Der Stillstand im Land wegen der Corona-Krise trifft es das kulturelle Leben besonders hart. Das Coronavirus bedroht Kulturschaffende in ihrer finanziellen Existenz. Umso mehr häufen sich die Forderungen an die Politik nach Hilfe für die Kulturschaffenden. Die Grünen werfen vor allem Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu wenig Engagement vor. Auch der FDP-Politiker Gerhart Baum, der Vorsitzende des Kulturrates in Nordrhein-Westfalen, kritisierte, dass sie nicht auf die bundesweiten Proteste aus der Künstlerschaft reagierte.
Christiane Kaess: Warum ist es denn bei den Gesprächen auf höchster Ebene zwischen Bund und Ländern über Bildung und Wirtschaft gegangen, aber nicht über Kultur?
Monika Grütters: Es ging von Anfang an ganz gezielt um Kultur. Wir haben, noch bevor wir den 156 Milliarden Euro starken Rettungsschirm aufgespannt haben, wirklich am Wochenende direkt, nachdem wir die Maßnahmen beschlossen hatten, tatsächlich in unserem Soforthilfeprogramm mit Betriebssicherung, mit der Absicherung persönlicher Lebensumstände durch das Sozialschutzpaket und mit sehr vielen rechtlichen Einzelmaßnahmen ausdrücklich die vielen Soloselbstständigen, Kleinst- und Kleinunternehmer – und die sind eben alle in der Kultur- und Kreativwirtschaft adressiert. Und diese 156 Milliarden sind ja nicht verzagt, sondern ein ganz großer Wurf.
"Nicht in Ordnung, die Soforthilfen schlechtzureden"
Kaess: Und trotzdem, Frau Grütters, wenn ich da mal einhaken darf, gibt es sehr viel Proteste auch vonseiten der Künstler, und zum Beispiel der FDP-Politiker Gerhart Baum, der Vorsitzende des Kulturrates in Nordrhein-Westfalen ist, sagt eben, Sie reagierten nicht auf diese bundesweiten Proteste aus der Künstlerschaft. Er fragt, warum nimmt Frau Grütters das nicht, um hier nachzujustieren.
Grütters: Erstens bin ich darüber deshalb sehr überrascht, weil die FDP in Nordrhein-Westfalen ja in der Regierung ist, und Kultur ist Ländersache. Ich hätte mich sehr gefreut, wenn die FDP in der nordrhein-westfälischen Landesregierung meinetwegen mit einem Altmeister der Politik wie Herrn Baum, der vielleicht nicht so nah dran ist an unseren Maßnahmen, aber wenn die da wirklich ein starkes Signal für ihre Künstler gesetzt hätten. Sie haben in der Tat 2.000 Euro gegeben, die waren nur sehr schnell weg.
Und ähnlich war das dann hier auch in Berlin mit den 5.000 Euro, die für Künstler da gegeben werden konnten, die sind allerdings auch verbraucht. Andere Bundesländer haben so gut wie gar nicht auf dieses spezielle Milieu reagiert, obwohl Kultur nach wie vor Länderhoheit ist. Bayern macht jetzt die Regelung 1.000, aber jetzt auch erst 1.000 Euro zu geben für in der Künstlersozialkasse Versicherte für drei Monate, aber die übersehen dabei, dass von dieser großen Gruppe gerade mal 51 Prozent in der Künstlersozialkasse überhaupt sind.
Darf ich bitte doch trotzdem noch mal sagen: Was ich nicht in Ordnung finde, ist, diese Riesenprogramme, die speziell für Künstler und Selbstständige gemacht worden sind, das Sozialschutzpaket mit zehn Milliarden, die Soforthilfen mit 50 Milliarden einfach schlechtzureden. Vielleicht kriegen einige Künstler das nicht mit, obwohl das auf allen Homepages steht, und die Soforthilfen, glaube ich, auch wirklich bei Buchhändlern, bei Kinos, bei Ateliers, bei Galeristen und bei Musikklubs auch alle angekommen sind. Aber dass unsere Kollegen die Programme schlechtreden, statt den Künstlern zu erklären, wie sie an das Geld herankommen, das verstehe ich nicht.
"Sozialpaket ist für die vielen Soloselbstständigen gemacht"
Kaess: Ja, Frau Grütters, ist die Frage, ob es um schlechtreden geht, denn es gibt ja ganz konkrete Lücken, nenne ich es mal. Es wird zum Beispiel immer wieder kritisiert, dass gerade der Rettungsschirm der Bundesregierung nur Festangestellte abdeckt, und freischaffende Künstlerinnen und Künstler fallen komplett durchs Raster.
Grütters: Also das stimmt … sehen Sie, das ist eine … Ich leide da richtig drunter, dass solche Falschbehauptungen immer verbreitet werden. Die fest angestellten Künstler, die haben im Moment – es tut mir leid – die geringsten Sorgen. Zwar werden viele, die in den großen Ensembles angestellt sind, jetzt in Kurzarbeit geschickt, was viele Häuser aber übrigens dann auch aufstocken. Wir haben gehört, gestern Nacht ist beschlossen worden, dass das Kurzarbeitergeld auf 80 Prozent geht. Aber gerade für die vielen Soloselbstständigen ist das Sozialschutzpaket gemacht, wo man die Miete für sechs Monate bezahlt bekommt, die Heizung für sechs Monate bezahlt bekommt, für jedes Kind einen Kinderzuschlag bekommt und anders als bei anderen Sozialleistungen keine umfangreiche Vermögensprüfung durchlaufen muss.
Sonderfall: Bühnenkünstler
Kaess: Aber das ersetzt ja nicht das Einkommen.
Grütters: Aber das macht den Lebensunterhalt für ein halbes Jahr. Das machen wir für genau diese Gruppe, und das ist mehr, als ein durchschnittlicher KSK-Versicherter hat. Ich bin ganz unglücklich darüber, dass eine Leistung, die selbstverständlich der Maskenbildner oder die Tontechnikerin, die ja auch in diesem Milieu beschäftigt sind und fast alle auch freischaffend, selbstverständlich in Anspruch nehmen, auf die Künstler nicht zutreffen soll. Deshalb bitte, werben Sie dafür. Ich meine, dass man solche großzügigen Leistungen anpreisen muss, ist sehr ungewöhnlich. Aber Sie haben recht, es gibt natürlich eine Gruppe von freischaffenden Künstlern, die mehr verdienen als das, was im Durchschnitt durch das Sozialschutzpaket oder bei einer Künstlersozialkassenversicherung abgedeckt wird. Und für die, in der Tat, muss man über Ausfallhonorare reden. Das sind fast alles Bühnenkünstler.
Kaess: Aber Frau Grütters, wenn ich Sie richtig verstehe, dann sagen Sie, auch wenn zum Beispiel der bayrische Ministerpräsident Markus Söder von der CSU zugegeben hat, dass tatsächlich nicht fest angestellte Künstler, für die ja dann die Bundesländer eingesprungen sind, durchs Raster fallen, sagen Sie, das stimmt nicht, und die Proteste aus der Kunstszene sind eigentlich auch hinfällig, weil im Prinzip werden alle abgesichert.
Grütters: Hören Sie, es wird bei dem Sozialschutzpaket überhaupt nicht gefragt, ob sie fest angestellt waren oder freischaffend, im Gegenteil, es sind fast ausschließlich Soloselbstständige, also nicht Festangestellte. Dieses Sozialschutzpaket, das kennt Herr Söder auch, wird in großem Stil genau an eben genau nicht Festangestellte ausgeschüttet. Sie müssen nur beim Jobcenter dieses Geld beantragen.
Kaess: Also Herr Söder irrt und auch diejenigen, die sich beschweren, irren auch.
Grütters: Nein, Herr Söder gibt zusätzlich zu dem Sozialschutzpaket noch mal 1.000 Euro …
Kaess: Es ging mir jetzt um seine Aussage, dass er selber zugegeben hat auch, dass eben bestimmte Künstler, wenn es um Nichtfestangestellte geht, dass die durch jedes Raster durchfallen.
Grütters: Ich glaube, das Kriterium ist nicht – und das gestehe ich ja genauso zu –, ob man fest angestellt ist oder nicht, sondern dass man etwas mehr an Gagen und Honoraren hatte, ohne Festanstellung, nämlich freischaffende Künstler, um die wir uns jetzt kümmern müssen. Da geht es um Ausfallhonorare, weil die leben fast ausschließlich von ihren Gagen und Honoraren, und denen ist viel Geld entgangen – in der Passionszeit zum Beispiel Musikern, wo die am meisten verdienen. Und über diese Möglichkeit, auf schon beschlossene Gagen und Engagements einen Abschlag mindestens in der Höhe vom Kurzarbeitergeld, was Festangestellte hätten, zu zahlen, darüber rede ich mit den Ländern. Das sind natürlich Engagements in Häusern, die in der Regel in der Trägerschaft der Länder sind – Konzerthäuser, das sind Opernhäuser, das sind Theater –, und ich finde, die sollten ihren Solisten, die sie freischaffend, wie sie sind, immer in die einzelne Inszenierung angestellt haben, auch bitte Abschläge auf die Gagen zahlen. Da hat er vollkommen recht, das müssen wir wirklich noch machen.
Kaess: Frau Grütters, schauen wir noch auf ein paar konkrete Kritikpunkte, die es gibt: Ein großes Problem, wenn Kulturschaffende Anträge auf finanzielle Unterstützung stellen, ist eine Grenze für ein, so heißt es, erhebliches Vermögen von 60.000 Euro, zum Beispiel bei den Schauspielern. Da heißt es jetzt vonseiten der Schauspieler, wir haben nun mal schlechte gesetzliche Altersversorgungen und sind nicht über die Künstlersozialkasse abgesichert. Und der Bundesverband Schauspiel kommt jetzt eben mit diesem Argument, jeder ist eigentlich gut beraten, sich Rücklagen zu schaffen, und jetzt werden diese Rücklagen zum Problem.
Grütters: Bei normaler Sozialhilfebeantragung in guten Zeiten werden diese Gelder tatsächlich in Anrechnung gebracht, und hier beim Sozialschutzpaket ist es richtig, die beantragende Person darf 60.000 Euro auf dem Konto haben und über andere Vermögenswerte – ich weiß nicht, ob die Immobilien besitzen –, auf solche Dinge wird erst mal nicht geguckt. Das ist der Unterschied zu dem Verfahren in friedlichen Zeiten. Dann darf noch der Partner 30.000 Euro haben, und jedes Kind, das noch mit im Haushalt lebt, darf noch mal 30.000 Euro haben, sodass bei einer vierköpfigen Familie zum Beispiel 150.000 Euro nicht angeguckt werden. Und dann wird für jede Person eine Grundsicherung gezahlt plus die Miete plus die Heizung plus Kinderzuschläge.
"Sozialschutzpaket bietet in fast allen Fällen mehr"
Kaess: Was halten Sie denn von ganz unbürokratischen Vorschlägen, die es ja auch gibt, zum Beispiel die konkrete Forderung von einer Initiative von Kulturschaffenden – die fordern ein bundeseinheitliches Programm. Dann hätte man nicht mehr diesen Flickenteppich, dass dann monatlich 1.180 Euro zusichert, oder aus der Forderung zum Beispiel … Aus der Linken kommt zum Beispiel die Forderung, dass freiberufliche Künstler ein bedingungsloses Grundeinkommen für sechs Monate mit etwa 1.500 Euro bekommen sollen, dann hätte man auch dieses Problem nicht, dass die Hilfsprogramme im Moment auf nur drei Monate beschränkt sind. Warum wäre das nicht der viel einfachere Weg?
Grütters: Ich hab überhaupt nichts gegen solche Varianten, also 1.180 Euro, das ist das, was in Baden-Württemberg teilweise gezahlt wird an ...
Kaess: ... aber eben nur da, und woanders ist es wieder anders.
Grütters: Ja, aber da muss ich sagen, und auch die 1.500 Euro, das Sozialschutzpaket, von dem ich gerade gesprochen habe, bietet in fast allen Fällen mehr – mehr als 1.200 Euro und mehr als 1.500 Euro. Man muss halt das Geld nur beantragen, denn die reale Miete liegt ja häufig sehr höher. Aber ich hab überhaupt nichts dagegen, wenn man sagt, wir nehmen aus diesem großen 10- und noch mal 50-Milliarden-Topf, den der Bund ja dafür bereitgestellt hat, aus dem die Gelder ja sind, wenn man sagt, man kann eine Alternative machen. Entweder man nimmt das Sozialschutzpaket oder die 1.200 Euro beispielsweise – das kann man, finde ich, machen, dann muss nur jeder gucken, ob er mit den 1.200 besser oder schlechter fährt. Insofern finde ich es besser. Und die Länder, das muss ich auch noch mal sagen, der Flickenteppich, das ist vielleicht schade. Einerseits liefern die sich einen Wettbewerb, und dadurch kommt eben auch noch mehr Geld in die Schüssel.
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