger einführbar, für stärker in der Lenkungswirkung, und ich bin auch nicht der Meinung, dass ein marktwirtschaftliches Instrument das beste Instrument ist, um CO2 einzusparen. Wir brauchen feste Preise, auf die man sich verlassen kann, die absehbar steigen, und dieser Emissionshandel produziert immer einen Preis für CO2, der volatil ist, der sich verändert. Das heißt, das ist kein verlässliches Instrument. Das wirkt mal und dann wirkt es wieder nicht und es sind immer langwierige Verhandlungen voraus.
Ich halte die Möglichkeit, dass einzelne Länder jetzt mit der CO2-Bepreisung individuell vorlegen – manche Länder tun das ja schon: Schweiz, auch andere -, dass Deutschland als starke Wirtschaftskraft das auch macht und dass wir dann sukzessive über das gute Beispiel gemeinsam zu einer Lösung kommen in Europa. Man kann übrigens auch Handelsabkommen – das empfiehlt das Gutachten ja auch – durchaus danach ausrichten, mit welchen Ländern wollen wir denn wirklich handeln, welche Länder akzeptieren selbst die CO2-Reduktion als Notwendigkeit und haben eigene Maßnahmen eingeleitet. Man kann durchaus auch in den globalen diplomatischen und sonstigen Verhandlungen das zum Maßstab machen.
"Wir haben einfach nicht mehr sehr lange Zeit"
Schulz: Und warum diese Hektik? Wir kennen die Ergebnisse, wir kennen die Erkenntnisse zum Klimawandel schon lange. Die waren auch schon bekannt, als die Grünen vor einiger Zeit mal an der Regierung waren. DA hat sich auch nicht von jetzt auf gleich alles geändert. Warum jetzt dieser Zeitdruck?
Kotting-Uhl: Der Zeitdruck kommt nicht aus der Politik. Der Zeitdruck kommt aus der Atmosphäre. Wir haben einfach nicht mehr sehr lange Zeit, acht, neun Jahre. Wenn wir mit dem gleichen CO2-Ausstoß wie bisher weltweit weitermachen, dann ist das Budget, das der IPCC errechnet hat, um beim 1,5-Grad-Ziel zu bleiben, verbraucht. Das heißt, wir haben jetzt einen Zeitdruck, einen selbstgemachten, aber keinen, den wir mehr ändern können, und deshalb brauchen wir schnelle Maßnahmen.
Schulz: Aber da sind wir doch wieder an dem Argument oder an der Stelle von eben. Selbst wenn in Deutschland von jetzt auf gleich quasi gar kein CO2 mehr emittiert werde, was natürlich nur rein theoretisch das Gedankenspiel ist, das würde doch nichts daran ändern, dass die Welt, dass global wir weiter natürlich auf diesen Kipppunkt, von dem die Forscher ja sprechen, zulaufen. Dass der schon in näherer Zukunft erreicht sein könnte, daran würde sich doch global überhaupt nichts ändern.
Kotting-Uhl: Das kann so sein. Es kann aber auch anders sein. Wenn ich an die Dinge jetzt noch mal erinnern darf, die ich gerade aufgeführt habe, zum Beispiel auch Freihandelsabkommen danach auszurichten, das Vorbild zu nutzen, als starke Wirtschaftskraft zu zeigen, dass es den Menschen nicht schlechter geht, dass sich Dinge verändern, dass sich Mobilität zum Beispiel verändern wird, dass sich unsere Art der Landwirtschaft verändern muss, aber dass es den Menschen deshalb nicht schlechter geht und wenn Wirtschaft sich umstellt es auch der Wirtschaft nicht schlechter geht. Das zu zeigen als wirtschaftsstarke Kraft in der Welt, das kann eher dazu beitragen, als wenn wir jetzt wieder jahrelang verhandeln und dann irgendwann (2030 wird nicht reichen) einen ausgeweiteten Emissionshandel haben, der dann wahrscheinlich auch erst wieder zögerlich greift. Dann wird nicht nur Deutschland seine Ziele verfehlen, wie wir das ja 2020 definitiv tun und eventuell auch 2030, wenn wir jetzt nicht vorangehen, sondern dann werden auch andere Länder die Ziele nicht erreichen.
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