Eine Wiese in der Rhön im Westen Thüringens. Vor 22 Jahren verlief hier in der Nähe von Bad Salzungen die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten, gesichert mit Signalzäunen, Selbstschussanlagen und: Minen. Heute gehören diese Flächen zum Naturschutzprojekt Grünes Band.
Von der Ostsee bis nach Hof zieht sich dieser Streifen, den die DDR für ihre Grenzanlagen roden ließ. Schäfer Thomas Lückert steigt aus seinem Auto, der stämmige 50-Jährige in blauer Latzhose und mit Hut weidet hier regelmäßig seine Schafe. Von der ehemaligen Sperranlage sieht man nichts mehr. Auf einer Landkarte zeigt Lückert den früheren Grenzverlauf.
"Der Zaun ging dann hier hinten, und vor dem Zaun Sicherungsgraben und Lkw-Abweisgraben und Minen. Und dies ist hier auch ein Bereich, der was gefährdet ist - gefährdet sein soll. Die letzten 20 Jahre, 22 Jahre, es ist noch nichts passiert - glücklicherweise noch nicht."
Noch ist keines seiner Schafe beim Tritt auf einen Sprengkörper zerfetzt worden. Sicher aber kann sich der Schäfer nicht sein, dass es nicht doch noch passieren wird. Zwar haben die NVA und später die Bundeswehr in den 80er- und 90er-Jahren den ehemaligen Grenzstreifen von Minen geräumt. Und die Bundesregierung stellte 1995 fest: Nach menschlichem Ermessen seien die Flächen des Grünen Bandes minenfrei. Doch immer wieder kam es vor, dass Spaziergänger auf gefährliche Sprengkörper stießen, zuletzt vor zwei Jahren.
"Das Stichwort heißt erhöhtes Restrisiko. Und viel genauer werden sie es nicht fassen können","
erklärt Andreas Maruschke vom Thüringer Umweltministerium. In einer Studie, die sein Haus erstellen ließ, heißt es, dass auf 42 Flächen des Grünen Bandes möglicherweise noch heute Minen liegen. Minen, die zu DDR-Zeiten ausgelegt, aber nie wieder entschärft wurden. Durch Erdrutsche oder Hochwasser wurden sie weggespült oder bei der Detonation anderer Minen
weggeschleudert. Insgesamt könnte es noch bis zu 33.000 unentdeckte Sprengfallen geben.
Wo genau noch wie viele Minen liegen könnten, soll die Öffentlichkeit aber nicht erfahren.
""Was wir nicht gemacht haben, ist, die Gesamtstudie, wenn Sie so wollen, als wunderschöner Plan, der wie so ein Atlas ganz Thüringen abbildet, ins Internet gestellt. Das haben wir nicht gemacht. Und wir haben sie in dieser Form auch nicht rausgegeben. Weil wir erstmal vermeiden wollten, dass - sagen wir mal - unnötige Verunsicherung entsteht."
Das ist aber längst passiert. So in der Gemeinde Unterbreizbach, direkt am Grünen Band. Hier könnten auf zwei Flächen noch Minen im Boden versteckt sein. Bürgermeister Roland Ernst bekam deshalb im Mai einen Brief vom Landratsamt.
"So richtige Handlungshinweise gab's eigentlich nicht, sondern die Gemeinde soll halt diese Grundstückseigentümer informieren. Wenn ich jetzt einem Grundstückseigentümer so was schicke, also wenn ich mich jetzt in deren Lage versetzen würde, kommt mir das ja schon bisschen komisch vor. Gut, wenn ich jetzt was finde, okay. Aber ich weiß ja gar nicht, wie's aussieht, diese Munition, diese Minen, die da gefunden worden. Da ist halt das, womit die Leute allein gelassen werden."
Mittlerweile hat das Land Thüringen Hinweisschilder aufstellen lassen. Darauf werden Wanderer aufgefordert, die Wege nicht zu verlassen. Ein kleines Gefahrensymbol, nicht größer als eine Euromünze, warnt vor den Minen. Schäfer Lückert ist das zu wenig.
"Wer liest das? Kaum einer! Die gucken sich die Bilder an. So gut, Minen, Wo könnten hier Minen sein? Wo ist hier die Grenze? Wer weiß das noch? Es sieht keiner mehr."
"Ich habe das Schild am Computer gesehen, ich fand das so klein nicht. Also, weiß ich jetzt nicht, ob das wirklich. Ich denke mal der Wanderer wird es trotzdem sehen."
Findet Ministeriumssprecher Maruschke. Für ortsunkundige Wanderer, die vielleicht zum ersten Mal in der Rhön unterwegs sind, bestehe keine Gefahr. Anders sieht es für die Bediensteten des Umweltministeriums aus. In einer Dienstanweisung vom April heißt es für Gebiete mit erhöhtem Restrisiko: Betreten verboten!
"Und da kommt die Personalverantwortung, wo wir sagen: Das können wir in den Gebieten nicht mehr verantworten."
Schäfer Thomas Lückert hingegen ist jeden Tag auf den betroffenen Flächen unterwegs - obwohl für ihn die gleiche Gefahr besteht wie für Landesbedienstete. Und noch mehr: Jeder Landwirt im Grünen Band bekommt für die Erhaltung der Kulturlandschaft Geld aus dem Förderprogramm KULAP. Ob er die notwendigen Vorgaben dafür einhält, kontrollieren Beamte.
Was sie nicht können, wenn die Fläche für sie tabu ist. Die absurde Folge: Die Prämie fällt weg. Pro Hektar sind das immerhin rund 100 Euro im Jahr. Für Schäfer Thomas Lückert viel Geld.
"Wir haben so schon genug Arbeit um die Ohren, genug Bürokratie. Und dann müssen wir uns auch noch mit so einem Schwachsinn herumschlagen. Die Leute, die das verantworten bzw. das gemacht haben, die sind weit von jeder Realität entfernt."
Während sich der Schäfer ärgert, ist eine weitere Studie geplant. Inhalt sollen Handlungsempfehlungen sein, wie mit der Minengefahr umgegangen werden kann. Dann – so hofft das Umweltministerium - werde auch feststehen, an welchen Stellen sich eine erneute Minensuche lohnen würde. Die betroffenen Abschnitte großflächig umzugraben, komme aus Kosten- und Naturschutzgründen dagegen nicht infrage. Thomas Lückert schüttelt über so viel Bürokratie den Kopf. Er wird seine Schafe weiter auf dem ehemaligen Grenzstreifen grasen lassen, denn er sieht das Problem mit dem erhöhten Restrisiko ganz pragmatisch.
"Es ist eben nur ein erhöhtes Risiko. Fliege ich mit dem Flugzeug und die Motoren setzen aus, habe ich auch ein erhöhtes Risiko, dass ich schlecht lande. Das Leben ist erhöhtes Risiko."
Lückerts Rhönschafe bekommen von all dem nichts mit. Morgen wird er sie auf die nächste Wiese treiben. Denn ohne die Tiere wäre der Grenzstreifen längst zugewachsen.
Das Risiko, dass eines seiner Schafe auf eine Mine tritt, nimmt er in Kauf. Auf zwei, drei Tiere könne man verzichten. Viel schlimmer sei es, wenn ein Mensch zu Schaden kommt.
Von der Ostsee bis nach Hof zieht sich dieser Streifen, den die DDR für ihre Grenzanlagen roden ließ. Schäfer Thomas Lückert steigt aus seinem Auto, der stämmige 50-Jährige in blauer Latzhose und mit Hut weidet hier regelmäßig seine Schafe. Von der ehemaligen Sperranlage sieht man nichts mehr. Auf einer Landkarte zeigt Lückert den früheren Grenzverlauf.
"Der Zaun ging dann hier hinten, und vor dem Zaun Sicherungsgraben und Lkw-Abweisgraben und Minen. Und dies ist hier auch ein Bereich, der was gefährdet ist - gefährdet sein soll. Die letzten 20 Jahre, 22 Jahre, es ist noch nichts passiert - glücklicherweise noch nicht."
Noch ist keines seiner Schafe beim Tritt auf einen Sprengkörper zerfetzt worden. Sicher aber kann sich der Schäfer nicht sein, dass es nicht doch noch passieren wird. Zwar haben die NVA und später die Bundeswehr in den 80er- und 90er-Jahren den ehemaligen Grenzstreifen von Minen geräumt. Und die Bundesregierung stellte 1995 fest: Nach menschlichem Ermessen seien die Flächen des Grünen Bandes minenfrei. Doch immer wieder kam es vor, dass Spaziergänger auf gefährliche Sprengkörper stießen, zuletzt vor zwei Jahren.
"Das Stichwort heißt erhöhtes Restrisiko. Und viel genauer werden sie es nicht fassen können","
erklärt Andreas Maruschke vom Thüringer Umweltministerium. In einer Studie, die sein Haus erstellen ließ, heißt es, dass auf 42 Flächen des Grünen Bandes möglicherweise noch heute Minen liegen. Minen, die zu DDR-Zeiten ausgelegt, aber nie wieder entschärft wurden. Durch Erdrutsche oder Hochwasser wurden sie weggespült oder bei der Detonation anderer Minen
weggeschleudert. Insgesamt könnte es noch bis zu 33.000 unentdeckte Sprengfallen geben.
Wo genau noch wie viele Minen liegen könnten, soll die Öffentlichkeit aber nicht erfahren.
""Was wir nicht gemacht haben, ist, die Gesamtstudie, wenn Sie so wollen, als wunderschöner Plan, der wie so ein Atlas ganz Thüringen abbildet, ins Internet gestellt. Das haben wir nicht gemacht. Und wir haben sie in dieser Form auch nicht rausgegeben. Weil wir erstmal vermeiden wollten, dass - sagen wir mal - unnötige Verunsicherung entsteht."
Das ist aber längst passiert. So in der Gemeinde Unterbreizbach, direkt am Grünen Band. Hier könnten auf zwei Flächen noch Minen im Boden versteckt sein. Bürgermeister Roland Ernst bekam deshalb im Mai einen Brief vom Landratsamt.
"So richtige Handlungshinweise gab's eigentlich nicht, sondern die Gemeinde soll halt diese Grundstückseigentümer informieren. Wenn ich jetzt einem Grundstückseigentümer so was schicke, also wenn ich mich jetzt in deren Lage versetzen würde, kommt mir das ja schon bisschen komisch vor. Gut, wenn ich jetzt was finde, okay. Aber ich weiß ja gar nicht, wie's aussieht, diese Munition, diese Minen, die da gefunden worden. Da ist halt das, womit die Leute allein gelassen werden."
Mittlerweile hat das Land Thüringen Hinweisschilder aufstellen lassen. Darauf werden Wanderer aufgefordert, die Wege nicht zu verlassen. Ein kleines Gefahrensymbol, nicht größer als eine Euromünze, warnt vor den Minen. Schäfer Lückert ist das zu wenig.
"Wer liest das? Kaum einer! Die gucken sich die Bilder an. So gut, Minen, Wo könnten hier Minen sein? Wo ist hier die Grenze? Wer weiß das noch? Es sieht keiner mehr."
"Ich habe das Schild am Computer gesehen, ich fand das so klein nicht. Also, weiß ich jetzt nicht, ob das wirklich. Ich denke mal der Wanderer wird es trotzdem sehen."
Findet Ministeriumssprecher Maruschke. Für ortsunkundige Wanderer, die vielleicht zum ersten Mal in der Rhön unterwegs sind, bestehe keine Gefahr. Anders sieht es für die Bediensteten des Umweltministeriums aus. In einer Dienstanweisung vom April heißt es für Gebiete mit erhöhtem Restrisiko: Betreten verboten!
"Und da kommt die Personalverantwortung, wo wir sagen: Das können wir in den Gebieten nicht mehr verantworten."
Schäfer Thomas Lückert hingegen ist jeden Tag auf den betroffenen Flächen unterwegs - obwohl für ihn die gleiche Gefahr besteht wie für Landesbedienstete. Und noch mehr: Jeder Landwirt im Grünen Band bekommt für die Erhaltung der Kulturlandschaft Geld aus dem Förderprogramm KULAP. Ob er die notwendigen Vorgaben dafür einhält, kontrollieren Beamte.
Was sie nicht können, wenn die Fläche für sie tabu ist. Die absurde Folge: Die Prämie fällt weg. Pro Hektar sind das immerhin rund 100 Euro im Jahr. Für Schäfer Thomas Lückert viel Geld.
"Wir haben so schon genug Arbeit um die Ohren, genug Bürokratie. Und dann müssen wir uns auch noch mit so einem Schwachsinn herumschlagen. Die Leute, die das verantworten bzw. das gemacht haben, die sind weit von jeder Realität entfernt."
Während sich der Schäfer ärgert, ist eine weitere Studie geplant. Inhalt sollen Handlungsempfehlungen sein, wie mit der Minengefahr umgegangen werden kann. Dann – so hofft das Umweltministerium - werde auch feststehen, an welchen Stellen sich eine erneute Minensuche lohnen würde. Die betroffenen Abschnitte großflächig umzugraben, komme aus Kosten- und Naturschutzgründen dagegen nicht infrage. Thomas Lückert schüttelt über so viel Bürokratie den Kopf. Er wird seine Schafe weiter auf dem ehemaligen Grenzstreifen grasen lassen, denn er sieht das Problem mit dem erhöhten Restrisiko ganz pragmatisch.
"Es ist eben nur ein erhöhtes Risiko. Fliege ich mit dem Flugzeug und die Motoren setzen aus, habe ich auch ein erhöhtes Risiko, dass ich schlecht lande. Das Leben ist erhöhtes Risiko."
Lückerts Rhönschafe bekommen von all dem nichts mit. Morgen wird er sie auf die nächste Wiese treiben. Denn ohne die Tiere wäre der Grenzstreifen längst zugewachsen.
Das Risiko, dass eines seiner Schafe auf eine Mine tritt, nimmt er in Kauf. Auf zwei, drei Tiere könne man verzichten. Viel schlimmer sei es, wenn ein Mensch zu Schaden kommt.