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Grünes Band in Gefahr
Salzwedel will den Stadtforst verkaufen

Seit mehreren hundert Jahren ist der Stadtforst Salzwedel, ein einzigartiger Feuchtwald im Norden Sachsen-Anhalts, im Eigentum der Stadt. Doch damit könnte nun Schluss sein, denn die Stadt drücken Schulden, weshalb man den Forst meistbietend versteigern will. Umweltschützer befürchten großen Schaden, weil der Wald auch Teil des "Grünen Bandes" entlang des früheren Eisernen Vorhangs ist.

Von Christoph Richter |
    Grenztürme stehen bei Milz (Thüringen) auf dem früheren Todesstreifen, der heutigen Grenze zwischen Thüringen und Bayern. Knapp 1.400 Kilometer zieht sich das "Grüne Band" auf der einstigen DDR-Staatsgrenze von der Ostsee bis ins Vogtland.
    Kulturlandschaft "Grünes Band". Wo früher der Todesstreifen war, ist jetzt vielfach nur Natur. (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    Der Wind rauscht durch die Erlen des Stadtforsts am Rand des altmärkischen Salzwedel, an der Grenze zu Niedersachsen. "Der Stadtforst Salzwedel gehört zu einem der größten unzerschnittenen Feuchtwälder in Deutschland. Wir haben hier Moormächtigkeiten von bis zu vier Metern, und das ist ziemlich einmalig in Deutschland, auch die Biotop-Ausstattung lässt sich sehen."
    Bei Naturschützer Dieter Leupold vom BUND leuchten die Augen. Der bundesweit einzigartige Feuchtwald am Rande von Salzwedel an der Grenze zu Niedersachsen, besteht aus alten Schwarzerlen, Eschen, Stieleichen, Rotbuchen, Pappeln und verschiedenen Ahornarten. Und ist Teil des sogenannten deutschen "Grünen Bandes", dass sich über 1.393 Kilometer lang, von der Ostsee bis nach Thüringen erstreckt, entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze.
    "Genau, der Wald lag direkt an der innerdeutschen Grenze und damit in der Sperrzone. Das heißt, er durfte nur von Menschen mit Sondergenehmigung betreten werden. Und das hat dazu geführt, dass viele forstliche Maßnahmen entweder gar nicht oder nicht in der Intensität stattgefunden haben wie an anderer Stelle."
    Die Idee: Natur vom Eismeer bis zum Schwarzen Meer
    Damit entpuppte sich der Todesstreifen zumindest für die Natur als ein Segen. Und den möchte man erhalten. Die Idee ist letztlich, einen 50 bis 200 Meter breiten Naturstreifen unberührter Natur entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs vom Eismeer bis zum Schwarzen Meer zu erhalten. Ein Projekt mit Barrieren und Lücken. In Salzwedel kommt wohl nun eine weitere hinzu. Denn die Stadt steckt in Finanznöten, soll ihren Haushalt ausgleichen, weshalb man nun auf die Idee gekommen ist, das Natur-Idyll Feuchtwald – das übrigens seit rund 800 Jahren Eigentum der Stadt ist - meistbietend zu verkaufen. Und damit aus dem europäischen Naturerbe Grünes Band herauszulösen.
    1.400 Hektar einmaliger Waldwildnis droht das Aus
    Die besondere Brisanz: Keiner weiß, was nach einem Verkauf mit den für den Naturschutz so wertvollen Flächen passiert.
    "Ja, man muss befürchten, wenn das Gebiet mal zur Jagd genutzt wird, das Wege reingebaut werden. Das bestimmte Entwässerungen vorgenommen werden, weil man bestimmte Bereiche besser betreten will. Oder das doch irgendwelche wertvollen Baumbestände entnommen werden, weil man doch ein bisschen Geld verdienen will."
    1.400 Hektar einmaliger Waldwildnis drohe das Aus, sagt Staatssekretär Klaus Rehda vom sachsen-anhaltischen Umweltministerium. Weshalb man nun mit den Verantwortlichen ins Gespräch kommen will, um besonders wertvolle Stücke, also Teilflächen – so die Überlegung – aus Landesmitteln aufzukaufen.
    "Unsere Vorstellung ist, dass wir für die Flächen des Grünen Bandes und für die naturschutzfachlichen wertvollen Flächen, dass wir da noch mal mit der Stadt ins Gespräch kommen und es vielleicht schaffen, diese Flächen zum Verkehrswert ins Landeseigentum zu übernehmen."
    Doch die Gespräche gestalten sich schwierig. Was wohl auch daran liegt, dass die Stadt Salzwedel in der Zwickmühle steckt. Einerseits gibt es Finanzauflagen, andererseits hat sich die Kenia-Koalition den Erhalt beziehungsweise den weiteren Lückenschluss des Grünen Bandes in Sachsen-Anhalt in den Koalitionsvertrag geschrieben.
    Dominoeffekt befürchtet
    Konkret geht es um ein Defizit von 14 Millionen Euro. Gerne hätten wir mit der parteilosen Bürgermeisterin Sabine Blümel gesprochen, doch sie will derzeit nicht reden. Stattdessen lässt sie durch den Pressesprecher übermitteln, dass der Verkauf des Stadtwaldes ein zentraler Bestandteil des von der Verwaltung erarbeiteten Liquiditätskonzeptes sei. Es gebe keinen Handlungsspielraum, das Vorhaben sei alternativlos, heißt es lapidar. Umweltschützer befürchten, dass die Naturschutzinteressen durch den Verkauf hinten herunter fallen. Der Magdeburger Staatssekretär Klaus Rehda macht aber deutlich:
    "Fakt ist, wenn das jetzt in private Hand kommt, werden wir genau hingucken, was passiert da. Und werden uns kümmern, dass rechtzeitig die entsprechenden Schutzauflagen erneuert und verbessert werden, so dass auch der zukünftige Besitzer genau weiß, was darf ich und was darf ich nicht in diesem Gebiet."
    Umweltschützer fürchten Schaden
    Im Raum stehen rund acht Millionen Euro, die sich Salzwedel für die 1.400 Hektar Wald erhofft. Mit normaler Forstwirtschaft sei diese immense Summe, wie es heißt, nicht refinanzierbar. Weshalb Umweltschützer durch die Privatisierung eines bundesweit einzigartigen Feuchtwaldes einen immensen Schaden für ein deutschlandweites einzigartiges Wildnis-Biotop befürchten.
    Mehr noch: Der BUND fürchtet den Domino-Effekt, dass möglicherweise bundesweit weitere Kommunen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze auf die Idee kommen könnten, ihre Haushalte durch den Verkauf von Naturflächen zu sanieren. Es drohe, so heißt es wörtlich, dass das Rückgrat eines einzigartigen nationalen Biotopverbundes für immer zerstört werde.