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Grünes Erzgebirge

Das Baumsterben im Erzgebirge galt einst als die größte Umweltkatastrophe Mitteleuropas. Auf Bildern sah man endlose Flächen mit silbergrauen Baumskeletten. Heute grünt es in den Wäldern wieder.

Von Iris Riedel |
    Donnergrollen über dem Erzgebirge. 30 Jahre früher hätte der Erzgebirgskamm bei diesem Wetter noch als perfekte Kulisse für einen Horrorfilm dienen können. Baumskelette, soweit das Auge reichte. Heute steht der Leiter des Forstbezirks Marienberg Ingo Reinhold auf einem Hügel inmitten sprießender Fichten und blickt zufrieden mal auf die deutsche und mal auf die tschechische Seite des Erzgebirgskamms.

    "Wenn man hier oben steht auf dieser Erhebung, blickt man im Umkreis auf relativ junge Waldbestände. Wenn man sich anschaut, wie die Höhentriebe dort aussehen, sind das in jedem Jahr etwas 30, 40, bis zu 50 Zentimeter und mehr, was dort jährlich zuwächst. Man sieht also hier keinen alten Wald. Und das ist eigentlich die deutlichste und spürbarste Auswirkung des Waldsterbens."

    Waldsterben ist der landläufige Ausdruck für das massenhafte Dahinsiechen der Wälder in den 1970er- und 80er-Jahren. Allein in Sachsen war eine Fläche eineinhalb Mal so groß wie Berlin betroffen. Was war passiert? Die Braunkohle- und Chemieindustrie auf beiden Seiten des Erzgebirges nahmen das Gebirge regelrecht in die Mangel und die Fabriken pusteten ihre Abgase, vor allem Schwefeldioxid, ungefiltert in die Luft. Über 100 Quadratkilometer Wald starben allein auf der deutschen Seite des Erzgebirges völlig ab. Mit Hilfe von Begasungsversuchen ermittelte man Baumarten, die mit den widrigen Bedingungen besser zurechtkommen als die heimische Fichte. Und so verbrachten Schulklassen und Bürger der umliegenden Gemeinden ihre Nachmittage auf den Hängen des Erzgebirges und pflanzten gegen den Totalschaden an.

    "Das war nur die erste Hilfe, aber die war ganz wichtig, weil sonst wäre das hier eine Grassteppe geworden. Mit dieser Entscheidung ist damals die Voraussetzung dafür gelegt worden, dass wir nach einer relativ kurzen Zeit, also es sind, ja jetzt gerade mal 30-40 Jahre vergangen, hier wieder heimische Baumarten anpflanzen können, wie die heimische Fichte, zum Teil in kleineren Flächen auch Buche."

    Eine Aufforstung allein hätte aber kaum Früchte getragen, in der sauren Erde wären die Bäume verkümmert.

    "Der Oberboden, also die ersten 15 bis 20 Zentimeter des Waldbodens hier, haben einen Säuregrad gehabt, der in etwa dem von Essig entspricht. Und um dagegen etwas zu tun, ist also beginnend seit 1985/1986 sogenannte Bodenschutzkalkung durchgeführt worden."

    Etwa vier Tonnen Kalk pro Hektar werden in immer längeren Abständen von sechs bis zehn Jahren ausgebracht. Heute spielt Schwefeldioxid keine Rolle mehr. Große Dreckschleudern wurden geschlossen oder mit Filtern ausgestattet, erneuerbare Energien ausgebaut und die Umweltpolitik grenzüberschreitend abgestimmt. Heute sind Stickoxide, also Düngemittel aus der Landwirtschaft, Auslöser für neuartige Waldschäden. Außerdem machen Wetterextreme und eine hohe Ozonbelastung dem Nachwuchs zu schaffen. Auch Iris Kreher aus dem grenznahen Kurort Seiffen findet zwar, dass sich viel verbessert habe. Der Schnee sei nicht mehr grau, aber die Luft, die aus dem böhmischen Egertal herüberzieht, plage die Erzgebirgler immer noch.

    "Jeder reagiert anders. Ich persönlich, ich merke es an den Lippen, man hat irgendwie so einen metallischen Geschmack im Mund, die Schleimhäute irgendwie und Magen-Darm-Probleme."

    Seit Jahren klagen Menschen aus dem Erzgebirge über "Katzendreckgestank", der bei Südostwind und besonders im Winter auftritt. Für die belastete Luft sind laut dem Dresdner Umweltministerium wahrscheinlich Betriebe genauso verantwortlich wie Hausbrand und Verkehr, aber die genaue Quelle sei schwer nachzuweisen. Die Bürgerinitiative "Saubere Luft im Erzgebirge", in der sich Iris Kreher engagiert, hat 2010 eine Petition mit mehr als 11.000 Unterschriften bei der EU eingereicht und hofft auf Auflagen.

    "Die Tschechen, die sagen sich, wir halten unsere Richtwerte ein. Da haben sie ja auch recht. Die Jahresdurchschnittswerte stimmen ja auch, aber was ist mit den Spitzenwerten?"

    Es ist ein kleines Stück, das noch zur Idylle fehlt. Das als Weihnachtsdörfchen weltbekannte Seiffen säumen Weiden, auf denen Kühe mit Kälbern grasen, und endlose sommergrüne Wälder. Gibt es überhaupt noch diese Gespensterwälder, deren Trostlosigkeit sich in unsere Erinnerung eingebrannt hat? Mitnichten atmet Forstbezirksleiter Reinhold erleichtert auf.

    "Die gibt es nicht mehr beziehungsweise gibt es im gesamten Forstbezirk Marienberg nur einen einzigen Bestand, der einer privaten Waldbesitzerin gehört, die ausdrücklich festgelegt, dass alles in seinem ursprünglichen Zustand bleiben soll, wo man also solche abgestorbenen Bäume noch sehen kann."