Bei genauer Betrachtung verweisen die heutigen Schlagzeilen zu allererst auf die mediale Eigendynamik, die solche Themen und Fragestellungen gerne entwickeln. "Grüne: Gratis Sex für Pflegebedürftige" lautet eine Schlagzeile. "Sex auf Rezept", eine andere. Auch die Gegenposition ist schon vertreten: "Keine Prostitution auf Rezept" lautet die Abwehr.
Aussagen, die die Frage, um die es sich eigentlich dreht, zuspitzen und in der Zuspitzung oft genug ein falsches Bild erzeugen, was uns im beginnenden Wahljahr wohl noch öfters begegnen dürfte. Die mit einem deutlichen Fragezeichen versehene Titelteile: "Sex für Pflegebedürftige auf Rezept?" trifft den Kern der Aussage der pflegepolitischen Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Elisabeth Scharfenberg noch am Besten.
Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten
Die hatte in einem Gespräch mit der Zeitung "Die Welt" gesagt, eine Finanzierung für Sexual-Assistenz sei für sie vorstellbar und weiter, die Kommunen könnten über entsprechende Angebote vor Ort beraten. Scharfenberg nutze den Konjunktiv, um eine Debatte anzustoßen.
Von einer konkreten Forderung der Grünen kann also keine Rede sein. Und da die Abgeordnete das Thema damit erstmals für alle wahrnehmbar auf die politisch-mediale Bühne hob, und Sex in der Pflege auf den ersten Blick irritierend wirken dürfte, lag die mediale Eigendynamik wohl auf der Hand - und die abgefragten Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten.
Gegen Prostitution auf Rezept
Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach sprach sich in der "Frankfurter Rundschau" gegen eine Prostitution auf Rezept aus: Die Forderung sei fehl am Platz, denn kommerzielle Prostitution sollte es in Altenheimen nicht geben.
Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums erklärte, man habe gerade erst eine große Pflegereform mit einer Ausweitung der Leistungen in Kraft gesetzt. Darin würden nicht zuletzt demente Patienten besser gestellt. Das sei für sich genommen schon eine Antwort.
Eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums erklärte, man habe gerade erst eine große Pflegereform mit einer Ausweitung der Leistungen in Kraft gesetzt. Darin würden nicht zuletzt demente Patienten besser gestellt. Das sei für sich genommen schon eine Antwort.
Der Vorsitzende der Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, reagierte auf den Vorstoß gleichermaßen mit scharfer Kritik. Wer täglich damit zu kämpfen habe, beim Stuhlgang, Waschen und Essen Hilfe zu erhalten, der habe andere Sorgen, sagte Brysch.
In den Niederlanden bereits seit einigen Jahren möglich
Was in Deutschland ungewöhnlich und neu erscheint, ist in den Niederlanden bereits seit einigen Jahren möglich. Dort können Pflegebedürftige die Dienste sogenannter Sexual-Assistenten – also von Prostituierten - bezahlen lassen. Die Voraussetzungen hierfür sind jedoch streng: Die auf staatliche Unterstützung angewiesenen Betroffenen müssten per ärztlichem Attest nachweisen, sich nicht auf andere Weise befriedigen zu können.
In Deutschland wirbt die Beratungsstelle Pro Familia dafür, zu klären, ob sich Ansprüche einzelner auf Finanzierung der Sexual-Assistenz durch die Krankenkassen, die Sozialhilfe- oder andere staatliche Leistungsträger ableiten lassen. Nach Einschätzung von Experten wünschen sich viele Männer und Frauen mit Behinderungen sexuelle Dienstleistungen.
In den Pflegeheimen ist das Thema bis hin zu übergriffigen Handlungen der Pflegebedürftigen bekannt. "Sexualität und Demenz" lautet etwa eine aktuelle Broschüre unterstützt vom Bundesfamilienministerium, und der Deutschen Alzheimergesellschaft, die Angehörige und Pflegekräfte aufklären und unterstützen soll.
Thema Sexualität in Pflegeheimen ist gewichtiger, als wir wahrhaben wollen
Darin ist auch von der Vermittlung sexueller Dienstleistungen die Rede, deren Kosten jedoch privat übernommen werden müssen. Und es findet sich die Aussage: Die Erfahrungen mit Sexualbegleitung zeigten, dass regelmäßige Treffen sexuell herausforderndes und für alle Seiten anstrengendes Verhalten von Menschen mit Demenz verbessern könne und ihr Wohlbefinden steigere.
Ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Thema Sexualität in Pflegeheimen gewichtiger ist, als wir es in der öffentlichen Debatte wahrnehmen, oder wahrhaben wollen. An Fachliteratur und Ratgeber für Betroffene und Pflegekräfte mangelt es jedenfalls nicht. Die Frage, ob sexuelle Dienstleistungen eine Kassenleistung für besonders schwierige Fälle werden soll, ist damit noch nicht beantwortet. Es ist aber auch nicht erkennbar, in welcher Größenordnung sich diese Frage wirklich stellt.