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Konflikt im Pazifik Inselforum
Politologe: Wichtiger klimapolitischer Akteur ist in Gefahr

Der Personalstreit beim Pazifischen Inselforum zeige, dass dessen Vision regionaler Zusammenarbeit und Solidarität sehr leicht reißen könne, sagte der Politologe Patrick Köllner im Dlf. Es gelte aber große Herausforderungen zu meistern, etwa den Klimawandel, aber auch die Rolle Chinas in der Region.

Patrick Köllner im Gespräch mit Andreas Noll |
Nauru President Baron Waqa, second from left, poses with New Zealand Prime Minister Jacinda Ardern, fourth from left and other Pacific leaders for a group photo during the Pacific Islands Forum in Nauru, Wednesday, Sept. 5, 2018. (Jason Oxenham/Pool Photo via AP)
Das Pazifische Inselforum habe sich zu einer Art moralischer Autorität in Fragen des Klimawandels und nachhaltigen Ozeanmanagements entwickelt. Im Bild: Treffen des Pazifischen Inselforums im Jahr 2018 (picture alliance/AP Photo | Jason Oxenham)
Das Pazifische Inselforum, ein Zusammenschluss von Inselstaaten des Pazifiks, steckt in der Krise. Mehrere Staaten wollen austreten. Anlass ist der Streit um die Besetzung eines Generalsekretärpostens. Es sei aber noch Zeit, die Probleme zu beseitigen, sagte der Politikwissenschaftler Patrick Köllner im Deutschlandfunk.
Köllner beleuchtet im Interview auch die Rolle von macht- und wirtschaftspolitischen Akteuren wie den USA und China in der Region. Deren Konflikte würden von den pazifischen Inselstaaten noch als geringere Bedrohung empfunden, der Klimawandel werde als große Herausforderung gesehen. Dabei sei auch die Europäische Union als Partner relevant.
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Andreas Noll: Herr Köllner, im Pacific Islands Forum haben sich neben Australien und Neuseeland vor allem zahlreiche kleine Inselstaaten organisiert. Welche politische Rolle spielt diese Regionalorganisation aktuell?
Patrick Köllner: Ja, es ist richtig, dass dieses Inselforum natürlich nur recht selten internationale Aufmerksamkeit genießt. Wenn man so auf die letzten Jahrzehnte guckt, dann war es unter anderem der Fall, als es dort Nukleartests der Amerikaner und der Franzosen gegeben hat, erheblichen Widerstand in der Region. Aber gerade in den vergangenen Jahren hat sich das Pazifische Inselforum zu so etwas wie einer moralischen Autorität entwickelt in Fragen des Klimawandels und in Fragen des nachhaltigen Ozeanmanagements.
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Ein Eklat auf dem vergangenen Treffen

Noll: Anlass für den Austritt von fünf Mitgliedern des Forums war ein Streit über die neue Führung in der Allianz. Ist ein dermaßen gestutztes Bündnis eigentlich noch handlungsfähig?
Köllner: Man muss ja sehen, dass dieser Prozess des Austritts sich einige Zeit hinzieht. Bisher haben die fünf mikronesischen Staaten erklärt, dass sie austreten wollen – das sind ja die föderierten Staaten von Mikronesien, die Republik der Marshallinseln, Nauru, Palau und Kiribati. Dieser Prozess zieht sich allerdings ein Jahr hin, also das heißt, es ist auch noch Zeit, Probleme, die jetzt hier bei dieser Neubesetzung des Generalsekretärpostens sich ergeben haben, zu beseitigen. Natürlich ist jetzt noch ein zweites Problem hinzugekommen: Da geht es um die Universität des Südpazifik, hier hat es auch einen Eklat quasi zeitgleich gegeben. Das Prinzip des Inselforums steht damit vor einer gewaltigen Belastungsprobe, aber es hat ungefähr ein Jahr, sich diesen Problemen erfolgreich zuzuwenden.
Noll: Überdeckt dieser Personalstreit – es geht um die Besetzung des Generalsekretärs – aus Ihrer Sicht ja grundlegende Meinungsverschiedenheiten über die Ausrichtung des Bündnisses, oder was steckt hinter diesem Personalstreit?
Köllner: Ich denke, dass sich hier einmal wieder zeigt, dass auch beim Pazifischen Inselforum eben starke nationale und subregionale Impulse gegeben sind und dass im Endeffekt halt die Bänder, die die Vision von regionaler Zusammenarbeit und regionaler Solidarität dann halt bilden, dass diese sehr leicht reißen können. Das ist jetzt hier passiert bei dem letzten Gipfeltreffen, das eben auch digital stattgefunden hat. Das heißt, dort konnten nicht die Führer der entsprechenden Nationen sich dann halt zusammenraufen, einen Konsens zu finden. Es ist hier tatsächlich zu einem Eklat gekommen.
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Natürlich war die Stärke des Inselforums in den letzten Jahren ja gerade seine Einheit, die Einheit, die es dann vermocht hat, in wichtigen Fragen der Klimadiplomatie, des Ozeanmanagements mit einer Stimme zu sprechen. Das alles ist jetzt in Gefahr, damit auch die Glaubwürdigkeit des Inselforums als regionaler Akteur. Man wird sehen, ob dieses eine Jahr, das das Forum jetzt hat, diese Probleme anzugehen, ob die tatsächlich auch durch entsprechende Reformen angegangen werden können oder ob dann am Ende tatsächlich das Forum sehr geschwächt dasteht.
Noll: Der Streit fällt in eine Zeit aufziehender Großmachtrivalitäten – China und die USA kämpfen im Pazifik um Einfluss und die Vormachtstellung. Welche Rolle fällt in dieser Frage dem Forum zu?
Köllner: Nun, man muss sehen, dass der geopolitische Wettbewerb zwischen den USA und China, der in den letzten Jahren sehr stark an Fahrt aufgenommen hat, sich vor allen Dingen im Westpazifik vollzieht und dort seine zentrale Bühne hat. Der Südpazifik ist bisher da ein reiner Nebenschauplatz gewesen. Nun ist es natürlich so, dass durch die Belt-and-Road-Initiative Chinas sich auch die Interessen Beijings verschoben haben. Hier wurde die Belt-and-Road-Initiative, die maritime Seidenstraße weiterentwickelt Richtung Südpazifik, und so ist dann auch diese Region inzwischen zu einer Art Arena des geopolitischen Wettbewerbs geworden. So wird es jedenfalls gesehen, und so kann man das auch durch eine rein sicherheitspolitische Linse sehen.
Eine derartige sicherheitspolitische Linse ist allerdings nicht etwas, was die pazifischen Inselstaaten in dieser Form mittragen würden, da wird doch gesehen, dass ganz andere Fragen durchaus auch sicherheitsbezogener Art, aber in einem erweiterten Sicherheitsverständnis im Vordergrund stehen, nämlich der Klimawandel und der Umgang mit dem Klimawandel. Aus Sicht der pazifischen Inselstaaten ist das dann eine viel größere Herausforderung als der geopolitische Wettbewerb zwischen den USA und China.

Die Interessen von China und USA

Noll: Sie haben von einer Arena gesprochen, welche Interessen haben Peking und Washington an den kleinen Inselstaaten mit zum Teil weniger als 1.500 Einwohnern?
Köllner: Ja, es sind natürlich weniger die Einwohnerzahlen oder auch dann das wirtschaftliche Potenzial der entsprechenden Staaten, aber diese Staaten spielen ja zusammen durchaus eine substanzielle Rolle in den Vereinten Nationen, gerade auch wenn es um Fragen der Klimapolitik geht. Und sie verfügen natürlich über riesige Zonen der exklusiven wirtschaftlichen Nutzung, gerade halt Zonen, die sehr fischreich sind, aber im Endeffekt geht es hier natürlich vor allen Dingen auch um Einfluss – also werden diese Staaten sich eher Richtung China ausrichten oder Richtung der USA. Das Ganze wird dann natürlich noch verkompliziert dadurch, dass die traditionellen regionalen Mächte Australien und Neuseeland sind, die auch ihre jeweiligen Interessen einbringen.
Das Foto zeigt eine Luftaufnahme der "Seventy Islands" in Palau/Mikronesien.
Das Foto zeigt eine Luftaufnahme der "Seventy Islands" in Palau/Mikronesien. (imago / Bluegreen Pictures)
Noll: Sprechen wir noch mal über die sicherheitspolitische Komponente: Im Zweiten Weltkrieg, da waren die kleinen Inseln im Pazifik Schauplatz wichtiger Schlachten im Ringen zwischen den USA und Japan. Derzeit steht die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung zwischen den USA und China im Raum. Wie groß ist das Bedrohungsgefühl in der Regionalorganisation?
Köllner: Das Bedrohungsgefühl in der Hinsicht ist dann doch relativ gering ausgeprägt. Man sieht sich sehr weit – und ist es ja auch geografisch – sehr weit entfernt von den zentralen Schauplätzen, die da im Mittelpunkt stehen, sei es das Südchinesische Meer oder andere Gebiete, von denen dann Spannungen ausgehen. Die Gefahr, die eher gesehen wird, ist die des Klimawandels.

Das Interesse der EU

Noll: Über die französischen überseeischen Besitzungen sitzen auch die Europäer mit am Tisch, welche Rolle spielt das für die Organisation?
Köllner: Natürlich ist die Europäische Union stark in der Region engagiert, gerade natürlich im Entwicklungszusammenarbeitsbereich, aber auch in Klimafragen kooperiert man ganz stark. Die Europäische Union hat ja ein Interesse, ein ureigenes Interesse daran, mit anderen regionalen Akteuren zusammenzuarbeiten, und hier spielt dann unter den Mitgliedstaaten der EU Frankreich eine besonders hervorgehobene Rolle durch seine dortigen Territorien Französisch-Polynesien und Neukaledonien. Man sieht sich in Frankreich tatsächlich als ein pazifischer wie auch als ein indopazifischer Akteur, und der pazifische Raum spielt innerhalb dieses geostrategischen Gesamtkonstrukts des Indopazifiks natürlich inzwischen eine hervorgehobene Rolle.
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Noll: Zum Abschluss vielleicht noch die Frage: Sie haben gesagt, das ganze Prozedere dauert nun ein Jahr mit dem Rücktritt, mit dem Austritt dieser fünf Staaten, was ist Ihre Prognose für die kommende Zeit? Wird sich das Bündnis noch einmal zusammenraufen können?
Köllner: Eine wirkliche Aussage hierzu ist sehr schwierig, es liegen allerdings bereits einige Reformvorschläge auf dem Tisch. Da geht es darum, wie dann zukünftig das Amt des Generalsekretärs besetzt werden könnte, ob man hier quasi zu einer Rotation zwischen den drei Subregionen Melanesien, Mikronesien und Polynesien kommt, ob man vielleicht dem Amt des stellvertretenden Generalsekretärs – das ist jemand aus der Region Mikronesien – stärkeres Gewicht dann beimisst und auch die Anliegen der mikronesischen Staaten halt stärker in den Mittelpunkt rückt. Also es hat hier bereits eine ganze Reihe von Vorschlägen gegeben, aber ob der politische Wille dann da ist, das umzusetzen, das wird man sehen. Das Pazifische Inselforum ist in diesem Jahr unter dem Vorsitz von Fidschi, das wird sicherlich nicht einfach werden bis zum nächsten Gipfeltreffen, an dem die mikronesischen Staaten auch noch teilnehmen könnten, hier tatsächlich so viel Einigung dann halt herbeizuführen, dass dann tatsächlich ein reformiertes, vielleicht sogar stärkeres Pazifisches Inselforum aus dieser Krise hervorgeht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.